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Innenpolitik

Der Deutsche Herbst 1977 und die Aufrüstung nach innen

Von Jochen Sussa | 01.10.2007

Seit dem Beginn der Bundesrepublik zeigt die herrschende Klasse, dass sich bürgerliche Demokratie und Repression zur Absicherung kapitalistischer Herrschaft wunderbar vertragen. KPD-Verbot, Notstandsgesetze und Berufsverbote gegen radikal Denkende im Öffentlichen Dienst sind die Wegsteine, die die großen Koalitionen aus SPD, FDP und CDU/CSU in trauter Einigkeit setzten.

Seit dem Beginn der Bundesrepublik zeigt die herrschende Klasse, dass sich bürgerliche Demokratie und Repression zur Absicherung kapitalistischer Herrschaft wunderbar vertragen. KPD-Verbot, Notstandsgesetze und Berufsverbote gegen radikal Denkende im Öffentlichen Dienst sind die Wegsteine, die die großen Koalitionen aus SPD, FDP und CDU/CSU in trauter Einigkeit setzten.

Auch der von Willi Brandt stammende und häufig zitierte Satz „Mehr Demokratie wagen!“ drückt in sich schon eine Frechheit aus, als sei das Staatsvolk jetzt endlich gezähmt, um es von der Leine zu lassen. So ist es auch durchaus kein Widerspruch, dass der Radikalenerlass aus der Regierungszeit Willi Brandts stammt.
Im „Deutschen Herbst 1977“ herrschte dann endgültig der Ausnahmezustand, die damals durchgepeitschten Gesetzesänderungen wirken bis heute fort.

Die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, mit dem Ziel, eine große Anzahl von RAF-Gefangenen aus dem Gefängnis zu befreien war der Beginn des „Deutschen Herbstes“. Die Bundesregierung verhängte sofort eine Nachrichtensperre. Dass dies gar nicht nötig war, zeigte sich bald. Die  Medien unterzogen sich einer freiwilligen Selbstzensur und schalteten sich selbst gleich. Einschüchterungen und eine Ideologie des Zusammenrückens des von Herrschenden und Beherrschten führte dazu, dass eine kritische Öffentlichkeit fast vollkommen fehlte.

Ein Krisenstab regierte die Bundesrepublik, die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie waren außer Kraft gesetzt. In Rekordzeit wurde das so genannte „Kontaktsperregesetz“ im Bundestag eingebracht und beschlossen. Es sah eine vollständige Isolierung der RAF-Gefangenen von der Außenwelt vor. Die davon betroffenen Gefangenen durften keine Zeitung, kein Fernsehen, kein Radio und vor allem keine Besuche mehr von Angehörigen, Anwälten oder sonstigen Personen erhalten.  Die Arbeit der Verteidigung wurde eingeschränkt, durch die obligatorischen Kontrolle der Verteidigerpost und das pauschale Verbot der Verteidigung von mehreren Beschuldigten in einem Verfahren.

Auch die anderen 1977 im Schnellverfahren verabschiedeten Sondergesetze haben noch heute Gültigkeit,  wie der strafrechtliche Tatbestand der terroristischen Vereinigung § 129a StGB, die Vorschrift des § 112 Abs. 3 StPO (Erlass eines Haftbefehls bei Verdacht nach § 129a StGB ohne Haftgrund) oder die  Durchführung von Kontrollen einer jeden Person  bei Fahndungen im Rahmen von § 129a StGB, § 111 StGB.

Eine erste  Kostprobe des starken Staates bekam im gleichen Jahr die Linke bei der Demonstration gegen den Schnellen Brüter in Kalkar. Die Polizei sperrte eine Reihe von Autobahnen vollständig ab, Polizeihubschrauber hielten auf offener Strecke ganze Bundesbahnzüge an, die Demonstrant­Innen wurden von mit Maschinenpistolen ausgerüsteten Polizisten eingeschüchtert und durchsucht. Viele DemonstrantInnen konnten den Demonstrationsort nicht erreichen. Der Notstand wurde gegen eine Massenbewegung geprobt.

Von damals spannt sich ein Bogen zu den Maßnahmen bei heutigen Protesten, wie jüngst beim G8-Gipfel, bei der eine ganze Region abgeriegelt wurde und auch die Bundeswehr zum Einsatz kam. Da können Aktionen noch so phantasievoll sein, der Staat behält es sich selbst vor, ob er eine Protestbewegung duldet oder kriminalisiert und zerschlägt (oder zu zerschlagen versucht). Und genügen die Gesetze nicht, dann schafft er sich neue. Der einzige Schutz einer Protestbewegung ist ihre eigene Stärke, ihre Breite und Verankerung in der Bevölkerung. Das scheinen manche sich besonders „militant“ gebende Grüppchen bisweilen zu vergessen oder bewusst auszublenden.

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