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Innenpolitik

Maßgeschneiderte Realität

Von Tom Bogen | 01.07.2007

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Der G8-Gipfel 2007 war nicht nur ein Gipfel der Re­­pres­s­ion, er war vor allem auch ein Gipfel der Medienmanipulation. Vergleichbar allenfalls mit Kriegsberichterstattung wie der des Kosovo- oder Afghanistankriegs. Selten waren die Nachrichten so gleichgeschaltet, wurde so systematisch und geballt gegen GlobalisierungskritikerInnen gehetzt und massenhaft Lügen verbreitet.

Der G8-Gipfel 2007 war nicht nur ein Gipfel der Re­­pres­s­ion, er war vor allem auch ein Gipfel der Medienmanipulation. Vergleichbar allenfalls mit Kriegsberichterstattung wie der des Kosovo- oder Afghanistankriegs. Selten waren die Nachrichten so gleichgeschaltet, wurde so systematisch und geballt gegen GlobalisierungskritikerInnen gehetzt und massenhaft Lügen verbreitet.

Leo Trotzki schreibt in seinem Aufsatz Das Verhältnis der Arbeiterklasse zur Pressefreiheit: „Die tatsächliche Aufgabe eines Arbeiterstaates besteht nicht darin, die öffentliche Meinung in eine Richtung zu lenken, sondern sie vom Joch des Kapitals zu befreien.“ Was mit Medien passiert, die unter der Knute des Kapitals stehen, dass konnte mensch in den letzten Wochen besonders beobachten. Schon im Vorfeld des G8-Gipfels wurden aus alten Weckern, Klingeldraht und einem unechten Schülerausweis, die bei den Durchsuchungsaktionen gefunden wurden: Zeitzünder, Bombenteile und gefälschte Papiere. Am 2. Juni ging es weiter. Natürlich wurde die Schuld für die Eskalation auf der Demo einseitig den Demonstrierenden angelastet. Kein Wort von der auf Provokation zielenden Polizeitaktik – schon früh wurden einzelne Menschen brutal aus der Demo herausgezogen. Kein Wort von den Angriffen der Polizei auf fast die gesamte Abschlusskundgebung. Den Kampf auf der Straße folgte der Kampf der Zahlen. Und da haben die Mächtigen auf jeden Fall die Oberhand. Im Radio und Fernsehen war von mehreren brennenden Autos die Rede, zu sehen war stets das Gleiche. Kritiklos wurden die Zahlen von Polizei und BKA übernommen. Nach der Demo wurde von 480 „teilweise schwer verletzten Polizisten“ berichtet. Kein Journalist machte sich die Mühe, die Daten zu überprüfen. Nach Angaben des Klinikpersonals des Rostocker Krankenhauses mussten letztendlich 2 Polizisten stationär behandelt werden.
Massenweise Falschmeldungen
Der Kampf um die Meinung wurde im Internet besonders heftig geführt. Hier müssen sich nämlich Spiegel, Fokus und Co. beispielsweise mit Indymedia oder der Berichterstattung von G8-TV messen. Die Onlineausgaben der Zeitungen lieferten massenweise Bilder und Berichte, die eine Kriegssituation in Rostock und Umgebung skizzierten. Der Ableger des in weiten Kreisen als links-liberal geltenden Spiegels berichtete besonders hetzerisch über die Proteste. „‚Clown’s Army‘ sprüht Gift gegen Polizisten“ titelte Spiegel-Online in seinem Live-Ticker. Diese später als  Falschmeldung entlarvte Nachricht geht zurück auf die Nachrichtenagentur DDP, die die Behauptung eines Polizeisprechers eins zu eins übernahm und als Tatsache hinstellte. Tatsächlich handelte es sich bei der Flüssigkeit um eine Lauge für Seifenblasen, wie sie auch Kleinkinder verwenden. Das Übertreiben der ohnehin überzogenen Polizeimeldungen durch die bürgerliche Presse war kein Einzelfall sondern an der Tagesordnung.
Ein exemplarisches Beispiel
Die Vor-Ort-Reporterin von Welt-Online schreibt am 6. Juni zu dem von der Polizei eingesetzten Aufwieglern: „Ein schwarz gekleideter Vermummter stachelt zum Steine werfen auf. […] ‚Das ist ein Zivilbulle!’ ruft einer. […] einige sammeln Steine im Kiesbecken […] Block-G-8-Aktivist Henning Obens […] schützt den Vermummten mit seinem Körper und zerrt ihn zur Polizei. […] Offenbar war der Vermummte ein „Agent Provokateur“. […] wenig später beruhigt sich die Menge wieder. Immer näher fahren zwei Wasserwerfer und ein Räumungsfahrzeug auf die Blockierer zu. Eigentlich gibt es keinen Grund dazu – die Demonstranten sind friedlich.“

Die Mitteilung der Polizei zum gleichen (!) Vorgang: „… BAO Kavala, hat soeben festgestellt, dass Teilnehmer aus der Gruppe, die derzeit die Kontrollstelle „Galopprennbahn“ blockieren, die Kleidung wechseln, sich verrmummen und Schutzkleidung anlegen, sich mit Molotow-Cocktails bewaffnen und Steine aufnehmen.“

Die DPA macht daraus folgende Meldung: „…am Blockadepunkt Rennbahn droht nach Einschätzung der Polizei eine Eskalation. Wie die Polizei der dpa mitteilte, würden sich vor dem Durchgang in einer Gruppe von 9.000 bis 10.000 Blockierern Autonome vermummen und bewaffnen. Die Bewaffnung bestehe aus Molotow-Cocktails und Steinen.“
Der Tagesspiegel schreibt einen Tag später über die Ereignisse: „Als es dämmert rotten sich am Blockadepunkt Galopprennbahn vermummte Autonome zusammen. Sie haben Molotow-Cocktails dabei“.

Die Medien in den Industrieländern sind agenturgeführt. Aus Kostengründen schicken die Zeitungen meist nicht selbst Reporter­Innen vor Ort, sondern verlassen sich auf die Meldung der Nachrichtenagenturen. In den verschieden Medien taucht der Sachverhalt dann mehrmals auf und erweckt den Eindruck, den Tatsachen zu entsprechen, da er von vielen Seiten bestätigt wird. Obwohl es sich jeweils um die gleiche Quelle handelt.
Deeskalierende Wasserwerfer
Im Fernsehen funktioniert das ähnlich. N-TV machte  aus den Protesten ein TV-Event und berichtete selbst die gesamte Woche über in einer Dauerberichterstattung von den „Krawallen“. Dabei hatte der Sender seit den Blockadeaktionen das Problem, dass die Kameras, sofern sie wirklich „live“ dazugeschaltet wurden, ein objektiveres Bild zeigten, als es gewünscht war.  Bild und Text klafften weit auseinander. Am Nachmittag des 7. Juni kommentierte ein Vertreter der Polizeigewerkschaft im N-TV Studio die Räumung einer Demo am Zaun: „Wie man sieht, die Wasserwerfer der Polizei können durchaus auch deeskalierend wirken.“ Der Moderator: „Ja, die Demonstranten bleiben friedlich – bei diesen Temperaturen.“ Ein N-TV Kamerateam berichtet, wie es dem „G8 Legal Team“ an einer Autobahn von der Polizei verwehrt wurde, zu 50 Verhafteten durchgelassen zu werden. Alle hätten angeblich die Autobahn durch zu langsames Fahren blockiert. Nicht der Hauch einer Kritik im Beitrag.

Kritik an der Polizei, wenn die Bildern zeigten, wie brutal gegen die SitzblockiererInnen vorgegangen wurde, gab es nicht. Selbst als die DemonstrantInnen sich von der Polizei wegtragen ließen, hieß es, sie würden randalieren. Widerstand gegen diese Polizeiaktionen und Beharrlichkeit in den Protesten wird sofort als „Eskalation“ diffamiert. Zu Wort kamen die Protestierenden selten, um solcherlei Aktionen zu kommentieren. Dafür war Polizeisprecher Axel Falkenberg allgegenwärtig, den die Journalisten lieber zu den Motiven der BlockierInnen befragten, als die Blockierenden selbst.
Deutlich wurde die mediale Manipulation auch bei der Greenpeace-Aktion. Ohne Rücksicht auf Verluste wird da ein Schlauchb
oot inklusive der Insassen überfahren. Außer einer Phoenix-Reportin sprach kein Journalist aus, was die Bilder deutlich machten: Die Polizei ist gewalttätig.
Die 4. Gewalt
Tatsächlich sind die Medien eine Gewalt im Staate. Sie stellen bei den Ausgebeuteten die richtige Vermittlung der Realität sicher. Und sorgen damit, wie die anderen drei, für die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft. Eine kritische Berichterstattung wird – wenn überhaupt – die Ausnahme sein und ist dann Produkt der Verhältnisse, in denen es sich die Herrschenden auch mal leisten können, progressiv zu berichten. Während des G8-Treffens war das offensichtlich nicht der Fall. Die Manipulation der öffentlichen Meinung reicht im Kapitalismus von Selbstzensur der Journalist­Innen, weil sie dem Druck der KollegInnen und ihres Chefs nachgeben, bis hin zum offenen Eingreifen in journalistische Arbeit durch die EigentümerInnen der Medienkonzerne. Die Menschen hinter der Kamera reproduzieren nur die herrschende Ideologie. Und wenn es eng wird, schauen die meisten weg – zum Wohle des eigenen Arbeitsplatzes.

Die Bundesregierung hat es während des Gipfels aber subtiler gemacht, was auch nichts ungewöhnliches ist, um eine freundliche Berichterstattung sicherzustellen: Selektion und Einbindung. Unliebsamen Berichterstattern wurde die Akkreditierung verweigert. Wer es geschafft hat, für den/die gab es in Heiligendamm teures Essen. Die JournalistInnen haben aber auch eine eigene Infrastruktur zur Verfügung gestellt bekommen oder konnten die Boote der Sicherheitsbehörden benutzen, um die Blockaden zu umgehen. Hier wurde sogar bildhaft deutlich: Die Medienschaffenden sitzen im Boot der Herrschenden. Und wer beim nächsten Mal auch dabei sein will, berichtet natürlich konform.
Trotzki bemerkte richtig, eine freie Presse kann es im Kapitalismus niemals geben. Er führt in seinem Aufsatz weiter aus: „Dies kann nur dadurch geschehen, dass die Produktionsmittel – und das schließt die Erzeugung von Informationen ein – vollständig in die Hände der Gesellschaft gelegt werden.“

 

Erfahrungen mit Polizeistaatsmethoden
Es muss der Versuch unternommen werden möglichst alles lückenlos zusammenzustellen – von der Inhaftierung anreisender AtomkraftgegnerInnen aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg, über die Behandlung der Gefangenen in den Käfigen sowie der Aktivität der „agents provocateurs“ in den Reihen der Protestbewegung und den Tornado-Tiefflügen über Protestcamps. Dies ließe sich noch beliebig fortsetzen – und eine Bewertung der Schäuble-Politik und aller anderen Fanatiker von Law and Order vorzunehmen. Das Kalkül dieser Politiker und das Kalkül der verantwortlichen Polizeiführungen ist in einigen Punkten voll aufgegangen. Teile der Bewegung gegen den G8-Gipfel, hier vor allem auch SprecherInnen der Attac-Bundesgeschäftsführung haben sich von den „Autonomen“ und deren vermeintlicher Gewaltbereitschaft aufs Schärfste distanziert und teilweise das Vokabular des bürgerlichen Staates gegen den „Schwarzen Block“ übernommen. Um so leichter fällt es jetzt dem bürgerlichen Staat Teile der Bewegung verstärkt zu kriminalisieren, wie die Hausdurchsuchungen in den letzten Tagen in Hamburg und Schleswig-Holstein zeigen.
Schon im Vorfeld der Proteste war alles unternommen worden, um zur Kriminalisierung der Bewegung beizutragen. Damals war die Rechnung nicht aufgegangen, die Reaktion waren im Gegenteil große Demonstrationen gegen die Repression des bürgerlichen Staates.

 

 

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