Zum Bundestagswahl-Programmentwurf der LINKEN 1.
2. 3. 4. Bei Parteimitgliedern und WahlkämpferInnen ist die Bedeutung eines solchen Wahlprogramms schon heikler. Wenn sie nicht nur bunte Zettel verteilen sollen, die eine äußerliche Werbeagentur fabriziert hat, wenn sie wirklich überzeugen wollen, dann ist eine strategische Linie zu einer tatsächlichen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse gepaart mit einer im positiven Sinne tiefen Verachtung gegenüber dem Bestehenden unerlässlich. Sie werden mit dem üblichen Vorwürfen konfrontiert, das sie gescheiterte SozialistInnen wären. Vorwürfe und Vorurteile überwindet mensch aber am besten, wenn sie bestätigt werden: eine präzise und selbstbewusste Selbstdarstellung, das es ja genau stimmt, wir sind SozialistInnen und haben gute Gründe dafür, und jeden Tag liefert uns diese Krise mehr. Aber hier drückt sich der Programmentwurf an allen echten und eingebildeten Türpfosten vorbei und verschenkt ungeahnte argumentative Schlagkraft. Auf jeder Seite des Textes prangt sozusagen eine dicke, fette Leerstelle: wo soll das alles hinführen, was ist der strategische Sinn. Es bleibt allein das individualisierte Versprechen, das es einem besser gehen wird, wenn die LINKE gewählt ist – das ist aber ein Versprechen ungefähr auf gleicher Ebene wie die Fernsehlotterie. Der strategische Mangel des Wahlprogramms, der sich ja auch in fast allen der Flyer und Poster der LINKEN wiederholt, wird aber vollends zu einer schmerzlichen Erfahrung, angesichts der tausenden realpolitischen Konflikte, in denen die Parteimitglieder ebenso wie unsere WählerInnen und vor allem Noch-Nicht-WählerInnen jeden Tag stehen und wo sie ihre eigenen politischen Antworten auf die Krise geben müssen. In diesen Konflikten ist stets die Machtfrage angelegt, mal im Kleinen, mal im Großen. Eine politische Partei, die in diesen Konflikten nützlich sein will, gewählt werden will, muss deshalb ebenfalls die Macht- und Eigentumsfrage in strategischen Mittelpunkt stellen. Die Frage, die sich millionenfach in den Betrieben, und in der Krise immer häufiger sehr heftig, aber auch für Erwerbslose, Rentner, Studierende stellt ist einfach: sollen wir weiterhin enteignet werden, oder werden endlich mal “die” enteignet. Die LINKE darf Enteignungen und Vergesellschaftung oder dorthin führende Verstaatlichungen nicht als ultima ratio, als Notlösung oder ähnliches erklären, sondern als notwendige Voraussetzungen einer wirklichen gesellschaftlichen Veränderung. Der strategische Weg geht über den Aufbau wachsender Strukturen von Gegenmacht – vom einfachen Neinsagen, eigene Forderungen entwickeln, über Blockaden, Streiks, Betriebsbesetzungen. Das Konzept hat sein Jahrzehnten in der sozialistischen Arbeiterbewegung einen Namen: Arbeiterkontrolle. Im genauen Gegensatz dazu steht ein Konzept der klassenunspezifischen “Wirtschaftsdemokratie”. Der seit langem tobende Streit in der Gewerkschaftsbewegung dreht sich exakt um diese Frage. Auch da darf eine LINKE nicht neutral bleiben. Eine solche Strategie der Gesellschaftsveränderung fehlt dem Wahlprogramm leider vollständig, weil ihm keine Klassenanalyse des Kapitalismus zu Grunde liegt. Die strategischen Punkte sind hilflos, konzeptlos und rar verstreut, oftmals auch desorientierend, wie in der Frage der Wirtschaftsdemokratie. Sämtliche Forderungen und Einzelpunkte bleiben deshalb papierne Losungen, ohne wirkliches Leben. Die strategische Linie wäre in wenigen Worten deutlich zu machen. Was soll der scholastische Quatsch um solche Begriffe wie “abschaffen” oder “überwinden”? Wir sollen, müssen können uns dem Kapitalismus und seinen politischen Sachwaltern in den Weg stellen. Die ökonomische und politische Macht des Kapitals wollen wir schwächen. Ein Großkonzern, der in der Krise ist, muss deshalb nicht erst wieder aufgepäppelt werden, damit er dann seinen Beschäftigten etwas mehr Einkommen überlässt. Nein, die Krise muss genutzt werden, diesen Konzern zu entmachten, ihn unter gesellschaftliche Kontrolle zu nehmen. Auf der anderen Seite muss die ökonomische und politische Macht der ArbeiterInnenklasse gestärkt werden. Deshalb sind wir für Lohnerhöhungen, mehr Arbeitervetorechte, politische Kontrolle über die Produktion, für Streiks und Betriebsbesetzungen. Rein textlich betrachtet, ist es eine leichte Übung, den Programmentwurf in diesem Sinne neu zu ordnen und vom Kopf auf die Füße zu stellen. Problematischer ist allerdings, dass der Programmentwurf auch der Bewusstseinslage der Partei entspricht. Da ist mehr als eine Textkorrektur nötig. Aber auch hier bleibt als Fazit: Die Menschen, die seit langem und jetzt wieder noch einmal verstärkt, den Klassenkampf von oben spüren, verlangen von einer linken Partei, die für sie die Stimme erhebt, eine Strategie und konkrete Forderungen des Klassenkampfs von unten. Leider wird die LINKE mit ihrem Wahlprogramm dieser gesellschaftlichen Erwartung und diesen gesellschaftlichen Möglichkeiten nicht gerecht. Aus Angst vor dem Tod lieber Selbstmord begehen, wird das passende Seelendilemma genannt. 5. Der Kampf gegen die Massenerwerbslosigkeit muss viel deutlicher in einen Komplex zusammengefasst werden, der aus drei Elementen besteht: Schnelle und radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust und mit garantierter Personalaufstockung; einer Arbeitslosigkeitsversicherung, die ihren Namen verdient, mit deutlicher Verlängerung der ALG-1 Bezugsdauer und Erhöhung der Transferzahlungen und drittens einer menschenwürdigen Grundabsicherung mit Mindestlohn und erhöhten Regelsätzen ohne Sanktionen. Wenn Banken, Energiekonzerne vergesellschaftet werden sollen, warum nicht andere große Konzerne, die heute eher mehr ihr Unwesen treiben (Automobilbranche, Chemieindustrie). Vergesellschaftung heißt mindestens dreierlei: die politische Entmachtung und Enteignung durch Staatsübernahme, die Veränderung der Konzerne in Gebrauchswert orientierte Größen und Ausrichtungen; der systematische Ausbau der Arbeiterkontrolle und genossenschaftliche Besitzübernahme. In der Außenpolitik muss die Anti-Kriegsorientierung schärfer werden: die deutsche Regierung, gerade die, muss mit einseitigen Schritten vorausgehen: Einstellung der Rüstungsproduktion (mit Asbest ging es ja auch); Austritt aus der Nato; Abzug der Atomraketen der US-Armee; komplette Demobilisierung der Bundeswehr. In der Innenpolitik sticht der Verzicht auf die Forderung nach Auflösung der Geheimdienste hervor. Warum eigentlich? Diese Forderung wäre nun wirklich in einer halben Legislaturperiode ohne sonstige Erschütterungen umzusetzen. In der Umweltpolitik sollte eine Forderung nach Stopp der Neubauten und Planungen für Kohlegroßkraftwerke. Fast jeder Landesverband der LINKEN ist in entsprechende Kämpfe und Bürgerbegehren involviert. Der Ausstieg aus Kohle und Atom ist heute mit sehr kurzen Fristen machbar, er scheitert allein an den politischen Macht- und Eigentumsverhältnissen. Auch die jüngste Variante der LINKEN in Sachen Pendlerpauschale (direkte Gutschrift auf die Steuerschuld oder Rückzahlung) macht die verheerenden ökologischen Auswirkungen dieser Automobilsubvention nicht kleiner. Hier sollte die LINKE endlich die von mir unermüdlich verfolgte Linie, Bezahlung der Fahrtzeit als Arbeitszeit, verfolgen. Nur dadurch wird das Kapital gezwungen, Zersiedelung, lange Arbeitswege usw. zu reduzieren. In der Kulturpolitik oder wo auch immer sonst, fehlt ein deutlicher anti-religiöser Impuls. Dass eine völlige Trennung von Staat und Kirchen, Abschaffung der Kirchensteuer sinnvoll sind, haben doch schon vor Jahrzehnten Jungdemokraten und Jusos erkannt. In der Steuerpolitik fehlt eine klare Orientierung gegen alle indirekten Steuern, allen voran der Mehrwertsteuer, zugunsten einer progressiven Besteuerung der Einkommen. Wenn zu diesen Punkten noch Änderungen kommen, umso besser. Wer nicht weiß, wo er hin will, wird sich wundern, wo er ankommt. Thies Gleiss, am Vorabend eines “Kapitalismuskongresses”… 14.05.2009 |