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Betrieb & Gewerkschaft

„Versucht es!“

Von Interview: A. Blechschmidt | 01.09.2007

Im thüringischen Nordhausen halten ArbeiterInnen seit dem 10. Juli 2007 die Fahrradfabrik Bike System besetzt. Nachdem das Unternehmen an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauft worden war und dieser die Firma abwickeln wollte, entlud sich die Empörung der ArbeiterInnen auf einer Betriebsversammlungs am 10. Juli und führte zur Besetzung. Wir sprachen mit einem der Arbeiter während des von der Bike Systems Belegschaft organisierten Kinderfestes am 22. Juli in Nordhausen.

Im thüringischen Nordhausen halten ArbeiterInnen seit dem 10. Juli 2007 die Fahrradfabrik Bike System besetzt. Nachdem das Unternehmen an den US-Finanzinvestor Lone Star verkauft worden war und dieser die Firma abwickeln wollte, entlud sich die Empörung der ArbeiterInnen auf einer Betriebsversammlungs am 10. Juli und führte zur Besetzung. Wir sprachen mit einem der Arbeiter während des von der Bike Systems Belegschaft organisierten Kinderfestes am 22. Juli in Nordhausen.

Wie ist zur Besetzung des Bike Systems Werks gekommen?

Es gab eine Belegschaftsversammlung in der bekanntgegeben werden sollte, wie viel Geld im Topf für den Sozialplan ist und wie unser Kündigungsschutz abgesichert ist. Dort wurde dann festgestellt – wir haben bei uns in der Firma im Schnitt 4,5 Monate Kündigungsfrist – dass das Geld nicht mehr dafür reichen würde um die Leute finanziell abzusichern, wenn die Kündigung ausgesprochen wird. Im Augenblick ist aber noch keine Kündigung ausgesprochen, Geschäftsleitung und Betriebsrat sind momentan noch in Verhandlungen. Allerdings sind diese Verhandlungen gerade unterbrochen.

Die Besetzung resultiert daraus, dass nachdem dies in der Betriebsversammlung bekanntgegeben wurde, wir spontan zu dem Entschluss gekommen sind: Wir lassen uns das nicht gefallen, wir lassen uns nicht abzocken, wir lassen uns nicht einfach vor die Tür setzen – wir besetzen jetzt das Werk. Das hat nichts mit dem Betriebsrat zu tun gehabt, das war eine ganz spontane Aktion der Belegschaft. Klar ist jetzt der Betriebsrat integriert, das ist ganz normal, auch die Gewerkschaft.

Wie war denn die Reaktion des Eigentümers auf die Besetzung?

Nachdem wird das erste Plakat am Fenster aufgehängt hatten – auf dem „Wir kämpfen um Bike Systems“ stand, mehr war noch gar nicht zu sehen – kam schon der Geschäftsführer angerannt und hat permanent durch die Halle geschrien „Idioten! Idiotenstall! Macht das Ding ab!“ Die Leute haben nichts gemacht, er hat sich dann selber daran gemacht und versucht es abzureissen. Die anderen Plakate haben wir dann schnell draußen am Tor befestigt, die hat er dann gleich fotografiert – mit dem Leuten vom Personal, die sie aufgehängt haben. Die Fotos hat er dann anschließend bei der Gerichtsverhandlung vorgelegt. Es gab nämlich nach einigen Tagen eine einstweilige Verfügung von unserer Geschäftsleitung zur Zwangsräumung der Firma, die aber vom Arbeitsgericht abgewiesen wurde. Und seitdem ist mehr oder weniger Funkstille. Angeblich soll Lone Star darauf gedrängt haben, das Ganze ein wenig ruhiger zu halten. Es gab dann nochmal ein Schreiben von der Geschäftsführung bzw. von Lone Star, dass bis Dienstag (17. Juli) 10 Uhr, jeder Arbeiter das Gelände räumen soll, ansonsten könnte es wieder passieren, dass die Polizei zum Einsatz kommt. Aber es ist nichts passiert. Die Polizei war zwar da und hat Kontrollbesuche gemacht, aber es gab nur freundschaftliche Gespräche. Sie meinten, sie greifen hier nicht ein und es ist dann im Sande verlaufen.

Ist das Werk von Bike System denn schon in der Vergangenheit durch besondere Arbeitskämpfe aufgefallen, gab es bereits große Erfahrungen oder entstand diese Aktion aus der Wut heraus?

Wir haben hier bisher noch nichts gemacht, das war eine spontane Aktion, die auch jeden Tag mehr Zusammenhalt bringt. Wir haben gewusst, wir müssen alle an einem Strang ziehen müssen, egal wie. Es betrifft ja alle, wir sitzen alle in einem Boot. Da haben wir gesagt, was soll’s, wir müssen alles versuchen um die Arbeitsplätze zu erhalten. Es gibt ja viele Leute, die schon über 30 Jahre hier arbeiten, ich selbst bin seit 32 Jahren in der Firma. Man hängt ja dran und man versucht es so weit wie es geht aufrecht zu erhalten. An allererster Stelle steht Arbeitsplatzerhaltung und an zweiter Stelle soziale Absicherung der einzelnen Arbeitnehmer. Und nicht nur mit Butterbrot und Ei und das war’s jetzt.

Die Besetzung dauert jetzt seit knapp zwei Wochen an, wie ist mittlerweile die Stimmung in der Belegschaft?

Es hat sich nachwievor nichts geändert, sicherlich werden auch Leute mal ein bisschen müde, aber das ist ganz normal, wenn man hier jeden Tag ist. Teilweise sind Leute von sich aus anderthalb oder zwei Schichten hier gewesen und ich selbst bin weit länger hier als manchmal auf Arbeit. Das macht dann irgendwann müde und kaputt, aber wir versuchen das zu kompensieren. Aber eigentlich ist es immer noch so wie am ersten Tag.

Es ist auch viel Solidarität bekundet worden, in Form von Geldspenden, Sachspenden, Brötchen und Kuchen vom Bäcker, Getränke … Wir könnten hier noch drei Wochen bleiben.

Welche Aktionen gab es denn bereits um auf die Besetzung und die Situation des Werkes aufmerksam zu machen?

Die IG Metall ist ja mit im Boot, die ist ja ständig vor Ort und kümmert sich um Propaganda und Fernsehen und Radio. Das war ja für uns erstmal neu, mittlerweile machen wir die meisten Sachen schon alleine. Es kommen ja auch spontan Leute her, die davon gehört haben, aus Köln, Erfurt, aus allen Richtungen, wollen wissen was los ist und sagen „Das ist ja Wahnsinn was ihr hier abzieht!“. Wir versuchen eigentlich jeden Tag was zu machen, das uns politisch Aufmerksamkeit bringt. Wir waren zum Beispiel bei der Landtagssitzung in Erfurt mit einer Delegation gewesen. Über eine Abgeordnete von der SPD sind wir da richtig offiziell reingekommen, auf die Besuchertribüne und anschließend konnten wir uns mit dem Wirtschaftsminister und anderen Abgeordneten treffen. Der Wirtschaftsminister war dann auch einige Tage später noch hier. Mal schauen, was da jetzt rauskommt. Aber wir versuchen eigentlich jeden Tag hier was auf die Beine zu stellen.

Vor der gleichen Situation wie die Arbeiter in Nordhausen stehen ja auch andere Menschen in der BRD. Welche Botschaft können Sie aus ihrer Situation jetzt hier diesen Menschen übermitteln?

Die Solidarität die wir hier vor Ort erfahren, ist riesengroß, von die Leuten die auf der Hauptverkehrsstraße vorbeifahren, hupen und winken und anderen die sagen „Jungs, ich müsst durchhalten, weitermachen!“ und ich kann nur allen raten, die vor einer ähnlichen Situation stehen: Versucht es. Wir werden sehen, was am Ende rauskommt. Wir hoffen das Beste für uns.

Vielen Dank und noch viel Erfolg für die kommende Zeit.

 

Flugblatt des RSB zur Betriebsbesetzung bei Bike Systems: Enteignet Lone Star!

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