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Innenpolitik

Rostock und Heiligendamm: Ein Schritt vorwärts für die außerparlamentarische Bewegung

Von B.B. | 01.07.2007

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So schwach, wie zu erwarten das Ergebnis des G8-Gipfeltreffens der kapitalistischen „Weltregierung” in Heiligendamm ausfiel, so überraschend positiv ist die Bilanz der Proteste der Anti-G8-Bewegung. Nur wenige der Demonstrant­Innen in Rostock hatten die Illusion, dass die G8 auf ihrem Gipfeltreffen wirksame Maßnahmen gegen Klimazerstörung, Hunger, Aids oder zur Kontrolle der großen Finanzinvestoren beschließen würden.

So schwach, wie zu erwarten das Ergebnis des G8-Gipfeltreffens der kapitalistischen „Weltregierung” in Heiligendamm ausfiel, so überraschend positiv ist die Bilanz der Proteste der Anti-G8-Bewegung.

Nur wenige der Demonstrant­Innen in Rostock hatten die Illusion, dass die G8 auf ihrem Gipfeltreffen wirksame Maßnahmen gegen Klimazerstörung, Hunger, Aids oder zur Kontrolle der großen Finanzinvestoren beschließen würden. Wie sollten die G8 auch gegen die „Heuschrecken” vorgehen können, wenn sie letztendlich den staatlichen Rahmen für die Herrschaft des Kapitals bestimmen? Zwar könnten theoretisch die bürgerlichen Regierungen Maßnahmen gegen einzelne Auswüchse des Kapitalismus beschließen. Aber eine Kontrolle der Finanzfonds wird von weiten Kreisen des Kapitals abgelehnt, weil sie darin einen Schritt zur Aufhebung des Bankgeheimnisses und damit eine Bedrohung für alle KapitaleignerInnen sehen.
Ein Großteil der für „Sicherheitsmaßnahmen” ausgegebenen 120 Millionen € hätte z.B. für konkrete Projekte der Selbsthilfe in den unterentwickelt gehaltenen Ländern verwendet werden können, wenn das Gipfeltreffen der ungewählten „Weltregierung” nicht hinter dem Zaun in Heiligendamm, sondern auf einem Schiff stattgefunden hätte. Angesichts der zweitausend angereisten StaatsbeamtInnen und einer Unzahl von PressevertreterInnen hätte es sich allerdings bei dem Dampfer um einen Ozeanriesen oder Truppentransporter handeln müssen.
Grundrechte außer Kraft gesetzt
Die Bundesregierung wollte den G8-Gipfel auch nutzen, um den Einsatz der Staatsgewalt gegen die Protestierenden zu erproben. Die polizeilich-militärische Besetzung Rostocks, die „Aufklärung” von Kampfflugzeugen des Typs Tornado gegen campende G8-GegnerInnen (d.h. der Bundeswehreinsatz nach innen), die Verhaftung von 1057 DemonstrantInnen, deren Unterbringung in Gefängniskäfigen, der Einsatz von Polizeiprovokateuren, um Protestierende zum Steine schmeißen aufzuhetzen, der Polizeieinsatz am 2. Juni begleitet vom „Chaoten”-Geheul der vereinten bürgerlichen Presse und die vielen Tausend täglichen kleinen Polizeischikanen, um die Demonstrierenden von ihrem verbrieften Demonstrationsrecht abzuhalten, einzuschüchtern und ihnen ihre Ohnmacht vorzuführen, zeigen, wie weit die Bereitschaft der Herrschenden geht, die Grundrechte von Fall zu Fall außer Kraft zu setzen. Es ist nur der Aktionstaktik der Protestierenden zu verdanken, dass in Rostock-Heiligendamm nicht Schlimmeres passiert ist.
Blockade als Aktionsform
Die Gegenmobilisierung war ein voller Erfolg. Kamen 1999 zur Demonstration gegen die G7 im zentralen Köln 30 000 Menschen (30 000 von den Euromärschen u.a. hatten damals eine Woche vorher demonstriert), erschienen zur Demo im abgelegenen Rostock-Heiligendamm 80 000 und zum Konzert 70 000 Menschen, die größtenteils nicht dieselben waren. Vor allem versammelten sich in den Camps für mehrere Tage bis zu 20 000 überwiegend junge Menschen. Zudem organisierten die KritikerInnen der G8 in den Monaten vor Rostock über 1000 Veranstaltungen. Fand 1999 die Kritik der Demonstrierenden kaum Widerhall in der Bevölkerung, so berichteten 2007 selbst die bürgerlichen Medien ausführlich über die Globalisierungskritik. Zwischen Köln 1999 und Rostock 2007 wurde eine neue politische Schicht junger AktivistInnen aktiv, für die der Protest gegen die G8 einen großen Schritt der Politisierung bedeutete.

Die Proteste in Rostock und Heiligendamm haben die Aktionsform der Blockade gleichberechtigt neben die der Demonstration gestellt. Die politische Wirkung der gelungen Blockade aller Zufahrtsstraße nach Heiligendamm am Mittwoch, dem 6. Juni, so dass für die Herrschenden nur der Luft- und Seeweg frei blieb, ist sogar erheblich höher einzuschätzen als die der Demonstration vom 2. Juni. Die erfolgreiche Blockade von Heiligendamm und nicht zuletzt von Polizeieinheiten befreite vom eigenen Ohnmachtsgefühl, setzte Energien frei, stärkte das Selbstbewusstsein, wozu auch die gut funktionierende demokratische Selbstverwaltung in den Camps beitrug. Die offen angekündigte, friedliche und symbolische Blockade ist mit Heiligendamm zu einer bedeutenden Aktionsform der außerparlamentarischen Bewegung geworden.
Solidarität mit allen DemonstrantInnen!

Der Demonstration am 2. Juni konnte u.a. der Schwarze Block, der selbst völlig heterogen ist, den Stempel aufdrücken. Die „offiziellen” Anti-G8-OrganisatorInnen standen hilflos neben den Auseinandersetzungen. Einen funktionierenden Ordnerdienst, der Greiftrupps der Polizei und Wasserwerfer von der Kundgebung hätte fernhalten können, gab es nicht.
Mit Fortdauer des Anti-G8-Protestes setzte sich die Kampagne Block G8 als führende Kraft unter den Protestierenden durch. Der Schwarze Block trat als solcher nicht mehr in Erscheinung. Die erfolgreiche Widerstandsform der Blockaden dokumentierte ganz nebenbei die politische Hilflosigkeit der Aktionsformen, Methoden und Ziele des Schwarzen Blocks.

Die bürgerliche Medienhetze gegen den Schwarzen Block und gegen „die Gewalt” sollte von der Kritik an der Interessenpolitik der imperialistischen Großmächte ablenken. Werner Rätz von Attac distanzierte sich nach der Kundgebung am 2. Juni von DemonstrantInnen und der Vorsitzende der Linkspartei, Lothar Bisky, von „Krawallen”. Sie stellten sich damit auf die Seite der herrschenden Klasse (s. Kasten). Die politische Verteidigung aller Demonstrierenden, die die Gewalt des Kapitalismus bekämpfen wollen, bleibt eine dauernde Aufgabe. Bei der sozialen Ausgrenzung und Verelendung von Millionen Menschen in der BRD ist es eigentlich verwunderlich, dass nicht viel mehr Steine fliegen oder Erwerbslose auf den Arbeitsagenturen ausrasten. In der innerlinken Debatte gilt es die Kritik an den Distanzierungen auch in die Reihen von attac und von Die Linke zu tragen.
Leider waren die verschiedenen Organisationen der revolutionären SozialistInnen in Rostock-Heiligendamm relativ schwach vertreten. Sie dürfen die Verteidigung von Demonstrationen zukünftig nicht dem Schwarzen Block überlassen! Absprachen für einen gemeinsamen „roten Block” der linkssozialistischen Organisationen wie NLO, SAV, RSB u.a. mit einem gemeinsamen Ordnerdienst sind künftig dringend notwendig, um sich und das eigene Umfeld zu schützen, nimmt mensch die staatlichen Provokations- und Repressionsmaßnahmen wirklich ernst.
Block G8 – eine neue politische Kraft
In den Camps trat mit der Kampagne Block G8 eine neue politische Kraft her
vor: Es handelt sich um ein breites Bündnis, das im Kern die im Wendland (x-tausendmal quer) gegen Atomkraft erprobten Protestformen wie Blockaden und Demonstrationstaktiken, mit denen Polizeimaßnahmen unterlaufen werden können, erfolgreich um Heiligendamm herum anwandte. Zumindest für einige Zeit gelang es, alle Zufahrten zum G8-Gipfel zu blockieren, so dass den Herrschenden nur noch der Weg zu Luft und Wasser offen blieb. Hervorgegangen aus der außerparlamentarische Bewegung gegen die Atommülltransporte und jetzt gegen den G8-Gipfel sind die Blockaden eine Protestform, die bei vielen Menschen auf Sympathie und Verständnis stößt. Selbst einige bürgerliche Medien mussten sie positiv kommentieren.
Außerparlamentarischen Protest weiter treiben

Was vielen der jungen politischen AktivistInnen fehlt, ist ein positiver Bezug zur ArbeiterInnenklasse, der einzigen Klasse, die die gesellschaftlichen Verhältnisse potentiell aus den Angeln heben kann. Es genügt aber nicht, unter den jungen AktivistInnen eine marxistische Kritik der bürgerlichen Gesellschaft zu propagieren; umgekehrt müssen die neuen Aktionsformen der außerparlamentarischen Bewegung von der marxistischen Linken aufgegriffen werden. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich dem linken Flügel der sozialen Bewegung im Bündnis 3. Juni, wo bereits in der Vergangenheit die Blockade der Frankfurter Börse aus Protest gegen den sozialen Kahlschlag andiskutiert wurde.

Der massive Polizeieinsatz in Rostock-Heiligendamm macht die gemeinsame Verteidigung der demokratischen Rechte zwingend erforderlich: Eine/r für alle – alle für eine/n! Demokratische Forderungen sind aber „bloß” bürgerlich-demokratische Forderungen d.h. sie entwickeln unter bürgerlich-parlamentarischen Verhältnissen keine System sprengende Dynamik. Die Verbindung des Kampfes um demokratische Rechte mit dem Kampf um die „soziale Frage”, d.h. die Kombination von demokratischen Forderungen mit einem Programm von Sofort- und Übergangsforderungen, bleibt die Aufgabe des revolutionären Marxismus, um eine sozialistische Perspektive weisen zu können und die abstrakte Losung „Kapitalismus abschaffen!” vom Kopf auf die Füße zu stellen.

 

Schulterschluss mit dem Repressionsapparat
„Wir können der Polizei keinen Vorwurf machen”, sagt Veranstalter Werner Rätz von Attac, „die haben sich an den deeskalierenden Kurs gehalten […] Wir können uns nur entschuldigen, dass sich die Demonstranten nicht an ihren Teil der Verabredung gehalten haben.” Er habe Verständnis, dass die Polizei später hart gegen Einzelne vorgegangen sei.
Manfred Stenner, Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative, kündigt erregt die Suche nach den Krawallmachern an: „Wir werden recherchieren, wer die Arschlöcher waren.” Auch Rätz betont, dass die Veranstalter der Polizei keinen Vorwurf machen.

Focus-Online, 2.6.2007


Der Vorsitzende der Linkspartei.PDS Lothar Bisky: „Die Bilder von den Krawallen am Rande der Abschlusskundgebung mit über 1000 Verletzten sind entsetzlich. Wir distanzieren uns von den gewalttätigen Auseinandersetzungen und zwar eindeutig. Sie schaden der Globalisierungskritik und dem berechtigten Protest.”

4.6.2007


Werner Rätz: „Es gibt keinerlei Rechtfertigung für Angriffe auf Personen, wir distanzieren uns davon”.

Süddeutsche Zeitung, 3.6.2007

 

 

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