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Innenpolitik

Merkels geheime Krieger

Von Harry Tuttle | 01.09.2007

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan soll verlängert werden. Doch die Interventionspolitik hat die Taliban gestärkt. Keine Regierung plaudert gerne über ihre schmutzigen Geheimnisse. Die US-Regierung musste jedoch vor zwei Jahren gemäß dem Freedom of Information Act, einem von der Bürgerrechtsbewegung erzwungenen Gesetz, die Obduktionsberichte in Haft verstorbener Afghanen und Iraker offenlegen.

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan soll verlängert werden. Doch die Interventionspolitik hat die Taliban gestärkt.

Keine Regierung plaudert gerne über ihre schmutzigen Geheimnisse. Die US-Regierung musste jedoch vor zwei Jahren gemäß dem Freedom of Information Act, einem von der Bürgerrechtsbewegung erzwungenen Gesetz, die Obduktionsberichte in Haft verstorbener Afghanen und Iraker offenlegen. Sie belegten, dass 21 von 44 Gefangenen eines gewaltsamen Todes starben, und dass bei den als „natürlich” eingestuften Todesursachen verdächtig oft Herzversagen auftaucht, das bei jungen Männern recht selten ist. „Diese Dokumente sind ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass US-Vernehmer Gefangene zu Tode gefoltert habe”, resümierte Amrit Singh, Anwalt der Bürgerrechtsorganisation ACLU.

Das taten sie möglicherweise mit deutscher Hilfe. Murat Kurnaz, der in einem US-Gefängnis in Afghanistan misshandelt wurde, berichtete nach seiner Freilassung, er sei von Soldaten des deutschen Kommandos Spezialkräfte (KSK) geschlagen worden. Da jüngst bekannt gewordene Zeugenaussagen seine Angaben belegen, sah sich die Staatsanwaltschaft Anfang August gezwungen, die bereits eingestellten Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Aggressiver Kampfgeist
Was das seit Ende 2001 fast ununterbrochen in Afghanistan operierende KSK tut, bleibt dennoch Geheimsache. Immerhin ist bekannt, in welcher Tradition sich die Elitetruppe sieht. „Die Einsätze der ‚Brandenburger’, der Vorläufer sowohl der GSG 9 als auch der KSK, gelten in der Gruppe geradezu als legendär”, schreibt Brigadegeneral a. D. Reinhard Günzel, bis 2003 der Kommandant der Truppe, im Buch „Geheime Krieger”. Die „Division Brandenburg”, ein Spezialkommando der Wehrmacht, war an der Ermordung von Juden und Jüdinnen in der Ukraine beteiligt.

Günzel wurde entlassen, weil er eine Rede des früheren CDU-Politikers Martin Hohmann gelobt hatte, in der dieser antisemitischen Klischees verbreitete. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Ungeist des KSK, die US-Präsident George W. Bush im Jahr 2004 für ihren „aggressiven Kampfgeist” lobte, von ihrem langjährigen Kommandanten dauerhaft geprägt wurde.

Der Einsatz des KSK ist der umstrittenste Teil der deutschen Militärintervention in Afghanistan, die Grünen lehnen ihn ab. Dennoch dürfte es im Bundestag eine Mehrheit für die Verlängerung der Bundeswehroperationen geben, möglicherweise wird die Truppenstärke sogar erhöht. Nur die Linkspartei fordert einen Truppenabzug.

Den herrschenden Parteien gilt die Intervention als Mittel, den weltpolitischen Einfluss Deutschlands zu vergrößern. Unter deutscher Führung wurde seit Ende 2001 über die politische Neuordung Afghanistans verhandelt. Das Ergebnis war eine Verfassung, die das Land zur „Islamischen Republik” erklärt und die Justiz auf die „Bestimmungen der heiligen Religion des Islam” verpflichtet. Damit wurde die Grundlage für die Herrschaft islamistischer Warlords geschaffen, die das Parlament dominieren und die Säkularisierung blockieren. Noch immer werden etwa 70% der Mädchen und Frauen zwangsverheiratet. Wer gegen diese Verhältnisse protestiert, riskiert sein Leben, und es gehört nicht zu den Aufgaben der ISAF, die Aktivitäten von fortschrittlichen Organisationen wie RAWA (Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans) zu schützen.
Taliban im Parlament
Es war daher ein kurioses Beispiel von Ignoranz, dass der SPD-Vorsitzende Kurt Beck forderte, man möge doch auch mit „moderaten Taliban” verhandeln. Das geschieht längst, und ehemalige Kommandanten der Taliban wie Mullah Abdul Salam Rocketi, der seinen letzten Namen seinem Geschick im Umgang mit dem Raketenwerfer verdankt, sitzen im Parlament.
Dass die Taliban dennoch derzeit in der Offensive sind, ist nicht eine Folge mangelnder Integrationbereitschaft des Westens. Die islamistische Guerilla hat sich reorganisiert und profitiert von der Interventionspolitik. Die „Kollateralschäden”, zivile Opfer von Bombardierungen, gegen die Präsident Hamid Karzai mehrfach erfolglos protestierte, bringen die Bevölkerung gegen die ausländischen Soldaten auf. Weitere Truppenverstärkungen dürften diesen Trend noch verstärken.

Zudem sind die westlichen Staaten nicht nur recht knauserig mit der Wiederaufbauhilfe, sie bemühen sich auch, den Opiumanbau, von dem sowohl die Taliban als auch regierungstreue Warlords profitieren, zu verhindern. Da die einflussreichen Warlords unterstehenden Felder nicht angetastet werden, trifft der „Krieg gegen Drogen” die armen Bauern, die sich dann häufig den Taliban anschließen oder sich unter deren Schutz stellen.

So gelang es den Taliban, weite Teile der südlichen Landeshälfte wieder unter Kontrolle zu bringen. Auch in Kabul sind sie handlungsfähig, wie der Anschlag Mitte August bewies, bei dem drei deutsche Polizisten starben. Die Bundesregierung war klug genug, als Operationsfeld der Bundeswehr den Norden zu wählen, wo Warlords herrschen, die derzeit nicht gegen die Regierung kämpfen. Wie lange deren Loyalität bestehen bleibt, ist allerdings fraglich.

Bereits Anfang April schlossen sich ehemalige Taliban und andere Islamisten gegen Karzai, dessen Schwäche immer offensichtlicher wird, zur Vereinten Nationalen Front zusammen. Die westlichen Staaten haben geglaubt, die Warlords als nützliche Idioten für die Neuordnung Afghanistans benutzen zu können. Doch es ist möglich, dass die Warlords sich für ein Bündnis mit den Taliban entscheiden, wenn sie zu dem Schluss kommen, dass Karzai und seine westlichen Unterstützer hinreichend geschwächt sind. 

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