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Länder

Südamerika: Einfache Antworten gibt es nicht

Von Thadeus Pato | 01.10.2007

Die Wirtschaftsdepression Ende der neunziger Jahre hatte Lateinamerika besonders schwer getroffen. Die Folgen dieser Krise sind höchst unterschiedlich: Während in einem Teil der Länder des Halbkontinents – mit Unterstützung von USA und EU – von der einheimischen Bourgeoisie und ihren politischen Handlangern weiter neoliberale Strategien verfolgt werden, gibt es daneben Überlegungen zu einem regionalen Entwicklungsmodell – allerdings auf äußerst unterschiedlicher Grundlage.

Die Wirtschaftsdepression Ende der neunziger Jahre hatte Lateinamerika besonders schwer getroffen. Die Folgen dieser Krise sind höchst unterschiedlich: Während in einem Teil der Länder des Halbkontinents – mit Unterstützung von USA und EU – von der einheimischen Bourgeoisie und ihren politischen Handlangern weiter neoliberale Strategien verfolgt werden, gibt es daneben Überlegungen zu einem regionalen Entwicklungsmodell – allerdings auf äußerst unterschiedlicher Grundlage.

Die Hoffnungen, dass der Staatsbankrott Argentiniens, der Wahlsieg der PT in Brasilien und der der Frente Amplio in Uruguay eine Änderung der liberalen Wirtschaftspolitik dieser Länder einläuten und eine Massenbewegung in Gang setzen würden, die die Tür zu einem nichtkapitalistischen Weg öffnen könnte, haben sich nicht erfüllt: Neben Chile, das unter der „sozialistischen“ Präsidentin unverändert weiter der Musterschüler von Weltbank und IWF bleibt, hat auch Lula in Brasilien die Wirtschafts- und Sozialpolitik seiner Vorgänger im Wesentlichen beibehalten. Die Frente Amplio in Uruguay setzt ebenfalls auf eine Fortsetzung der Auslandsinvestitionen und der wachstumsorientierten Politik und nimmt dabei, wie im Falle der Ansiedlung großer ausländischer Papierfabriken, auch keine Rücksicht auf die Umwelt – und das mit Unterstützung der in der Regierung sitzenden ehemaligen Tupamaros.

Ähnlich ist die Lage in Peru, wo Alan Garcia bei den ersten Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften bereits zeigte, dass er zu keinerlei Zugeständnissen bereit ist. In Argentinien verfolgt Nestor Kirchner nach dem de facto Staatsbankrott Anfang des Jahrtausends und der daraus folgenden massiven Enteignung der Bevölkerung, u. a. durch die Entwertung der Spareinlagen, eine klassische Sparpolitik und ist dabei, die in der Krise entstandenen Inseln von Arbeiterkontrolle in besetzten Betrieben langsam auszuhungern.

Diese Länder setzen klar auf ein kapitalistisches Entwicklungsmodell und sind sich lediglich uneinig, ob dies auf der Basis des von den USA bevorzugten ALCA (gesamt­amerikanische Freihandelszone) oder eines regionalen freien Marktes (Mercosur) stattfinden soll. Die Europäische Union setzt auf letzteren, da sie bei einer Durchsetzung des ALCA um ihren Zugriff auf die Region fürchtet.
Gegentendenzen
Den Gegenpol gegen diese Politik stellen derzeit in unterschiedlichem Ausmaß Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua und natürlich Kuba dar. Der von Chávez ins Leben gerufene ALBA (Alternativa Bolivariana para los pueblos de Nuestra América, bolivarianische Alternative für die Länder unseres Amerika) wurde im Jahr 2005 von Venezuela und Kuba gegründet, das 5. Gipfeltreffen der ALBA fand am 28. und 29. April 2007 im venezolanischen Barquisimeto statt. Es nahmen die Staatschefs der vier Mitgliedsländer Hugo Chávez (Venezuela), Carlos Lage (Kuba, in Stellvertretung für Castro), Evo Morales (Bolivien) und Daniel Ortega (Nicaragua) teil. Darüber hinaus kamen auch die  der karibischen Staaten Haiti, Dominica, St. Kitts und Nevis und St. Vincent und die Grenadinen. Uruguay und Ecuador entsandten Delegationen.

Das Besondere an ALBA ist, dass es sich im Gegensatz zum Mercosur um keine Freihandelszone handelt, sondern um den Versuch, einen gemeinsamen lateinamerikanischen Block zu schaffen, indem man Kooperationsabkommen schließt, die nicht in erster Linie auf Marktbeziehungen gründen. Dazu gehört unter anderem, dass z. B. die Handelspartner Venezuelas die Möglichkeit haben, Lieferungen von Erdöl mit Waren oder Dienstleistungen zu bezahlen, und dass gemeinsame Unternehmen aufgebaut werden, z.B. ein gemeinsames Stahlwerk von Venezuela und Kuba. Außerdem wird nicht auf der Basis der Weltmarktpreise abgerechnet.
Ausnahmen von der Regel
Von dem unbestreitbaren Wirtschaftsaufschwung, der in (fast) ganz Lateinamerika  sich in den letzten Jahren abspielte, hatte die Masse der Bevölkerung herzlich wenig. Und das nicht nur in den Ländern, die eine dem IWF genehme Politik betreiben wie in erster Linie Brasilien, Argentinien, Chile oder Uruguay. Die Arbeitslosigkeit ist zwar etwas gesunken, allerdings arbeiten selbst in Venezuela über 50% im informellen Sektor und von einer wirklichen Landreform ist weit und breit nichts zu sehen.
Aber Venezuela und – in geringerem Grad – Bolivien bilden eine gewisse Ausnahme. Chávez z.B. hat tatsächlich eine Landreform in Gang gebracht, das Gesundheitswesen mit Hilfe der Kubaner reorganisiert, ins Bildungswesen investiert und Sozialprogramme aufgelegt. Es gab Enteignungen ausländischer Firmen (allerdings gegen Entschädigung) und die Ölindustrie ist unter staatlicher Kontrolle.

Morales hat ebenfalls den staatlichen Zugriff auf die Öl- und Gasressourcen wiederhergestellt und die Minen verstaatlicht und mit diesen Mitteln in Bildung und Infrastruktur investiert.
Aber beider Politik ist widersprüchlich. Diese Widersprüche drücken sich im Fall Venezuelas konkret beispielsweise darin aus, dass Chávez einerseits die Besetzung von den Unternehmern stillgelegter Firmen ausdrücklich begrüßt hat und dort eine Art Arbeiterkontrolle unter staatlicher Beteiligung zulässt, andererseits gegen unabhängige Gewerkschaften hart vorgeht, wenn deren Forderungen nicht in sein Politikkonzept „von oben“ passen.

Morales wiederum hat in Sachen Verstaatlichung z.B. stellenweise das Militär gegen Minenkooperativisten eingesetzt, als es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen diesen und staatlichen Minenarbeitern kam (nach dem Sturz der Zinnpreise vor zwanzig Jahren waren unrentable Minen an Kooperativen abgegeben worden, werfen jetzt aber wieder Gewinn ab). Gerade unter den Mineros hat er aber eigentlich eine starke Wählerbasis. Ein perspektivisches Problem hat er auch: Die Investitionen aus dem Ausland sind dramatisch gefallen: ca. 80 Millionen $ gegenüber 1,5 Milliarden $ im Vorjahr. Vor allem die ausländischen Ölkonzerne investieren nicht in die Modernisierung der Anlagen und versuchen, die Regierung auf diese Weise auszuhungern.
Perspektiven
Chávez hat Recht, wenn er versucht, dem revolutionären Prozess in Venezuela eine regionale, d.h. internationalistische Perspektive zu geben. Die Möglichkeiten hierzu liegen allerdings nicht in regionalen Wirtschaftsabkommen mit Kirchner und Lula, wie es u. a. mit der Banco del Sur angedacht ist. Die einzige Möglichkeit liegt in einer Aktivierung und Organisierung der Selbsttätigkeit der Bevölkerung. Und in dieser Beziehung hat Chávez mit der Gründung der neuen sozialistischen Einheitspartei einen nicht unproblematischen Weg beschritten. Bereits 1,5 Millionen haben sich in
die Listen eingetragen – es ist zu befürchten, dass hier eine ähnliche Klientelpartei entsteht, wie sie die heutige PT in Brasilien vielerorts darstellt. Auch seine Haltung gegenüber den Gewerkschaften ist durchaus zwiespältig (s.o.).

Der Versuch, der Ausplünderung der Region durch die üblichen Verdächtigen durch regionale wirtschaftliche und politische Integration zu begegnen, ist unterstützenswert. Allerdings wird er scheitern, wenn er sich nicht auf eine wirkliche Mobilisierung der Bevölkerung stützt und wenn keine entsprechende Umverteilung stattfindet. Bei einem Entwicklungsmodell, das auf einem marktwirtschaftlichen, d.h. kapitalistischen Modell fußt, wird die Masse der Bevölkerung die Verliererin sein – das hat das Beispiel Argentinien gezeigt.

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