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Betrieb & Gewerkschaft

Ver.di streikt: Gewerkschaftsführung in der Zwickmühle

Von Thadeus Pato | 01.04.2006

Frank Bsirske war sauer: Wie zu hören war, flippte er während einer Sitzung der Tarifkommission regelrecht aus und beschimpfte die ver.di-Provinzfürsten, weil sie nur schleppend Solidaritätsaktionen organisierten.

Frank Bsirske war sauer: Wie zu hören war, flippte er während einer Sitzung der Tarifkommission regelrecht aus und beschimpfte die ver.di-Provinzfürsten, weil sie nur schleppend Solidaritätsaktionen organisierten.

Die ersten Abschlüsse im Rahmen der ver.di-Tarifkämpfe, besonders der in Hamburg, ließen nichts Gutes erwarten. Wie wenig dieser Abschluss der Stimmung unter den Beschäftigten entsprach, ließ sich am Urabstimmungsergebnis ablesen: Nur 42% stimmten dafür. Und damit war klar, dass ein ähnliches Einknicken in der Arbeitszeitfrage, aber auch bei den Lohnforderungen, in den anderen Tarifbezirken für die ver.di-Führung bedeuten würde, nicht nur jeglichen Kredit bei der eigenen Mitgliedschaft (und besonders bei den im Laufe des Arbeitskampfes neu eingetretenen Mitgliedern) zu verspielen, sondern auch bei der Gegenseite als Papiertiger dazustehen. Damit erklären sich die Reaktion in Baden-Württemberg, wo in den Verhandlungen mit den Kommunen der von den Schlichtern vorgelegte Kompromiss abgelehnt wurde, und die inzwischen wahr gemachte Ankündigung, die Streikaktionen noch auszuweiten.
Druck von unten
Erstmals seit langer Zeit steht die Gewerkschaftsführung unter ungeheurem Druck von unten. Gerade im Gesundheitsbereich, wo seit Urzeiten das erste Mal überhaupt ernsthaft gestreikt wird, wo Menschen in Bewegung geraten, sich einsetzen und dafür auch Ergebnisse sehen wollen, steht viel auf dem Spiel. Ein Ergebnis wie in Hamburg würden KollegInnen, die zum Beispiel in Essen bereit sind, bei Bedarf auch schon mal kollektiv die Geschäftsführung zu „besuchen“, als Niederlage begreifen.
Langsam scheint es allerdings auch einigen PolitikerInnen zu dämmern, dass sie dieses Mal den Bogen überspannt haben und dass ihre Rechnung, mit der Drohung der vor der Tür stehenden Arbeitslosenarmee reale Lohnsenkungen um bis zu 20% durchsetzen zu können, nicht aufgeht. Sie rudern entsprechend teilweise auch schon heftig zurück. Verschärfend kommt hinzu, dass der Arbeitskampf der Ärzte, die glatte 30% fordern, auch einen gewissen Einfluss auf die Erwartungshaltung der übrigen Beschäftigten im Gesundheitssektor hat.
Damit entsteht eine interessante Lage: Auf der einen Seite eine Schicht von GewerkschaftsbürokratInnen, die es bisher gewohnt waren, die Tarifergebnisse am grünen Tisch mit den VerhandlungsführerInnen der Länder und der Kommunen auszuhandeln und in ihrem Leben zum Teil noch nie einen wirklich harten Streik geführt haben, auf der anderen eine Basis, die offensichtlich die 2002 von attac und der DGB-Jugend geführte Kampagne „Her mit dem schönen Leben“ ernst nimmt und in ungeahntem Ausmaß in Bewegung kommt, sozusagen eine neue Generation von AktivistInnen. Damit hatte in der ver.di-Führung offensichtlich niemand so richtig gerechnet.
Keine Verhandlungsmasse?
Das wäre eine mögliche Erklärung für den grundsätzlichen Fehler in dieser ganzen Tarifrunde. Einer Forderung wie die – in Bayern für Neueinstellungen bereits umgesetzte – der öffentlichen Dienstherren nach Anhebung der Arbeitszeit auf 42 Stunden hätte man logischerweise mit einer Gegenforderung nach Arbeitszeitverkürzung kontern müssen. So stehen jetzt Bsirske und Konsorten vor dem Problem, dass sie praktisch keine Verhandlungsmasse haben.
Je länger der Streik dauert, desto mehr werden die KollegInnen erwarten, dass dabei auch etwas Zählbares herauskommt und nicht nur, wie in den letzten Jahren, etwas weniger Grausamkeit. Das weiß auch die Gegenseite. Doch da gibt es zwei Lager. Auf der einen Seite die Hardliner um den niedersächsischen Finanzminister Möllring, die eine günstige Gelegenheit sehen, der Gewerkschaft ähnlich wie seinerzeit Thatcher in Großbritannien einen schweren Schlag zu versetzen, und auf der anderen die (vorwiegend, aber nicht nur) SozialdemokratInnen, die Angst davor haben, im Rahmen dieses Prozesses die Kontrolle über die Gewerkschaften zu verlieren und merken, dass sie dieses Mal eventuell zu weit gegangen sind.
Im Moment wissen beide Seiten nicht so recht, wie sie elegant aus der Zwickmühle, in der sie stecken, herauskommen sollen. Wahrscheinlich ist, dass am Ende niemand so recht jubeln können wird.
Es könnte ja auch sein, dass die Herren angesichts der Ereignisse in Frankreich etwas Angst bekommen haben. Und wovor sie Angst haben, dass hat neulich ein Abgeordneter der FDP im Bundestag (der sich, auch das außergewöhnlich, mit der Tarifrunde beschäftigte) laut ausgesprochen: Er warf der ver.di-Führung vor, sie wolle den Klassenkampf wieder einführen. Da hat er zwar sicher nicht recht. Aber ob es die FDP oder die DGB-Führung will oder nicht: Er findet derzeit statt, der Klassenkampf. Und er geht weiter.

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