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Schiffbruch und Rassismus

Von Klaus Engert | 14.02.2012

Als Robinson Crusoe nach seinem Schiffbruch an den Strand einer Insel gespült wurde, gab es dort weder „Die guten Menschen von Giglio“ (Spiegel-online), wie für die Passagiere der havarierten „Costa Concordia“, noch mit Stacheldraht umzäunte Massenlager, wie für die boat people im Mittelmeer auf Lampedusa. Es gab nur eine Insel und ihn. Ein wahrhaft klassenloses Setting.

Als Robinson Crusoe nach seinem Schiffbruch an den Strand einer Insel gespült wurde, gab es dort weder „Die guten Menschen von Giglio“ (Spiegel-online), wie für die Passagiere der havarierten „Costa Concordia“, noch mit Stacheldraht umzäunte Massenlager, wie für die boat people im Mittelmeer auf Lampedusa. Es gab nur eine Insel und ihn. Ein wahrhaft klassenloses Setting.

Wenn ein Luxuskreuzfahrtschiff vor Italien auf Grund läuft, wird jeder einzelne Tote gezählt, es wird akribisch geforscht, wie viele Vermisste es gibt, es gibt Artikel zu den Sicherheitsbestimmungen für Kreuzfahrtschiffe, Diskussionen über Notfallübungen, Navigation, Routenvorgaben und herzergreifende Berichte über das individuelle Schicksal der Davongekommenen („Hatten wir eine Angst“). Und damit seichen dann alle Medien, von der „Tagesschau“ bis zur „BILD“, tagelang ihre Bildschirme und Blätter voll und kritisieren, dass die Geretteten nicht innerhalb von 24 Stunden zuhause waren.

Das Letztere ist so ziemlich das Einzige, was die boat people der „Concordia“ mit denen auf den zahllosen seeuntüchtigen, überladenen Schaluppen gemeinsam haben, die zwischen Tunesien und Italien, Libyen und Malta, Marokko und den Kanaren versuchen, unerträglichen Zuständen zu entkommen: Auch bei ihnen besteht die sogenannte öffentliche Meinung darauf, dass sie schnell wieder nach Hause sollen – wenn auch aus anderen Gründen.

Aber über die Toten wie (Über)lebenden wird im letzteren Fall nicht in ergreifenden Einzelschicksalen, sondern in nüchternen Summenformeln berichtet. Etwas anderes wäre ja auch viel zu platzraubend: Eine Schätzung des Briten Michael Pugh von 2004 kam auf eine Untergrenze an Ertrunkenen, die versucht hatten, von Afrika nach Europa zu kommen, von jährlich 4000. Das UN-Flüchtlingshilfswerk geht davon aus, dass pro gefundene Leiche 45 weitere Menschen ertrunken sind und kommt auf dieser Basis zu durchschnittlich 2300 Ertrunkenen pro Monat.
Es wäre ja auch zu viel verlangt, den Kapitän der „Concordia“, der in Haft genommen wurde, mit den FRONTEX-Schiffsführern zu vergleichen, die nach einem Bericht von REPORT Mainz im Jahr 2009 Tausende von Bootsflüchtlingen auf See zur „Umkehr“ gezwungen hatten. In letzterem Fall ist auch die Möglichkeit einer Schadenersatzklage eher gering einzuschätzen. Und ein Staatsanwalt hat sich bisher auch nicht mit den Tätern beschäftigt.

Aber es ist nicht allein das Inflationäre, Abstumpfende dieser wiederkehrenden Meldungen über die unvorstellbar hohen Zahlen von Bootsflüchtlingen, die sie für den Boulevard – und der findet heute überall statt – untauglich machen. Nein, es müssen dann schon („Verwandte von Titanic-Opfer überleben Havarie“- Spiegel-online) besondere Menschen sein, die man mit einem richtig schönen human touch und spätem happy end – sie haben ja überlebt! – verkaufen kann. „Unterernährter schwarzer Analphabet wird aus dem Wasser gezogen“ würde sicher nicht einen Bruchteil der entscheidenden Klicks generieren, die die erstere Meldung bringt, und die in der vernetzten Welt das Klingeln der Registrierkasse inzwischen ersetzt haben.

Oder, am besten, es müssen Deutsche sein. Die werden extra gezählt. Und da haben natürlich die boat people aus Afrika ein Imageproblem. Es waren bisher noch keine Deutschen darunter. Deutsch-Südwest hat eine recht ungünstige Lage zum Mittelmeer.

Der entscheidende Unterschied aber ist schlicht folgender: Die auf der „Concordia“ über das Mittelmeer schipperten, die haben zwar für die Fahrt wahrscheinlich nicht wesentlich mehr bezahlt als die armen Schweine, denen die Schlepper auf ihrem Leidensweg von Somalia bis Lampedusa buchstäblich alles bis auf das letzte Hemd genommen haben, aber sie taten das, was sie taten, nämlich Schiffchen fahren, zum Spaß. Selbst wenn man einmal davon absieht, dass sie wahrscheinlich zu unwissend, um nicht zu sagen zu dumm sind, als dass man Einsicht darein erwarten könnte, dass der Schiffsverkehr so ziemlich das Schmutzigste und Klimaschädlichste ist, was Verkehr so bieten kann, so sollten sie doch eigentlich wissen, dass die christliche Seefahrt – von der muss man bei einem italienischen Kapitän immerhin ausgehen – seit jeher mit einem gewissen Risiko behaftet ist.

Man könnte nun natürlich einwenden, dass die Menschen auf der „Concordia“ ja auch in gewissem Sinne Heimatvertriebene sind, die die Leere ihrer häuslichen Existenz auf das Oberdeck eines schwimmenden Gefängnisses getrieben hat. Aber entsetzlicherweise sind sie sich dessen noch nicht einmal bewusst und damit das ideale Kanonenfutter für eine ekelerregende Medienlandschaft, die das Massenelend in den Europa umgebenden Gewässern auf das individuelle Schicksal einiger erlebnishungriger Mitteleuropäer eindampft. Dass dabei der Börsenkurs des Kreuzfahrtmultis Carnival gleich noch mit erörtert wird, versteht sich bei dieser Art von Berichterstattung von selbst.

Wenn der Kapitän der „Costa Concordia“ klug ist, wird er irgendwann aus dem Knast heraus ein Buch veröffentlichen – das wird mit ziemlicher Sicherheit ein Bestseller.

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