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TTIP, TISA, Ceta, EPA und WTO: Welche Strategie steckt hinter den neoliberalen Freihandelsabkommen?

Von K. Hasse | 30.10.2014

Während in Europa die Proteste gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA („Transatlantic Trade and Investment Partnership“, TTIP) zunehmen, wurde im Juni bekannt, dass die beiden Wirtschaftsmächte im Verborgenen einen weiteren Freihandelsvertrag mit dem Namen TISA vorantreiben.

TISA steht für „Trade in Services Agreement“, zu deutsch „Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“. TISA ist politisch hochbrisant. Der bekannt gewordene Artikel 11 verlangt beispielsweise, dass jedes TISA-Mitgliedsland Finanzkonzernen erlauben muss, Informationen aus seinem Gebiet über Ländergrenzen hinweg frei zu transferieren. Das bedeutet nichts anderes als einen Generalangriff auf bestehende EU-Datenschutzrechte. So könnten danach private Kontodaten aus den EU-Mitgliedsländern ganz offiziell und frei in die USA fließen – wo sie von Regierung und Geheimdiensten direkt in Empfang genommen werden.

Eine weitere TISA-Klausel beschäftigt sich mit Notfallmaßnahmen gegen Finanzkrisen und dem Schutz der Sparer. Es wird postuliert, dass ein Land seine Pflicht zur Marktöffnung nicht vernachlässigen dürfe. Bei einer TISA-Verabschiedung müssten Regierungen künftig bei jedem Gesetz beweisen, dass es den Freihandel nicht bremst, was einen möglichen Widerstand gegen zukünftige Finanzkrisen untergräbt.

Neben TISA und TTIP gibt es momentan ein weiteres Abkommen, das die EU-Kommission bereits mit Kanada ausgehandelt hat: Ceta. Auch Ceta wird massiv kritisiert, da es ähnliche Inhalte wie TTIP enthält.

Allen 3 Abkommen (TTIP, TISA, Ceta) ist gemein, dass sie massive Angriffe auf demokratische Standards enthalten und sich gegen ökologische, soziale und Verbraucherschutzrechte wenden. Der Begriff Freihandel steht dabei nicht nur für klassische Handelsinteressen sondern auch für freien Kapitalverkehr.

Freihandel – warum?

Woher rührt das Interesse der kapitalistischen Konzerne und Staaten an Freihandelsverträgen? Zunächst existiert in den entwickelten kapitalistischen Ländern eine enorme Kapitalüberproduktion und damit haben die Konzerne wachsende Schwierigkeiten, ihr Kapital im Heimatland zu reinvestieren. Als Ausweg agieren sie zunehmend im internationalen Rahmen. Das ist die eigentliche Ursache der Globalisierung. Lag der Welthandel 1953 bei nur 84 Mrd. US-Dollar und 1973 bei 0,6 Billionen, so hat er jetzt ein Volumen von knapp 20 Billionen US-Dollar.

WTO-Gründung

Ein anderer Grund ist politischer Natur. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Rückführung Chinas in das kapitalistische Weltsystem haben die führenden kapitalistischen Mächte USA und EU die nötige Ellbogenfreiheit, um ihre globalen Investitions- und Handelsinteressen verstärkt durchzusetzen. Es war daher kein Zufall, dass die Welthandelsorganisation (WTO) 1995 just in dieser Phase gegründet wurde. Die USA und die EU versuchten die WTO nach der Gründung für ihre wirtschaftlichen Interessen zu instrumentalisieren. Sie sollte im Sinne einer neoliberalen Strategie insbesondere den Dienstleistungs- und Agrarsektor liberalisieren und sog. nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen. Erstes Angriffsziel waren die Entwicklungs- und Schwellenländer. Doch auf der nach dem Konferenzort Doha genannten Doha-Runde passierte Unerwartetes. Die Entwicklungs- und Schwellenländer formierten sich zu einem Block und lehnten die bedingungslose Öffnung ihrer Länder für westliche Dienstleistungskonzerne und Investoren sowie die totale Freigabe des Agrarsektors ab.

Die USA und die EU, die ihren Konzernen neue internationale Aktionsfelder verschaffen wollen, arbeiten seit diesem WTO-Misserfolg mit einer differenzierten Freihandelsstrategie. Einerseits schließen sie Abkommen mit Entwicklungsländern und andererseits wollen sie große Blöcke formieren.

Freihandelsabkommen mit Entwicklungsländern

Ein Angriffsziel der EU sind die afrikanischen Staaten. Die EU will ihnen sog. EPAs („Economic Partnership Agreements“) aufzwingen, wogegen diese sich wehren. Dagegen hat die EU den Afrikanern ein Ultimatum gesetzt: Bis Oktober sind die EPAs umzusetzen – andernfalls verlieren die widerspenstigen Länder ihren Zugang zum EU-Markt. Allerdings hat es die EU mit Teilabkommen bereits geschafft, in viele afrikanische Länder ihre hoch subventionierte landwirtschaftliche Überschussproduktion zu drücken. Weithin bekannt ist der Export von Geflügelprodukten aus europäischen Mastfabriken. Es geht dabei um C-Ware, die in europäischen Supermärkten nicht mehr verkäuflich ist, aber für Afrika als gerade gut genug angesehen wird: Hühnerfüße, Innereien und Flügel. In Afrika werden sie mittlerweile in vielen Ländern zu Dumpingpreisen auf lokalen Märkten vertrieben. Gleiches gilt für europäische Tomaten, Zwiebeln oder Milchpulver. Die afrikanischen Kleinbauern sind gegen diese agroindustriellen Produkte chancenlos und werden durch den Freihandel in die Verelendung getrieben.

Strategische Freihandelsblöcke

Mit dem Freihandelsabkommen TTIP soll ein Block aus den USA und der EU mit über 800 Millionen Menschen geschaffen werden. Ein wesentliches Ziel von TTIP besteht darin, dass der euro-amerikanische Wirtschaftsraum als Gegengewicht insbesondere gegen den aufstrebenden chinesischen Kapitalismus entwickelt wird.

Eine ähnliche Funktion kommt dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP („Transpacific Partnership“) zu, das die USA zusammen mit 11 Pazifik-Anrainerstaaten anstreben – mit explizitem Ausschluss von China. Damit wollen die USA die ökonomische Ausdehnung Chinas in Asien ausbremsen und das Land isolieren.

Initiative „Stop TTIP“
Hinter der europaweiten Initiative stehen knapp 150 Organisationen aus 18 EU-Mitgliedsländern. In Deutschland koordinieren die Organisationen Attac, Campact, BUND, Mehr Demokratie e.V., das Umweltinstitut München und der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) die EBI. Auch Brot für die Welt, der Deutsche Kulturrat und die GEW gehören dem stetig wachsenden Bündnis an.

In Deutschlang sind mehr als 70 Organisationen beteiligt und rufen zum europaweiten Aktionstag am 11. Oktober auf.
www.ttip-unfairhandelbar.de/

In jedem Fall würden diese Freihandelsabkommen, wenn sie denn erfolgreich installiert würden, das wirtschaftliche Weltklima deutlich in eine noch stärkere neoliberale Ausrichtung treiben. Dies würde auch den Druck auf die Entwicklungs- und Schwellenländer erhöhen, ihren Widerstand einzustellen und sich den Forderungen aus den USA und der EU anzupassen.

Investitionsschutzklauseln und Schattengerichte

Besonders bedeutsam für die neoliberale Strategie ist das Einfügen von sog. Investitionsschutzklauseln in die Freihandelsverträge. Auch in TTIP, TPP, TISA und Ceta sind sie enthalten. Die EU-Kommission und Obama sind offene Verfechter dieser Klauseln. Das wesentliche Element in ihnen ist die Einsetzung von Schiedsgerichten, mit denen Konzerne das Recht bekommen, Staaten zu verklagen. Die „Gerichte&l
dquo; setzen sich aus 3 Wirtschaftsanwälten zusammen, einem Vertreter der Konzerne, einem Vertreter des beklagten Staates und einem angeblich „neutralen“ Anwalt. Die Sitzungen dieser Pseudogerichte werden üblicherweise in Hotels in London oder New York abgehalten. Gegen die Entscheidungen gibt es keine Berufungsmöglichkeiten.
Firmen können solche Schattengerichte anrufen, wenn sie glauben, dass durch staatliche Entscheidungen ihre Investitionen im Ausland an Wert verlieren. Dann können Länder oder auch Kommunen zu Entschädigungen verklagt werden, die um sehr hohe Summen gehen und für „entgangene Gewinne“ stehen.

Schattenjustiz: Das Beispiel NAFTA

Das Freihandelsabkommen NAFTA, das zwischen den USA, Kanada und Mexiko abgeschlossen wurde, illustriert beispielhaft, wie diese Investitionsschutzklauseln praktisch funktionieren: Das US-Unternehmen Ethyl Corporation produziert die hochtoxische Substanz MMT, eine Mangan-Kohlenwaserstoff-Verbindung, die dem Benzin beigesetzt wird. Aus Gesundheitsschutzgründen verbot Kanada 1997 diesen Stoff. Daraufhin verklagte Ethyl die kanadische Regierung vor einem Schiedsgericht auf 350 Millionen Dollar Schadensersatz wegen des entgangenen Profits. Die Regierung in Ottawa kapitulierte nach einigen Monaten, hob das MMT-Verbot wieder auf und zahlte 19,5 Millionen Dollar Wiedergutmachung an Ethyl.

Das Beispiel zeigt, dass Investitionsschutzklauseln von den Konzernen als trojanisches Pferd genutzt werden können, um Privatisierungen im Trinkwasserbereich voranzutreiben, Fracking durchzusetzen oder privaten Gesundheitsdienstleistern den Weg zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen zu ebnen.

TTIP im Mittelpunkt

Im Mittelpunkt der kommenden Auseinandersetzungen stehen das TTIP-Abkommen, aber auch TISA und Ceta. Gegen TTIP hat sich in Europa bereits ein ungewohnt breiter Widerstand formiert, der bis in das bürgerliche Lager reicht. Der Vertrag soll noch bis Ende 2015 verhandelt werden. Unter dem Druck der Gegner ist es wahrscheinlich, dass das Abkommen in den nationalen EU-Parlamenten abgestimmt werden muss. Die Chancen für einen Erfolg sind angesichts der Breite des Widerstands günstig. Der Widerstand gegen TTIP, TISA und Ceta muss auch auf die Straße getragen werden. Da die Lohnabhängigen zu den ersten Opfern der Freihandelspolitik zählen, sollten die Gewerkschaften dafür gewonnen werden, Arbeitsniederlegungen zu organisieren. Dann werden sich die neoliberalen Zumutungen sehr schnell in Luft auflösen.

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