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Innenpolitik

Murks bleibt Murks

Von Kurt Renner | 21.01.2012

Die Volksabstimmung zum Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von S21 ist landesweit mit einem Stimmenverhältnis von 41,2 % gegen 58,8 % gescheitert.

Die Volksabstimmung zum Ausstieg des Landes aus der Finanzierung von S21 ist landesweit mit einem Stimmenverhältnis von 41,2 % gegen 58,8 % gescheitert.

Beide Seiten, weder Ja noch Nein, erreichten allerdings das erforderliche Quorum von aberwitzigen 33 % der Stimmberechtigten, Das wären 2,52 Millionen gewesen. Aber: Die Hauptbetroffenen der geplanten Großbaustelle in der Stuttgarter Innenstadt haben in 4 von 5 Stimmbezirken mit 52 zu 48 % eine Mehrheit gegen Stuttgart 21. Hier wurde sogar das Quorum erreicht. Wo kann eine Bewegung von sich behaupten, dass über die Hälfte der betroffenen Bevölkerung hinter ihr steht?

Die Bürgerbewegung gegen S21 hat sich die Volksabstimmung nicht ausgesucht. Sie war Konsequenz der Koalitionsräson und das als Kompromiss verkaufte ­erste Einknicken des grünen Teils der Landesregierung gegenüber den Tunnelfreunden in der SPD um Schmiedel und Schmid. Dennoch hat sie die Herausforderung angenommen. In einer unglaublichen Kraftanstrengung (allein die Gewerkschafter­Innen gegen S21 haben 65 000 Flyer vornehmlich vor Betrieben verteilt) und mit – im Gegensatz zu den S21-Befürwortern – begrenzten finanziellen Mitteln haben sie die Auseinandersetzung geführt – und verloren.

Anders als die Bahn, die keine Skrupel gehabt hätte, sich über ein für sie negatives Ergebnis hinwegzusetzen, macht der Ausgang des Referendums der Protestbewegung schwer zu schaffen. Sie ist eben nicht nur eine Protestbewegung gegen ein abenteuerliches Bahnhofsprojekt, sondern in ihrem Identitätskern auch eine Demokratiebewegung für mehr Bürgerbeteiligung, für mehr direkte Demokratie. Eben das hat sie bundesweit und darüber hinaus zu einer Hoffnungsträgerin gemacht.
(Un)demokratische Qualität der Volksabstimmung
„Murks bleibt Murks“. Keine Volksabstimmung widerlegt die Argumente des Widerstands. In dem Meinungsstreit zu S21 ist es grob unfair zugegangen. Der alte Filz hat machtmissbräuchlich Einfluss genommen. „Arbeitgeber“ haben ihre betriebliche Vormachtstellung für S21-Werbung eingesetzt. Landkreise, Kommunen, öffentliche Körperschaften haben aus den Steuermitteln der Bürger Wahlkampf gegen eine Bürgerbewegung gemacht. Der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster hat z. B. auf offiziellem Amtsbogen für über 130 000 Euro, bezahlt aus Mitteln der Stadt, einen Propagandabrief an alle Wahlberechtigten in Stuttgart geschickt. Die Bahn hat aus dem mit den Bahnkunden verdienten Geld eine Kampagne gegen eine Bewegung geführt, die sich zu einem großen Teil aus Bahnkunden rekrutiert – und das mit unwahren Behauptungen und populistischen Slogans, die wegführten von der Sachfrage der Auseinandersetzung, nämlich weg vom Kosten-Nutzenverhältnis bei S21.

Mit der Parole „Schluss mit dem Ärger“, die sich gegen die Demonstrationen wandte, wurden gezielt antidemokratische Ressentiments bemüht. Unter diesen Bedingungen konnte also die Abstimmung in keinem Fall zu einer „Sternstunde der Demokratie“ werden. Wenn mit undemokratischen Mitteln, unter undemokratischen Rahmenbedingungen und mit antidemokratischen Parolen eine Volksabstimmung gewonnen wird, dann ist das das Gegenteil von direkter Demokratie. Eine Demokratiebewegung stellt fest: Diese Volksabstimmung war ein Fehlstart auf dem Weg zu mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung.
Volksabstimmung keine Legitimation für alles
Die Bürger­Innen haben sich für die Weiterfinanzierung dieses Projekts durch das Land ausgesprochen – allerdings auf einer klaren von Bahn und Koalition vorgetragenen Geschäftsgrundlage: 1. Kosten­obergrenze 4,5 Mrd. Euro, 2. Dreißig Prozent Leistungssteigerung durch S21, 3. Die Ergebnisse von Faktencheck und Stresstest werden im Projekt umgesetzt.
Diese Geschäftsgrundlage besteht bereits wenige Tage nach der Volksabstimmung nicht mehr:

  1. Die Bahn erwartet nun von Stadt und Land die Übernahme von Mehrkosten und weigert sich, die Belastungen aus Faktencheck und Stresstest zu tragen. Die Landesregierung will oder kann dem nichts entgegensetzen.
  2. Die Bahn ist nach verlässlicher Quelle (http://de.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Stresstest) der Fälschung des Stresstests überführt. Statt der zugesagten 49 Züge in der Hauptverkehrsstunde, schafft der 8-gleisige Tiefbahnhof nur 32 bis 38 Züge. Die Leistungszusage ist gebrochen.
  3. Die Bahn kündigt die Fällung der alten Bäume im Schlossgarten an – ein Bruch der Zusage aus Geißlers Schlichtung.

Die Bürger­Innen haben am 27. November ihre Zustimmung nicht gegeben zur Weiterfinanzierung eines Bahnhofs, der teurer ist als amtlich zugesagt, der weniger leistungs­fähig ist als „amtlich“ festgestellt, der doch die Abholzung des Schlossparks erfordert.

Wäre das, was die Bahn jetzt raus lässt und machen will, Grundlage der Volksabstimmung gewesen, hätte dies sicher zu einem anderen Ergebnis geführt. Es gibt daher das Recht auf die Fortsetzung des friedlichen Widerstands gegen dieses Projekt und so sieht es auch die große Mehrheit im Aktionsbündnis.

Interessant wird hier die Haltung der Grünen werden. Kretschmann hat sofort nach der Abstimmung umgeschaltet auf kritisch-konst­ruktive Projektförderung inklusive der Durchsetzung des Baurechts der Bahn. Da ist er voll auf der Linie seines Hardlinerinnenministers Gall, der seine Polizei vorsorglich schon seit Mitte letzten Jahres den Bahnhof per Video überwachen lässt, ohne dies zu kennzeichnen, und auf dem Stuttgarter Wasen ein Containerlager für Demonstrant­Innen hat einrichten lassen. Die Grünen Stuttgart wollen abwarten, stellen aber gleichzeitig klar, „eine Fundamentalopposition gegen die Landesregierung können wir nicht mittragen“.

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