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Innenpolitik

Spagat bis zum politischen Leistenbruch!

Von Oskar Kuhn | 01.04.2006

„Nach monatelanger intensiver Debatte hat die Berliner WASG in zwei demokratischen Abstimmungen entschieden, bei den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September eigenständig anzutreten.“

„Nach monatelanger intensiver Debatte hat die Berliner WASG in zwei demokratischen Abstimmungen entschieden, bei den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September eigenständig anzutreten.“

Dieser Auszug aus einer Pressemitteilung der Berliner WASG von Anfang März 2006 unterstreicht die neue Etappe der Krise auf dem Weg zu einer neuen Linkspartei. Am Ende dieser Krise wird die Konsolidierung der Regierungslinken um die Vorstände aus Linkspartei.PDS und WASG stehen. Mit regierungskritischen und radikalen Elementen wird notfalls der organisatorische Bruch vollzogen, um die Reihen politisch zu säubern und den Vereinigungsfahrplan nicht zu gefährden.
Regieren oder Opponieren?
Wer die momentane Krise als offenen Prozess beschreibt, ihn als normalen innerorganisatorischen politischen Diskurs begreift oder das Nebeneinander der Position der Berliner WASG-Mehrheit und der Vereinigungsbemühungen der beiden Parteivorstände propagiert, lügt sich und anderen die Tasche voll. Ein Bodo Ramelow verliert nicht umsonst die politische Selbstbeherrschung gegenüber der Berliner WASG und übt sich im Aufbau juristischer und satzungsbedingter Drohkulissen. Dabei geht es strategisch weniger um den durchaus als Bedrohung empfundenen Entzug des Fraktionsstatus für die gemeinsame Bundestagsriege durch die WASG-Eigenkandidatur, sondern zu allererst um die Unvereinbarkeit aktueller und künftiger Regierungsbeteiligung mit der Berliner Position der WASG.
Wir haben in der Avanti die WASG als sogenanntes Top-Down-Projekt eingeschätzt. Das heißt, die programmatischen Eckpunkte und das organisatorische Gerüst der Organisation wurden von den Initiatoren aus dem Umfeld der Zeitschrift Sozialismus und aus dem linken Spektrum der Gewerkschaftsbürokratie im Voraus festgelegt. Die Gründung der WASG wurde insbesondere von den Protesten gegen Hartz IV im letzten Jahr vorbereitet und durch die beachtenswerte Mitgliederabkehr von der neoliberalen SPD befördert. Analytisch ignoriert das Programm der WASG allerdings a) die Bundesrepublik als Klassengesellschaft, b) den Klassenkampf als zentrales Mittel der politischen Aktion und c) in dieser Konsequenz Regierungsbeteiligungen als integratives Moment der bürgerlichen Klassenherrschaft.
Altes Rezept neu verschrieben
Zusammen mit der Linkspartei.PDS reduziert die WASG-Führung um Klaus Ernst, Herbert Schui & Co. in der politischen Praxis so die Möglichkeiten linker Politik auf reformistisch-keynesianische Rezepte gegen die neoliberale Krankheit des Kapitalismus. Der Patient Kapitalismus gehört in dieser Logik kuriert und nicht ins wohlverdiente Grab befördert. Zudem lässt sich diese Medizin nachweislich nur in ministeriellen Behandlungszimmern verordnen. Streiks und Demonstrationen nützen dem Ruf nach den keynesianischen Ärzten – Gegenmachtinitiativen wie politischer Streik, Streikkomitess mit Betriebsbesetzungen und gar Betriebsübernahmen sind dagegen der Ruf nach dem Totengräber, stören und untergraben die Geschäftsgrundlage.
Aber müssen nicht auch revolutionäre Sozialistinnen und Sozialisten vor dem Hintergrund der Geschichte und des politischen Koordinatensystems der Bundesrepublik jede Gelegenheit – sprich: politische Neuformierung – ausnützen, die das etablierte politische Parteienspektrum aufzusprengen erlaubt. Einige Organisationen der radikalen Linken wie SAV, Linksruck, isl oder GAM haben diese Frage mit ihrem Eintritt in die WASG beantwortet und zur Bekräftigung dieses Entrismus u. a. auf ein enges politisches Zeitfenster für die Etablierung einer gesamtdeutschen Massenorganisation der Linken verwiesen. Unbestreitbar spielt der Faktor Zeit im Klassenkampf eine bedeutende Rolle, im konkreten Fall führt er unserer Ansicht allerdings in eine Sackgasse.
Regieanweisung Schröder
Die zentrale Regieanweisung für den geplanten Zusammenschluss von Linkspartei.PDS und WASG erfolgte in erster Linie durch Schröders initiierte Auflösung des Bundestages und die Neuwahlen im vergangenen September. Auch wenn der letztjährige Protest gegen Hartz IV ein Meilenstein war und Schröder das Wasser abgegraben hat, es war noch nicht der Ausdruck einer Radikalisierung breiter ArbeiterInnenkämpfe – insbesondere der Schulterschluss beschäftigter und arbeitsloser Menschen – der für die Entstehung einer klassenkämpferischen Linkspartei unerlässlich ist.
So haben wir heute eine politische Konstellation, in der die vereinigte Linkspartei im Bundestag längst Realität ist, aber auf Partei­ebene vor der Reißprobe steht. Unbeschadet von dieser zusätzlichen innerorganisatorischen Machtverschiebung zu den parlamentarischen Mandatsträgerinnen und -trägern bemühen sich die linken zentristischen Kräfte in der WASG einerseits um die Unterstützung der Berliner Position gegenüber den Regierungsstrategen, andererseits bekräftigen sie ihre Unterstützung für das gemeinsame Parteiprojekt. Dieser Spagat führt zum politischen Leistenbruch.
Nörgeln gegen die Kahlschlagsanierung des Berliner Haushaltes mit tatkräftiger Unterstützung durch die Linkspartei.PDS-Senatoren lässt sich auf Parteitagen aushalten und als innerdemokratisches Feigenblatt verkaufen. Die Eigenkandidatur dagegen ist die offene Kriegserklärung und wird nur durch Trennung gelöst. Für Kompromisse ist hier kein Platz. Versöhnungsversuche der Positionen geraten so schnell zur Aushöhlung der eigenen Position oder zu Possen.
Politischer Spagat als Posse
Wo dies hinführt, wird im folgenden belegt. Wir haben bis in die jüngste Vergangenheit die Bemühungen eines Bernd Rixinger um den Aufbau der Gewerkschaftslinken zu schätzen gewusst. Um so mehr bedauern wir die folgenden Aussagen in seiner Eigenschaft als WASG-Vorstand in Baden-Württemberg und im Verein mit seinem Kollegen der Linkspartei.PDS Bernhard Strasdeit anlässlich ihres Vermittlungsversuches zwischen der Berliner WASG und den Vorstanden der WASG und der Linkspartei.PDS: „Ohne Pluralität wird die Linke zum Scheitern verurteilt sein. Bei uns müssen Leute, die schwierige Entscheidungen in Regierungsverantwortung treffen genauso einen Platz haben wie Kritiker solcher Entscheidungen. Nur in Einheitsparteien à la CSU oder SED sei dies nicht möglich.“* Jeder Gedanke in diesem Zitat belegt Konfusion und das Unvermögen, die Kernproblematik zu ergreifen. Wie gesagt, es geht nicht mehr um die bloße Artikulation von Protest gegen eine Regierungsbeteiligung. Die Berliner werfen vollkommen zurecht den Fehdehandschuh – und zwar in den parlamentarischen Ring. Dies mit einem sterilen Bekenntnis zur Pluralität auffangen zu wollen, ist kindisch. Es steht doch die Frage an, welche der verschiedenen Auffassungen setzt sich notwendig unter Ausschluß der anderen durch – beides geht nicht, dies sollte auch Rixinger und Strasdeit klar sein. Nebenbei, die Pluralität sollte ihren Platz in Form von Meinungsfreiheit, Mehrparteiensystem und realer Machtausübung durch die assoziierten ProduzentInnen (Marx) in der Gesellschaft haben. In einer Par
tei bin ich , weil ich Partei ergreife und nicht, weil ich einen Teil für das ganze ausgebe. Dies ist bzw. war eines der Rezepte à la CSU oder SED.
Ausblick
Diese Zeilen werden nicht aus dem Blickwinkel eines genüsslichen und teilnahmslosen Beobachters geschrieben. Die Krise der Linkspartei um die Frage der Regierungsbeteiligung wird mit der Trennung von den KritikerInnen enden. Wie auch immer diese Trennung konkret aussehen mag, Lafontaine, Ernst, Ramelow und Gysi könnten versucht sein, diese Trennung „spalterischen linksradikalen Elementen“ in die Schuhe zu schieben. Immerhin werden Argumente für die verbliebene Mitgliedschaft von Nöten sein und auch die parlamentarische Konkurrenz und die „öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalt“ einer Sabine Christiansen müssen bedient werden. Der RSB hat bei seiner Kritik an dem Formierungsprozess und der programmatischen Ausrichtung der Linkspartei gleichzeitig immer die Notwendigkeit von Aktionseinheiten im Hinblick auf die künftigen politischen Aufgaben betont. Ein Klima von Verdächtigungen und Anschuldigungen könnte diese Bemühungen vor Ort und überregional belasten.       

*    Die Baden-Württembergische WASG und Linkspartei laden die Berliner Vorsitzenden ihrer Parteien nach Stuttgart ein. Homepage der Linkspartei.PDS

Den Artikel des RSB zur Debatte um die Regierungsbeteiligung in der WASG gibt es unter:
Über Regierungsbeteiligungen ohne die Staatsfrage diskutieren?

 

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