TEILEN
Länder

Enteignung – eine Frage brennender Aktualität

Von Pierre Vandevoorde | 14.02.2012

Die schweizer Pétroplus-Gruppe verfügt über fünf Raffinerien in Europa, darunter die von Petit-Couronne bei Rouen mit einer Stammbelegschaft von 550 Beschäftigten. Im November wurde die Schließung der Öl-Abteilung (120 Arbeitsplätze) bekannt gegeben.

Die schweizer Pétroplus-Gruppe verfügt über fünf Raffinerien in Europa, darunter die von Petit-Couronne bei Rouen mit einer Stammbelegschaft von 550 Beschäftigten. Im November wurde die Schließung der Öl-Abteilung (120 Arbeitsplätze) bekannt gegeben.

Zwischen Weihnachten und Neujahr verkündete der Finanzvorstand – verpackt in gute Wünsche für das Neue Jahr –, dass die Banken es ablehnten, auch nur den kleinsten Kredit zu geben. Eine Milliarde Dollar (die fest eingeplant waren) blieben blockiert, sodass kein Rohöl gekauft werden konnte, um die Raffinerien zu beliefern. Der Aktienkurs von Pétroplus stürzte in den Keller und verlor 98 % seines Wertes. Die Gruppe stellte sich als Opfer dar und drohte mit der Schließung des Werks.

Pétroplus ist eine jener undurchsichtigen Gruppen, bei denen es sehr schwierig ist, die wirkliche Identität der Aktionäre zu erfahren. Sie ist in Zug (Schweiz) eingetragen, einem Ort, in dem auf 20 000 Einwohner_innen 200 000 Unternehmen kommen. Die Gruppe stellt sich jetzt als ein ohnmächtiges Opfer dar. In Wirklichkeit geht es darum, die Raffineriekapazitäten in Europa zu begrenzen und Raffinerien dorthin zu verlagern, wo die Löhne niedriger und die Umweltauflagen geringer sind. Shell hatte diese Raffinerie 2008 an Pétroplus verkauft, nachdem es vorher jahrzehntelang Milliardengewinne abgesahnt hatte. Der anglo-niederländische Konzern wusste sehr wohl, dass die Raffinerie, wenn sie nicht mehr Teil eines „integrierten Ölkonzerns“ ist, also abgeschnitten von der vertikalen Lieferkette, keine Überlebenschance hat.
Keine Nachrichtensendung, bei der nicht von Pétroplus die Rede ist: Im Herbst 2010, beim Kampf gegen die Anhebung des Renteneintrittsalters, hatte sich die Kraftprobe auf den über zweiwöchigen Produktionsstopp der zwölf Raffinerien des Landes konzentriert, als die Raffineriebeschäftigten mit ihrem Streik zum Wohl aller Lohnabhängigen die gesamte Wirtschaft blockierten. Dabei ist allen die strategische Bedeutung dieses Sektors offenbar geworden.
Eine nationale Angelegenheit
Die tägliche Vollversammlung ist inzwischen für alle Präsidentschaftskandidaten ein nicht zu umgehender Bezugspunkt geworden. Die Beschäftigten haben alle Kandidat­Innen – außer Marine Le Pen – aufgefordert, sie zu besuchen und ihren Kampf zu unterstützen. Philippe Poutou, Präsidentschaftskandidat der NPA, war der Erste, der sie besuchte. „Damit kein(e) einzige(r) Beschäftigte(r) für die Finanzmachenschaften der großen Ölmultis und für die Raffgier der Banken bezahlen muss, gilt es ein Entlassungsverbot durchzusetzen. Der gesamte Energiesektor, angefangen bei Pétroplus, muss unter die Kontrolle der Bevölkerung gestellt werden, und zwar nach einer entschädigungslosen Enteignung (ohne Rückkaufmöglichkeit) aller großen Gruppen dieses Wirtschaftszweigs, also Esso, Total und Areva.“
Der Präsidentschaftskandidat der PS, Hollande, hat die Regierung aufgefordert, „ihrer Verantwortung bei der Suche nach einem neuen Investor nachzukommen.“ Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der Linksfront hat versichert: „Wenn ich an der Stelle des „Nutzlosen“ (Sarkozy) wäre, würde ich die Beschlagnahmung verfügen.“ Eine ganz neue Forderung aus seinem Mund, was von allen Medien aufgegriffen wurde.
Bei M-real ging es los
M-real ist eine moderne Papierfabrik, gehört zur finnischen Metsälitto-Gruppe und ist zwanzig Kilometer von Pétroplus entfernt. Im Juni letzten Jahres erfuhren die 600 Beschäftigten, dass die Gruppe beschlossen hatte, das Werk mangels Übernehmer im Oktober zu verkaufen und zu schließen. Verschiedene Investoren halten ihr Angebot aufrecht, obwohl die Hürde nicht gerade niedrig ist: Verpflichtung das ganze Personal zu halten und die etwaigen Verluste der ersten zwei Jahre zu übernehmen. Dennoch bleibt die Gruppe bei ihrer Entscheidung! Das ist der Beweis, dass sie sich mit anderen Konzernen dieser Branche verständigt hat, eine Fabrik zu schließen, um den Papierpreis in die Höhe zu treiben. Der Skandal ist offensichtlich und ein einmonatiger Streik beginnt (der nachher vollständig bezahlt wird), die Aktionen häufen sich, die Fabrik wird von den Beschäftigten für einen Tag der „offenen Tür“ wieder in Gang gesetzt, bei dem 2500 Menschen ins Werk kommen, … darunter der Landwirtschaftsminister und der Präfekt!

Es ist eine Fabrik, in der die NPA einen gewissen Einfluss hat: Seit 16 Jahren wird dort eine Betriebszeitung rausgegeben, der CGT-[Gewerkschafts]verantwortliche im Werk ist ein bekannter Aktivist unsrer Partei. Aber als wir vor einigen Monaten damit anfingen, zu erklären, dass die Fabrik enteignet werden sollte, dass der Staat oder die Regionalverwaltung die entsprechenden Garantien aussprechen müssten und dass die Produktion unter der Kontrolle der Arbeiter­Innen wieder aufgenommen werden könne, gab es nicht viele, die uns ernst nahmen. Aber bald danach wurde es auch für die Gewerkschaften, das Unterstützungskomitee und den KP-Bürgermeister offenbar: Das ist die richtige Forderung, weil sie unverzichtbar ist.

Alle Gremien der Region haben dafür gestimmt, dass „der Staat zur Enteignung schreitet, damit einer der bereitstehenden Bewerber das Werk übernehmen kann.“ Diese Voten waren einstimmig.

Bei M-real und Petroplus kennen sich die Beschäftigten jetzt und sie machen gemeinsame Aktionen. So gewinnt die Idee, dass die Beschäftigten sehr wohl auf einen Chef verzichten können, neue Anhänger­Innen.

Übers.: D. B.

 

Auch das protektionistische Gift ist am Werk
Als Mélenchon bei Pétroplus war, hat er sich auch für die Verteidigung der nationalen petrochemischen Industrie …seit François dem Ersten, ins Zeug geworfen. „Der Raffinerie-Sektor ist ein wesentliches Element des nationalen Wirtschaftspotenzials. Seine Verlagerung stellt die Energie-Unabhängigkeit des Landes infrage.“ Man könnte darüber fast vergessen, dass Frankreich kein Rohöl produziert und dass die Geschichte der Ölmultis vom Schatten der kolonialen Ausplünderung gekennzeichnet ist. Wer sich in den Wirtschaftskrieg der „Umweltvisa und sozialen Visa für alle Waren“ begibt, die „nach Europa kommen“, der treibt die Arbeiter­Innen aller Länder in einen Wirtschaftskrieg zur Unterstützung ihrer jeweiligen Bosse, die „Opfer einer unlauteren Konkurrenz“ sind. Leider folgen die Gewerkschaften dieser Art von Argumentation.
Wir hingegen verfolgen den Weg des Öffentlichen Dienstes auch für den Energiesektor, was der Konkurrenz und den Verlagerungen den Boden ent
ziehen würde und die Völker miteinander verbinden kann.
Vor wenigen Wochen verwies Jean-Paul Lecocq, stellvertretender KP-Bürgermeister, stolz darauf, dass heute jeder die Losung übernehme, die die KPF seit lange aufstelle: „in Frankreich produzieren“. Wir wissen sehr wohl, dass die KPF und die Linksfront auch beteiligt sind am Kampf gegen die Front national, aber wie kann mensch denn die Augen davor verschließen, dass das Öffnen dieser Tür Marine Le Pen einen richtigen Boulevard anbietet, wo sie dann nur noch hinzufügen muss: „mit französischen Arbeitern“. Der Rückkehr zum nationalen Kapitalismus ist eine Utopie, die uns von unsrem grundlegenden Kampf entfernt, nämlich die Einheit der Lohnabhängigen herzustellen – ganz gleich, welcher Nationalität sie sind – gegen ihre Bosse. Alle Pétroplus-Raffinerien in Europa (in Frankreich, der Schweiz, Belgien, Deutschland) sind heute bedroht. Können wir die 2500 Beschäftigten hinter der Parole „in Frankreich produzieren“ zusammenbringen?

 

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite