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Betrieb & Gewerkschaft

Der größte Zugewinn ist die Solidarität

Von B.B. | 29.04.2006

Die Uniklinik in Essen ist nun seit über zehn Wochen im Streik. Avanti interviewte Stephan Gastmeier (SG) von der Ver.di-Streikleitung.

Die Uniklinik in Essen ist nun seit über zehn Wochen im Streik. Avanti interviewte Stephan Gastmeier (GS) von der Ver.di-Streikleitung.

Avanti: Wie steht´s mit dem Streik?
Stephan Gastmeier: An der Uniklinik Essen arbeiten 5300 Beschäftigte insgesamt. Davon sind 3140 zum Tarifkampf aufgerufen. Die Hälfte ist wegen des Schichtsystems nicht anwesend, d.h. rund 1600 Kolleginnen und Kollegen sind direkt zum Streik aufgerufen. In den besten Wochen streikten über 600 Beschäftigte, in den letzten Wochen haben wir uns bei ungefähr 350 bis 450 eingependelt. Vor dem Streik waren wir knapp 400 organisierte ver.di-Mitglieder; durch den Streik sind wir jetzt über 1000. Rund 600 Kolleginnen und Kollegen sind seit Streikbeginn eingetreten.

Avanti: Macht ihr wirtschaftlich gesehen Druck?
SG: Die Arbeitgeberseite versuchte vom ersten Tag an die Streikauswirkungen herunterzuspielen. Das gelingt ihnen nicht, weil sie unübersehbar sind. Dazu kommt das Gejammere der Medien über die Auswirkungen des Streiks. Dreiviertel aller Operationen fallen seit zehn Wochen aus mit entsprechenden Einnahmeverlusten und noch höheren Verlusten für die Chefärzte, weil auch viele Privatpatienten nicht operiert werden konnten. Außerdem fallen die klassischen Arbeiterbereiche aus, weil auch die Beschäftigten in der Küche, im Transportdienst und bei der Reinigung im Streik stehen. Um da den Klinikbetrieb aufrecht zu erhalten, entstehen dem Arbeitgeber zusätzliche Kosten. In den letzten zehn Wochen kostete ihnen der Streik an den Unikliniken in der gesamten BRD 146 Mio. Euro. Das ist ne` Menge Holz.

Avanti: Wie sieht der Streik an den fünf anderen Unikliniken in NRW aus?

SG: Die Beteiligung am Streik ist recht unterschiedlich. Düsseldorf und Essen sind sicherlich die Unikliniken, wo ein größerer Teil der Kolleginnen und Kollegen einbezogen werden konnte und wo die Auswirkungen auf den Betriebsablauf erheblicher sind.

Avanti: Woran liegen die Unterschiede?
SG: Ich kann am besten über Essen sprechen. In den letzten Jahren hatten wir hier eine sehr aktive Vertrauensleute- und Personalratsarbeit. Viele Probleme wurden im Vorfeld des Streiks thematisiert z.B. auf den 13 Abteilungsversammlungen des Personalrats. Alle Beschäftigten wurden darüber erreicht. Die Düsseldorfer Kolleginnen und Kollegen führen auch während des Streiks weiterhin Personalversammlungen durch, um auch die Nicht-Streikenden weiterhin zu erreichen. Das hat sich gelohnt. Woanders beschritt ver.di mit Anschreiben an die Kolleginnen und Kollegen eher traditionell gewerkschaftliche Wege. Wir haben alle direkt mündlich angesprochen.
Die Wahl der gewerkschaftlichen Vertrauensleute war für kommenden Juni/Juli angesetzt. Wir haben darauf gedrängt, im Streik zu wählen, denn es gibt keine besseren Vertrauensleute als die, die im Streik aktiv sind. Wir hatten in den letzten Jahren 30 Vertrauensleute, wovon fünfzehn zum aktiven Kern gehörten. Wir haben jetzt 50 Vertrauensleute gewählt. Und genau fünfzig sind aktiv, also 100% aktive Vertrauensleute. Wir werden sehen, wie sich das in den nächsten Jahren entwickelt.

Avanti: Zehn Wochen Streik sind kein Pappenstiel. Ihr habt das durchgehalten, weil ihr einen aktiven Streik führt. Was versteht ihr darunter?
SG: Einmal die Klassiker wie Demonstrationen und Informationen an die Bevölkerung verteilen. Aber wir merkten in den letzten Wochen, dass sich viele Leute die Demonstrationen ansehen, nachfragen… und weitergehen. Wir machen deshalb z.B. Trauerzüge, 25 KollegInnen mit Masken des NRW-Finanzministers Linsen  in schwarzen Müllsäcken schweigend in Viererreihen durch die Stadt. Der „schwarze Block“ wird begleitet von fünf KollegInnen in ver.di-Plastik-Streikwesten, die Informationsmaterial an die Bevölkerung verteilen. Das kommt bei der Bevölkerung sehr gut an, das Interesse ist direkt da. Wir verteilen auch Flyer am Hauptbahnhof ohne laute Musik und große Reden. Symbolisch sammeln wir Unterschriften unter unsere Forderungen. Auch das kommt gut an. Jetzt machen wir gerade Informationsstände auf den Wochenmärkten. Wir blasen auch Heliumluftballons für kleine Kinder auf, vertreiben Buttons „Ich unterstütze den Streik“ oder mit Osterhasen für die Kleinen … teils recht abwegige Ideen, aber die Unterstützung aus der Bevölkerung ist bis jetzt fantastisch.

Avanti: Im Streikzelt wir viel miteinander geredet, auch von Kolleginnen und Kollegen, die sich bisher nicht kannten. Zehn Wochen Streik, ist das nicht auch ein Lebenseinschnitt?
SG: Das sehen alle am Streik Beteiligten als größten Gewinn der zehn Wochen an. Einmal, dass wir selbst so lange durchgehalten haben, darauf sind alle zu recht mächtig stolz. Alle halten den Streik für richtig und für absolut notwendig. Wir stehen ja nicht wegen der tollen ver.di-Forderungen hier, sondern weil sich die Arbeitssituation in den letzten Jahren so radikalisiert hat, dass der Streik wirklich als Notwehr empfunden wird und es für alle Beteiligten eine Selbstverständlichkeit ist, diesen Weg zu gehen.
Im Streikzelt haben sich die KollegInnen aus den unterschiedlichst­en Abteilungen kennengelernt. Der größte Zugewinn ist die Solidarität untereinander. Ohne große Auseinandersetzungen geht man in der zehnten Woche miteinander um, als wenn man sich schon immer kennen würde. Und der Spaß im Streikzelt ist nicht zu vernachlässigen. Die Kolleginnen und Kollegen haben einfach Spaß miteinander im Streikzelt, zu diskutieren, Aktionen vorzubereiten… Am Anfang war niemand zu überzeugen, ein Transparent für eine Demonstration zu malen. Heute ist das kein Problem mehr. Ohne in Arbeitertümelei zu verfallen: Die KollegInnen fühlen sich zuständig für ihren Streikalltag.

Avanti: Was sind die Perspektiven?

SG: In der zehnten Woche ist die Frage beantwortet, wie lange wir noch streiken werden … solange bis das Ziel erreicht ist. Im Streikzelt heißt es: Wir wollen unsere Forderungen zu 100% durchsetzen. Aber wir sind nicht der einzige Bereich bei den Ländern, der streikt. An den Universitäten ist die Streikbeteiligung sehr gering. Ein Großteil der Vertrauensleute hat gar nicht zum Streik aufgerufen. Ver.di hat aufgerufen, aber hat auch die Entscheidung in den Streik zu gehen, den Gewerkschaftssekretären vor Ort überlassen. Da lässt die Beteiligung zu wünschen übrig.

Avanti: Vielen Dank, Stephan und viel Erfolg.

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