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Länder

„Diese Regierung ist die unbeliebteste und korrupteste in der Geschichte des Landes“

Von Avanti | 14.01.2012

Interview mit Farooq Tariq, Sprecher der LPP (Labour Party of Pakistan), die mit der 4. Internationale freundschaftlich verbunden ist. Das Interview führte Thadeus Pato am Rande des Südasiatischen Sozialforums in Dhaka am 22.11.2011

Interview mit Farooq Tariq, Sprecher der LPP (Labour Party of Pakistan), die mit der 4. Internationale freundschaftlich verbunden ist. Das Interview führte Thadeus Pato am Rande des Südasiatischen Sozialforums in Dhaka am 22.11.2011

Avanti: Wie ist die derzeitige politische Situation in Pakistan?
Farooq Tariq: Die seit dreieinhalb Jahren amtierende Regierung ist wahrscheinlich die unbeliebteste und korrupteste gewählte Regierung in der Geschichte des Landes. Sie war weder willens noch in der Lage, zum Beispiel auf die Überschwemmungskatastrophe adäquat zu reagieren. Gleichzeitig leidet Pakistan schwer unter der Wirtschaftskrise. Entsprechend werden auch die Auseinandersetzungen in den Fabriken härter. Die Linke kann zwar teilweise von dieser Situation, in der die traditionellen großen Parteien, insbesondere die PPP (Pakistan People Party), in den Augen der Masse der Bevölkerung abgewirtschaftet haben, profitieren, aber andererseits hat eine Mittelschichtpartei, Tehreek Insaaf, derzeit den größten Zulauf. Sie könnte die neue große Partei des pakistanischen Kapitals werden.

Wenn man sich die jüngsten Auseinandersetzungen in Faisalabad und der Region Gilgit-Baltistan betrachtet, entsteht der Eindruck, dass die Gegenwehr der Bevölkerung zunimmt. Wie kam es dazu?

Farooq Tariq: Im Hunza-Tal handelte es sich schlicht darum, dass vor einem Jahr dort ein verheerender Erdrutsch stattgefunden hatte. Häuser und Straßen wurden weggerissen. Die versprochenen Gelder für die Nothilfe und den Wiederaufbau verschwanden in den Taschen der Politiker. Als der für die Provinz zuständige Minister im August der Gegend einen Besuch abstattete, kam es zu einer Demonstration der lokalen Bevölkerung. Die Polizei reagierte mit äußerster Brutalität, zwei Männer, Vater und Sohn, wurden erschossen. Daraufhin gab es in Aliabad und anderen Orten des Tals einen Aufstand, vier Tage lang übernahm die Bevölkerung die Kontrolle über die Stadt. Um die Leute zu beruhigen, versprachen die Behörden eine Untersuchung, wer für die Morde verantwortlich sei. Aber das war nur ein Ablenkungsmanöver. Am 19. August wurden 36 Personen verhaftet, davon zehn Mitglieder der LPP, sechs blieben inhaftiert. Am 16. September gab es weitere 33 Verhaftungen. Baba Jan, Leitungsmitglied der LPP, konnte zunächst entkommen und versteckte sich. Einen Monat später stellte er sich dann den Behörden.

Wie ist die Situation der Inhaftierten?
Farooq Tariq: Was Baba Jan betrifft, so wurde er nach unseren Informationen aus der Zelle geholt und zwei Tage vom Geheimdienst gefoltert. Wie wir erfuhren, gibt es einen internen Bericht einer Kommission, aus dem hervorgeht, dass man ihm eigentlich nichts vorwerfen kann. Wir konnten nicht durchsetzen, dass der Bericht in den Prozess eingebracht wurde. Er wird von den Behörden unter Verschluss gehalten. Inzwischen ist eine Solidaritätskampagne in Gang für die Freilassung aller Gefangenen und die Strafverfolgung der verantwortlichen Sicherheitskräfte. Natürlich gehen wir daneben auch juristisch gegen die Inhaftierungen vor – außer Baba Jan sitzen noch 20 weitere im Gefängnis.

Und was geschah in Faisalabad?

Farooq Tariq: Im Juli 2010 streik­ten die Textilarbeiter­Innen in Faisalabad, der drittgrößten Stadt Pakistans, für eine Anhebung der Mindestlöhne. Diese Anhebung war übrigens von der Regierung beschlossen worden, die Fabrikanten weigerten sich aber, das umzusetzen. Nach mehreren Wochen ergebnisloser Verhandlungen traten über 100 000 Arbeiter­Innen in den Streik, angeführt wurde er von LQM (Labour Qaumi Movement), einer Textilarbeiter­Innenorganisation. Unter einem Vorwand wurden 4 der führenden Aktivisten verhaftet, zwei weitere ein Jahr später, im Juli 2011. Am 1. November wurde nun das Urteil gesprochen, die Sechs, es sind Akbar Ali Kamboh, Babar Shafiq Randhawa, Fazal Elahi, Rana Riaz Ahmed Muhammad Aslam Malik und Asghar Ali Ansari, wurden von dem Antiterrorismusgericht zu insgesamt 490 Jahren Gefängnis verurteilt.

Wegen „Terrorismus“?
Farooq Tariq: Ja. Konkret wurde behauptet, sie hätten während des Streiks eine Fabrik angezündet und niedergebrannt. Das ist frei erfunden: Was tatsächlich passierte, war, dass der Fabrikbesitzer von angeheuerten Verbrechern auf Arbeiter schießen ließ, die sich dem Streik anschlossen und die Fabrik verließen. Einige davon gingen zurück und verprügelten die Schützen. Dass die Fabrik abgebrannt sei, ist völlig unsinnig, die war nämlich ein paar Tage später wieder in Betrieb.

Was ist der politische Hintergrund dieses Urteils?
Farooq Tariq: Zum einen geschah das Ganze in einem Stadtteil von Faisalabad, in dem sehr viele Textilfabriken sind. Dort hat LQM in den letzten Jahren eine starke Basis aufgebaut, und es gab bereits eine ganze Reihe von erfolgreichen Arbeitskämpfen. Die Webereiarbeiter­Innen sind dadurch zu einem Symbol für militante Arbeitskämpfe geworden. Es sollte jetzt ein Exempel statuiert werden. Darüber hinaus soll mit diesem beispiellos harten Urteil die gesamte Arbeiter­Innenbewegung eingeschüchtert werden. Im ganzen Land herrscht Entsetzen über das Vorgehen der Behörden.

Ist das ein Ausnahmefall?
Farooq Tariq: Nein. Gerade im Punjab wird die Terrorismuskeule regelmäßig benutzt, um gegen die Arbeiter­Innenbewegung vorzugehen. Im Moment gibt es z. B. im Punjab dreizehn Anklagen gegen Gewerkschaftsführer wegen „Terrorismus“.

Was ist zu tun?
Farooq Tariq: Es läuft eine nationale und internationale Solidaritätskampagne, das Urteil wird natürlich angefochten. In mehreren Städten gab es bereits Kundgebungen und Demonstrationen und für den 26.11. ist in Faisalabad eine große Solidaritätsveranstaltung geplant (hat inzwischen mit 5 000 Teilnehmer­Innen erfolgreich stattgefunden, T. P). Was wir brauchen, ist Druck auf die Behörden, aber auch Geld zur Unterstützung der Familien der Inhaftierten. Ihr könnt helfen, indem ihr Euch der Solidaritätskampagne anschließt.

Farooq, ich danke Dir für das Gespräch.

 

 

 

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