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Zur 20. Fußball-WM in Brasilien: „Spielwiesen für das Großkapital“

Von Oskar Kuhn | 01.07.2014

So bezeichnete bereits im Dezember 2011 die UN-Berichterstatterin Raquel Rolnik in einem Interview den damaligen Stand der Vorbereitung für den „FIFA-World Cup“ der Männer in Brasilien. Kein anderes kommerzielles Einzelsportereignis erreicht eine solche weltweite Bedeutung und Beachtung.

So bezeichnete bereits im Dezember 2011 die UN-Berichterstatterin Raquel Rolnik in einem Interview1 den damaligen Stand der Vorbereitung für den „FIFA-World Cup“ der Männer in Brasilien. Kein anderes kommerzielles Einzelsportereignis erreicht eine solche weltweite Bedeutung und Beachtung.

Selbst Kriege, soziale Unruhen und Naturkatastrophen treten vor „König Fußball“ in den Hintergrund. Über allem thront die FIFA, die Fédération Internationale de Football Association. Dem Weltfußballverband mit Sitz in Zürich gehören aktuell 209 Nationalverbände an. Diese müssen gleichzeitig Mitglied eines von sechs Kontinentalverbänden sein. Dies sind die Asian Football Confederation (AFC), die Confédération Africaine de Football (CAF), die CONMEBOL für Südmerika, die CONCACAF für Nord-, Mittelamerika und die Karibik, die Oceania Football Confederation (OFC) und die UEFA für Europa.

Die Spiele einer Weltmeisterschaft werden von mehr als 1 Milliarde Menschen in unterschiedlicher Form interessiert verfolgt. Eine derartige Nachfrage ist Quelle und Ziel einer vielfältigen und mittlerweile gigantischen Kapitalisierung:

  • Die Gewährung der weltweiten Fernsehrechte
  • die Erlöse durch das weltumspannende Sponsoring
  • das Merchandising durch FIFA-Lizenzen für Produkte vom Panini-Bild bis zur Pkw-Sonderedition
  • die Erlöse aus dem Ticketverkauf
  • die vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Gastgeberlandes gegenüber der FIFA.

Von 2003 bis 2006 erzielte die FIFA bei Erträgen von 3,328 Milliarden Franken einen Gewinn von 816 Millionen Franken. Allein 2006 wies sie einen Gewinn von 303 Millionen Franken aus und bezahlte dafür nur 1,06 Millionen Franken an Steuern, da die FIFA als nicht gewinnorientierte Organisation gilt und wie ein Verein besteuert wird. Laut dem Sportmagazin kicker verfügt die FIFA über ein Kapital von 1,166 Milliarden US-Dollar. Etwa 70 Prozent der Einnahmen fließen in verschiedener Form wieder an den Fußball zurück.2

Die FIFA geniest ein faktisches weltweites Monopol. Dieses Monopol sichert nicht nur eine konstant hohe Rendite, es verleiht auch politische Macht und Einfluss.

Als Napoleon sinnierte, mit Bajonetten könne man alles machen, außer sich daraufsetzen, kannte er noch nicht die diesbezügliche Macht des kommerziellen Sports im Allgemeinen und des Profifußballs im Besonderen.

Der Fußball ist nicht nur ein Ventil im Klassenkampf, er befördert offenkundig auch die internationale Reputation durch die Ausrichtung einer Fußballweltmeisterschaft. Immerhin nehmen die ausrichtenden Länder enorme finanzielle und organisatorische Verpflichtungen gemäß den FIFA-Vorschriften auf sich.

Doch die Zeche wird gemäß der Klassenstruktur aufgeteilt. Lukrative Bauaufträge und Lieferverträge für das Kapital, Zwangsumsiedlungen, Kürzungen bei Bildung und sozialer Fürsorge sowie Polizeirepression wie jüngst in Brasilien für die lohnabhängige Klasse. Am Ende sind wenige reicher und viele ärmer.

Der Blick aus einer Favela-Blechbaracke auf eine millionenschwere und kaum genutzte WM-Arena wird die Perspektive nicht verschönern und schon gar nicht verbessern. Das gilt in Johannesburg genauso wie in São Paulo.

Besondere Erwähnung verdient der Umstand, dass seit der WM 2006 in Deutschland die FIFA-Erlöse aus der jeweiligen Weltmeisterschaft steuerbefreit sind. Dieses Zusatzgeschenk der damaligen Berliner Großen Koalition an die FIFA findet sein geschichtliches Vorbild in den Verträgen zur Sicherung einer Exterritorialität für die führenden Kolonialmächte im China des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Unbedingte Unterstützung verdienen deshalb die seit dem Confed-Cup 20133 durch zahllose Aktionen und Demonstrationen vorgebrachten Proteste gegen die sozialen Folgen der Kumpanei von FIFA und brasilianischer Regierung. Auslöser ist die offenkundige Diskrepanz zwischen den Erfordernissen einer besseren Bildung und Wohlfahrt auf der einen Seite und der milliardenschweren Förderung einer unsinnigen Infrastruktur mit einer Nachhaltigkeit von vier Wochen. Die AktivistInnen bezeichnen sich vielfach selbst als Anhänger des Ballsports und dokumentieren damit, wie weit sich der kommerzielle Fußball von seiner Basis entfernt.

Dabei geht das System Fußball offenkundig über Leichen, wenn wir den Recherchen des dänischen Journalisten Mikkel Keldorf folgen: In seinem Dokumentarfilm The Price of the World Cup, berichtet er, dass Straßenkinder in den Austragungsorten der WM-Spiele gezielt verschleppt und ermordet worden seien, weil sie „nicht ins Bild passen, das die brasilianischen Veranstalter den Touristen von ihren Städten vermitteln wollen“. Sie würden also deshalb „nachts im Schlaf erschossen und aus den Touristenvierteln entfernt“. Eine lokale Hilfsorganisation habe allein in Fortaleza „121 tote Straßenkinder gezählt“.4

Der einst originär proletarische Sport Fußball ist seit langem zur Spielwiese des Großkapitals geworden. Nicht allein zwischen sogenanntem Amateur-5– und Profifußball ist ein großer Graben aufgetan worden.

Im internationalen Profifußball geben die mächtigen Landesverbände, gestützt auf die lukrativen und vertraglich ausgesonderten Premiumligen (Premier League in England, Primera Division in Spanien, DFL in Deutschland) den Ton an. Hierhin fließen Kapital und „Spielermaterial“.

Ein Weltmeister aus Ghana, Costa Rica oder Bosnien-Herzegowina wird zum romantischen Traum oder der Verzweiflungstat eines Zockers im umsatzstarken Totogeschäft. Der sogenannte Fair Play-Gedanke, der sportlich Beste möge gewinnen, weicht dem Diktum des Kapitalismus, die Solventen werden sich durchsetzen. So werden in konzentrierter Form alle Merkmale der herrschenden Ökonomie und Gesellschaft reproduziert.

Wer der sportlich vorübergehend Beste ist, kann nur eine Gesellschaft der Gleichen feststellen. Wer den Fußball liebt, sollte in dieser Hinsicht eine sozialistische Gesellschaft schätzen lernen.

Die Nicht-Fußballfans mögen unsere Begeisterung für den Sport mit Nachsicht behandeln, das FIFA-System verdient diese Nachsicht nicht.

1 taz.de, 27. Dezember 2011

2 Quelle: Wikipedia

3 Der Confed-Cup wird jeweils ein Jahr vor einer WM als Probelauf im kommenden Gastgeberland zwischen den Kontinentalsiegern ausgetragen. Finanzieller Sieger schon vor Anpfiff: FIFA.

4 Quelle: Wikipedia

5 Auch im Amateurfußball geht es um beträchtlichen finanziellen Aufwand. Die Verschuldungsrate der meisten Amateurvereine ist enorm und verdient einen gesonderten Artikel.

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