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Betrieb & Gewerkschaft

Streikeinsatzkommandos an der Kläranlage

Von B.B. | 01.06.2006

Im vierzehnwöchigen Ausstand an den Unikliniken wurden neue Streiktaktiken erfolgreich erprobt. Im Streik an sechs Unikliniken in NRW gab es weder in der Theorie noch in der Praxis eine zentrale Strategie. Nach dem ver.di-Bundesvorstand legten die Streikleitungen vor Ort und regional fest, was gemacht wurde. Entsprechend unterschiedlich fiel die Taktik aus.

Im vierzehnwöchigen Ausstand an den Unikliniken wurden neue Streiktaktiken erfolgreich erprobt.

Im Streik an dreizehn Unikliniken in NRW gab es weder in der Theorie noch in der Praxis eine zentrale Strategie. Nach dem ver.di-Bundesvorstand legten die Streikleitungen vor Ort und regional fest, was gemacht wurde. Entsprechend unterschiedlich fiel die Taktik aus. An der Uniklinik Göttingen bspw. wurden überraschende Aktionstage angesetzt, wo 1000 KollegInnen auf die Straße gingen, aber es wurde nicht durchgestreikt. Hätten die Streikenden an einer Uniklinik für eine Woche den Arbeitskampf ausgesetzt, so wäre auch das für den Vorstand o.k. gewesen.

Es gab zwar keinen einheitlichen Plan, der versucht hätte, den ArbeitgeberInnen entgegenzutreten. Aber die Idee einer bundesweiten Demo wurde von den Streikenden wegen des Aufwands mehrheitlich abgelehnt. Regionale Aktionen fanden in Bayern, im Saarland und in NRW statt.
Es gab aber auch keine bürokratische Gängelung, wo den Streikenden vorgeschrieben wurde, was zu tun oder zu lassen ist. Im Streik der Landesbediensteten war Selbstaktivität angesagt. Alles ging von der Basis aus, nichts wurde bestimmt.
Überregionaler Erfahrungsaustausch
Regionale Unterschiede, z.B. Organisationsgrad, Erfahrungen und Mentalität, waren natürlich vorhanden und mussten berücksichtigt werden. Die Belegschaften lernten durch gegenseitige Besuche voneinander; Delegationen wurden selbst organisiert. So waren z.B. KollegInnen aus Essen an fast allen dreizehn Unikliniken, die im Streik standen.

Die AktivistInnen lehnten auch ein zentrales Treffen aller streikenden Unikliniken ab. Das Problem waren nicht die Unikliniken, die bestreikt wurden, sondern die Landesbetriebe Justiz, die Landesämter oder Universitäten, wo nicht oder kaum gestreikt wurde. Der untere Gewerkschaftsapparat hatte den Landesbereich schlecht organisiert.
An der Uniklinik Homburg sind 95 % der KollegInnen organisiert; es streiken täglich 1200 bis 1400 von ihnen. Die ticken einfach anders als die Streikenden in Essen oder Düsseldorf. In Homburg gab es von Anfang an riesige Streikfeuer; die Autoreifen lagen daneben. Die Nähe zu Frankreich mit seiner Streikkultur war unübersehbar. In Homburg herrschte auch eine ganz andere Sprache, in der die Arbeitgeber nur noch als „Arschlöcher“ bezeichnet wurden. Das saarländische Beispiel machte an anderen Unikliniken Schule.
Neue Kampfformen
Nach Ostern brachen der Streiks in Münster, Bonn, Aachen und Köln ziemlich ein. Es wurde lediglich noch eine Art Mahnwache aufrecht erhalten. Doch dann stabilisierte sich die Streikbereitschaft auf minimalstem Niveau mit jeweils ca. 100 Beteiligten.

Mit zunehmender Streikdauer und der fehlenden Verhandlungsbereitschaft der Länder mussten neue Streikformen gefunden werden. Von den KollegInnen kamen viele Vorschläge für Aktionen, die sofort umgesetzt wurden. So wurde der NRW-Finanzminister zu Hause  besucht und die Bevölkerung in seinem Heimatdorf informiert.
Systematisch wurden öffentliche Veranstaltungen, wo führende LandespolitikerInnen auftraten, aufgesucht. Dafür bildeten sich Streikeinsatzkommandos (SEKs), die bei vielen politischen Veranstaltungen präsent waren so z.B. bei der Eröffnung der Kläranlage in Essen-Süd. Normalerweise interessiert die Einweihung einer Kläranlage, zu der der Ministerpräsident Rüttgers angekündigt war, niemanden. Drei Minuten vor Beginn der Zeremonie hatte ihm irgend jemand mitgeteilt, dass 150 Streikende auf ihn warteten. Rüttgers blieb lieber weg. In einem Dorf bei Münster kam der NRW-Arbeits- und Sozialminister Laumann zu einer Bürgeranhörung.

Die Streikenden mischten sich nicht erkenntlich unters Publikum und nahmen ernsthaft an der Diskussion teil, wo welche Pflastersteine gelegt werden sollen. Als Laumann eintraf, zogen sie ihre Streiktüten über und machten ihre eigene Veranstaltung.
Die SEKs an den NRW-Unikliniken standen jederzeit für solche Aktionen zur Verfügung. An Hand der Presse wurde immer verfolgt, welcher Minister, wann und wo auftritt. Das funktionierte. Ein Anruf und je ein vollbesetztes Auto von allen sechs Unikliniken war eine Stunde später vor Ort. Da rannten auf einmal ganz normale Reinigungskräfte an den Sicherheitskräften vorbei und standen mitten in der Veranstaltung. Da wurden die Politikertypen zur Rede gestellt oder einfach nur gestört. Wer rechnet schon damit, dass die Streikenden zur Einweihung einer Kläranlage kommen, zum Arbeitnehmerempfang der Stadtspitze, zum Treffen der CDU-Frauen im Rathaus oder zum Besuch einer CDU-Delegation im Museum? Immer waren sie da. Das nervte die Politik und kam in der Presse. Das erste Drittel des Zeitungsartikels „Einweihung der Kläranlage” handelte von den Streikenden. Die SEK-Aktionen liefen bundesweit ohne Absprache.

Mitte der dreizehnten Streikwoche hat dann der Bundesvorstand die Streikenden aufgefordert, doch bitte alle anstehenden Aktionen umgehend nach oben zu melden, um den Überblick nicht zu verlieren und um eine gewisse Kontrolle ausüben zu können.
Langsame Radikalisierung
Die Homburger KollegInnen sind sehr kämpferisch und auch aggressiv. Sie legten von Anfang an eine andere Radikalität an den Tag als anderswo. Auch die Streikenden an anderen Unikliniken haben sich langsam, nach und nach etwas radikalisiert. Sie haben zwar keine klare Klassenanalyse, aber die Desillusionierung über die etablierte Politik ist groß. Niemand hat mehr Hoffnungen auf Parteien oder die Landesregierung. Es wurden Bildungsveranstaltungen organisiert. Für AktivistInnen fand ein Wochenendseminar in der IG Metall-Bildungsstätte Sprockhövel statt. Auch eine Kapitalismusschulung für 20-30 KollegInnen fehlte nicht. Die Erfahrungen des vierzehnwöchigen Kampfes sollten breit diskutiert werden.

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