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Betrieb & Gewerkschaft

Appell oder Widerstand?

Von D. Berger | 01.03.2007

Unter gewissen Umständen kann ein Appell der Auftakt für eine langfristig angelegte Kampagne sein. Das gibt dann Sinn, wenn entweder von einer Offenheit für Bedenken und Argumente ausgegangen werden kann oder wenn in einer bestimmten Frage die Bevölkerung und die eigene Mitgliedschaft noch unsicher sind. Beides trifft bei der geplanten Rentenreform nicht zu. In der Bevölkerung lehnen etwa 80% die Rentenreform ab.

Unter gewissen Umständen kann ein Appell der Auftakt für eine langfristig angelegte Kampagne sein. Das gibt dann Sinn, wenn entweder von einer Offenheit für Bedenken und Argumente ausgegangen werden kann oder wenn in einer bestimmten Frage die Bevölkerung und die eigene Mitgliedschaft noch unsicher sind.

Beides trifft bei der geplanten Rentenreform nicht zu. In der Bevölkerung lehnen etwa 80% die Rentenreform ab, bei den abhängig Beschäftigten sind es über 95%. Und am entschlossenen Willen der herrschenden Parteien und des Kapitals, das Renteneintrittsalter zu erhöhen (um darüber die Abschläge zu erhöhen) kann ebenfalls kein Zweifel bestehen. Bei ihnen allen gilt das neoliberale Credo: Die Lohnkosten sind hoch, auf keinen Fall darf der Rentenbeitragssatz steigen, denn dann müsste auch das Kapital 0,25% mehr bezahlen. Und höhere staatliche Zuschüsse sind genauso tabu.
Also müssen die Renten gekürzt werden und da ist die Erhöhung des abschlagsfreien Renteneintritts­alters der bequemste Weg, weil er am ehesten Raum für Ablenkung und Demagogie bietet („Wir werden schließlich alle älter.”)
Fehlender Widerstandswillen der Gewerkschaftsführungen
Seit über einem Jahr sind nun die Pläne der Regierung bekannt und das Gesetzgebungsverfahren steht kurz vor dem Abschluss. Trotzdem haben es die Gewerkschaften nicht geschafft (und auch nicht schaffen wollen), wirklich Front gegen die Pläne zu machen.

  1. Die Mobilisierung verlief sehr ungleich. Nur IGM und ver.di haben überhaupt nennenswert was gemacht. (Die IG BCE erklärte: „Wir haben eine differenzierte Einstellung zur Rentenreform.”) Aber auch bei den beiden großen Einzelgewerkschaften zeigte sich, dass große Teile des Apparats entweder nicht wirklich mobilisieren wollten oder es inzwischen vollkommen verlernt haben. In ganzen Regionen ist überhaupt kein Material in die Betriebe gekommen, in vielen Betrieben nur auf Nachfrage. Viele Sekretäre haben gar nicht für diese Kampagne und für konkrete Aktivitäten geworben.
  2. Es ist wenig nach außen gedrungen. Dort wo etwas lief, ging die Belegschaft zwar vor das Werkstor (vor allem im Stuttgarter Raum, in Esslingen gab es Demo und Kundgebung), aber nie wurde im Zentrum der Großstädte versucht, Unruhe in das öffentliche Leben zu tragen. Das Verständnis der Bevölkerung durfte als gegeben vorausgesetzt werden. Da für die Kundgebungen vor dem Werkstor sowieso schon das demokratische Recht auf Meinungsäußerung in Anspruch genommen wurde (um Abmahnungen zu erschweren), hätte mensch auch Nägel mit Köpfen machen können und die Demonstrationen in die Innenstädte führen können. Nur so wäre die entsprechende Dynamik entstanden, die wir brauchen, um über den Kreis der wenigen Großbetriebe hin­aus Bewegung zu erzeugen. Abgesehen davon: Wenn es zu einer breiten Bewegung kommt (mit mehr Beteiligung aus kleineren Betrieben und viel Aufmerksamkeit in den Städten), werden Repressionsdrohungen noch wirkungsloser als sie es jetzt schon waren. Das Kapital weiß sehr wohl: Wenn es gegen die KollegInnen in den Großbetrieben vorginge, würde dies einen unkalkulierbaren Konflikt auslösen, denn eine breite Abwehrreaktion in diesen Betrieben wäre sicher. Eventuell entstünde ein Flächenbrand.
  3. Mindestens ebenso verheerend wie der schwache Mobilisierungswille großer Teile des Apparats war und ist die politische Begründung für die Proteste und die erklärte Absicht der Gewerkschaftsvorstände. Nicht nur Huber, der zweite IGM-Vorsitzende, hat große Zweifel am Widerstandswillen des Apparats aufkommen lassen (s. sein Interview in der Welt vom 15.1.). Auf der für die IG Metall zentralen Kundgebung bei Opel in Rüsselsheim erklärte der erste Vorsitzende Jürgen Peters: „Die Ignoranz der Großen Koalition treibt die Menschen auf die Straße. Ich appelliere an die Bundesregierung, diesen Unmut nicht zu überhören”, zitiert nach direkt, dem Funktionärsorgan der IGM vom 31.1.07 (Überschrift: „Appell an Regierung”)

Und die KollegInnen?
Dort, wo wir z.B. mit der IGM-Plakette („Nein zur Rente mit 67“) in den Werkshallen unterwegs waren, gab es durchweg positive bis freudige Resonanz. Nicht wenige KollegInnen wollten spontan auch eine Plakette haben. An der Ablehnung der Rente mit 67 gibt es nicht die geringsten Zweifel, da mussten wir nicht auf Umfragen warten. Die Bereitschaft, bei wirksamen Aktionen mitzumachen, ist vorhanden, nicht nur bei den kampferprobten Belegschaften von Porsche, DC Mettingen, Alstom usw.
Aber: Wir konnten auch feststellen: Von sich aus haben die KollegInnen wenig unternommen. Ohne klare Signale und Aufrufe und ohne die Organisierung von Kundgebungen durch die Gewerkschaft haben sie den Hammer nicht hingelegt und sind losgelaufen. Dort, wo der Apparat nichts unternommen hat (und das gilt nach unsrem Überblick für die allergrößten Teile der Republik), ist praktisch nichts passiert.
Ziele der Bürokratie
Für den weiteren Fortgang der Proteste bzw. die Entwicklung eines wirksamen Widerstands (ver.di ruft für die erste Märzwoche noch mal zu Aktionen auf) ist es völlig kontraproduktiv, dass von der Gewerkschaftsführung lediglich Änderungen verlangt werden, statt die Reformen insgesamt zurückzuweisen und zu bekämpfen. Dabei springt immer mehr ins Auge, dass die Bürokratie offensichtlich schon mit zwei Änderungen weitgehend zufrieden wäre (bzw. danach überhaupt nichts mehr machen würde): Eine abschlagsfreie Rente soll nach 40 Beitragsjahren möglich sein und die Ende 2009 auslaufenden Altersteilzeitregelung soll verlängert werden. Beides läuft unter dem Stichwort: „flexible Altersgrenze“.

Wenn im März die Rente mit 67 (gegebenenfalls mit leichten Korrekturen im Detail) beschlossen wird, darf kein allgemeiner Abgesang auf den (unzureichenden) Widerstand einsetzen. Nach wie vor muss die Verzahnung der Widerstandsaktivitäten gegen die neoliberale Politik auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie wird eine dieser Gelegenheiten sein.

 

TIPP: Broschüre „Mythos Demographie” von ver.di ist runterzuladen unter:  
www.uebergebuehr.de/uploads/media/mythos_demografie__oktober_2003.pdf

 

 

„Aufstand der Alten“
In die Panikma
che der „vergreisenden Gesellschaft” hat sich jetzt (Mitte Januar) auch das ZDF mit einem 3-Teiler (Doku-Fiktion) eingeschaltet und das Hochpeitschen eines angeblichen Generationenkonflikts vorangetrieben. Was für die Menschen dabei rüberkommt: Wir werden (leider) immer älter, die Alten liegen uns auf der Tasche, wir müssen alle den Gürtel enger schnallen. Gerd Bosbach (von der FH Koblenz) hat im FR-Interview vom 18.1.07 im Ansatz richtig darauf geantwortet. Es ist keine Frage der Demographie sondern eine Verteilungsfrage. „Die Schere zwischen arm und reich hat sich in den vergangenen Jahren massiv geöffnet. Wir haben einen Reichtum, der aber sehr ungerecht verteilt wird.”

 

 

 

1946
Wer nach 1946 geboren ist, soll für jedes Jahr, das er/sie später geboren ist, einen Monat länger arbeiten; ab Jahrgang 52 dann in 2-Monatsschritten.
Für jeden Monat, den mensch früher als das gesetzliche Renteneintrittsalter in Rente geht, werden 0,3% des Rentenbetrags abgezogen und zwar ein Leben lang. Ein Jahr früher als die Regelzeit hat also einen Abzug von 3,6% zur Folge usw.

 

 

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