TEILEN
Länder

Vom Imperialismus provozierter Bürgerkrieg

Von Interview mit Gilbert Achcar | 01.07.2007

Avanti sprach mit Gilbert Achcar* über die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen in Israel und Palästina und die zu erwartende Entwicklung. Das Elend vor allem im Gazastreifen ist sehr groß und deshalb der Bürgerkrieg nicht sehr überraschend. Was ist der politische Hintergrund für die Entwicklung der letzten Tage [Übernahme der Macht im Gazastreifen durch die Hamas]?

Avanti sprach mit Gilbert Achcar* über die Hintergründe der aktuellen Entwicklungen in Israel und Palästina und die zu erwartende Entwicklung.

Das Elend vor allem im Gazastreifen ist sehr groß und deshalb der Bürgerkrieg nicht sehr überraschend. Was ist der politische Hintergrund für die Entwicklung der letzten Tage [Übernahme der Macht im Gazastreifen durch die Hamas]?

Achcar: Man darf nicht vergessen, dass Israel seit langem darauf setzt, dass die Palästinenser sich unter einander bekriegen. Abbas wird akzeptiert, die gewählte Regierung nicht anerkannt usw.
Die Ursache für die politische Entwicklung der letzten anderthalb Jahre [also seit dem erdrutschartigen Wahlsieg der Hamas bei den Wahlen am 25. Januar 2006; D. B.] ist die Tatsache, dass die imperialistischen Mächte es abgelehnt haben, das Wahlergebnis anzuerkennen. Von Anfang an haben die Westmächte, allen voran die USA, aber auch die EU und Israel zum Bürgerkrieg aufgestachelt. Sie haben lediglich mit Mahmud Abbas Beziehungen unterhalten, die Zahlung von Hilfsgeldern weitgehend eingestellt usw. Vor allem Bush war vollkommen auf Konfrontationskurs eingestellt, hat das Abkommen von Mekka [s. Kasten] nicht akzeptiert und hat mit seiner Politik alles unternommen, um die gewählte Regierung zu isolieren und den Bürgerkrieg zu schüren. Vor allem drängte er Abbas ständig, die Repression zu verschärfen, der von der Hamas gestellten Regierung die Mittel zu verweigern, einen eigenen Repressionsapparat aufzubauen, die Handlungsmöglichkeiten der Regierung einzuschränken usw.

Anlass für die Verschärfung des Konflikts zwischen Fatah und Hamas in den letzten Wochen (also in gewisser Weise der konkrete Auslöser der Ereignisse von Mitte Juni) war der Versuch von Fatah, den eigenen Repressionsapparat im Gazastreifen auszubauen, die der Regierung von Hanijah unterstehenden Polizeikräfte nicht anzuerkennen usw.
Und: Man darf nicht vergessen, dass z. B. allein die Villen von Abbas und von Dahlan [ehemals Chef eines der Geheimdienste und heute Chef einer der Sicherheitsdienste von Mahmud Abbas] schon allein aufgrund ihres Luxus eine Beleidigung und Provokation der Bevölkerung von Gaza darstellen. Dahlan ist zu einem Symbol der Korruption geworden.

Welche Entwicklung ist jetzt für die Westbank zu erwarten?

Achcar: Dort wird sich die Entwicklung sicher zuspitzen. Zwar hat der Apparat von Abbas (also das von der Fatah beherrschte Machtzentrum) die Kontrolle über das Gebiet, aber die Kräfteverhältnisse sind nicht so eindeutig wie umgekehrt die politische Dominanz der Hamas im Gazastreifen. Es ist durchaus vorstellbar, dass die Hamas dort zu Anschlägen übergeht und dass sich die Lage dort dramatisch verschärft. Wir steuern jedenfalls auf eine Entwicklung zu, in der es zwei nicht nur geographisch sondern auch politisch sehr getrennte Gebiete gibt: Ein vom Westen (und in gewisser Weise von Israel) anerkanntes Territorium Westbank und ein sich in der Quarantäne befindlicher Gazastreifen.

Ein großer Teil der Bevölkerung hält weder zu dem einen noch zu dem anderen Lager, aber die organisierten Kräfte, die davon unabhängig sind, sind vergleichsweise schwach. Der Linken fällt die Aufgabe zu, eine Bewegung gegen den Bürgerkrieg zu entwickeln und eine starke eigenständige Kraft aufzubauen. Letzteres ist allerdings eine Perspektive, die einen sehr langen Atem erfordert. Kurzfristige Erfolge sind hier vollkommen ausgeschlossen.

Wenn der Gazastreifen in der Quarantäne ist, wer wird die Hamas unterstützen und vor allem materielle Hilfe in den Gazastreifen fließen lassen?

Achcar: Die Hauptunterstützung wird weiterhin vom Iran kommen. Damaskus unterstützt zwar auch die Hamas, wird aber hauptsächlich die Karte der „Versöhnung“ spielen und auf politische Kompromisse drängen.

Wie stehen die Chancen für Kompromisse?

Achcar: Die Chancen sind gleich null. Wenn es zu einer Aussöhnung kommt, dann wird sie nicht halten, einfach weil die Unterschiede zu groß sind. Es sind tief greifende Gegensätze in der politischen Ausrichtung und auch in der Lebensweise. Die Fatah steht für ein Arrangement mit dem Imperialismus und mit Israel, hat aber trotz aller politischen Kapitulation nichts erreicht, denn Israel gesteht letztlich überhaupt nichts zu, sondern setzt die seit Jahrzehnten betriebene Politik fort: Siedlungsbau usw. Hinzu kommt: Der Apparat der Fatah ist durch und durch korrupt und deswegen auch bei großen Teilen der Bevölkerung verhasst.
Die Hamas steht für einen radikalen Nationalismus mit religiöser Ausrichtung, intolerant, repressiv nicht nur gegenüber Frauen usw. Ihre Methoden werden von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Viel hängt von der politischen Entwicklung der unabhängigen Kräfte ab. Die Lage in der Westbank kann jederzeit eskalieren und dann sind schlimmste Entwicklungen zu befürchten.  n

*     G. Achcar, stammt aus dem Libanon und ist heute Hochschullehrer in London.

 

Abkommen von Mekka
Das Abkommen von Mekka, das im Februar 2007 unter Vermittlung des saudischen Königs zustande kam, bildete die Grundlage für die Bildung einer gemeinsamen Regierung von Fatah und Hamas. Sie basierte auf einer interpretationsfähigen Formel der Haltung zu Israel. Eine klare Positionierung – entweder „anerkennen“ (iltasama) oder aber „respektieren“ (ihtarama) wurde vermieden.
Demonstration
Aufgerufen von der PFLP und FDLP (Volksfront bzw. Demokratische Front für die Befreiung Palästinas; zwei linksnationalistische Organisationen) demonstrierten am 14. Juni in Gaza mehrere hundert Menschen und forderten eine sofortiges Ende des Bürgerkriegs und riefen zur Einheit im nationalen Kampf auf. Hauptredner war Jamil Mashar (Mitglied des ZK der PFLP).

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite