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Innenpolitik

Lohnentwicklung in der BRD – Talfahrt ohne Ende ?

Von Walter Weiß | 01.11.2007

Als BILD Ende September 2007 titelte „Löhne wie 1986“ brachte das die AkteurInnen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in arge Verlegenheit. Platzte doch die Mär vom Hochlohnland BRD wie eine Seifenblase. Das Ministerium dementierte und verwies darauf, dass die Westzahlen von 1986 mit den gesamtdeutschen Zahlen von heute nicht vergleichbar wären. Etwas schamhaft wurde aber eine gewisse Unwucht bei der Lohnentwicklung eingeräumt. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf das Absinken der Staatsquote auf unter 40 %.

Als BILD Ende September 2007 titelte „Löhne wie 1986“ brachte das die AkteurInnen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in arge Verlegenheit. Platzte doch die Mär vom Hochlohnland BRD wie eine Seifenblase.

Das Ministerium dementierte und verwies darauf, dass die Westzahlen von 1986 mit den gesamtdeutschen Zahlen von heute nicht vergleichbar wären. Etwas schamhaft wurde aber eine gewisse Unwucht bei der Lohnentwicklung eingeräumt. Es fehlte auch nicht der Hinweis auf das Absinken der Staatsquote auf unter 40 %.
Ernste Zweifel
Blicken die Lohnabhängigen auf ihre Kontoauszüge kommen Zweifel an dieser Behauptung auf. Betrug der Nettoreallohn 1986 1.315,40 € (1994 1.403,60 €) so fanden sich 2006 1.320,42 € in der Lohntüte. Eine gewaltige Expansion von 5,02 € in zwanzig Jahren. Und bei einem Nettorealverdienst von 15.845 € ergaben sich Abgaben für Lohnsteuer und Soziales von stolzen 9.291€, d.h. 3.684 € oder 66 % mehr als 1986! Offensichtlich waren dies eher die Werte eines Billiglohnlandes gemessen am Lebensstandard einer spätkapitalistischen Metropole.

Rudolf Hickel hat auf die geringe Steigerung der Bruttolöhne hingewiesen und ergänzt, dass Weihnachts- und Urlaubsgeld abgebaut oder gestrichen wurden, die Preise stiegen und höhere Sozialausgaben und Steuern hinzukamen. Denken wir nur an die explodierenden Energiepreise bei Vervierfachung der Gewinne/Profite bei den fünf größten Marktführern. Erinnern wir uns an die Mehrbelastungen in Kontext der Konterreformen im Gesundheitswesen; an die Pflegeversicherung; gestiegene Kosten für Kindergartenplätze; die Mehrwertsteuererhöhung (und Münteferings gebrochenes Wahlversprechen sie nicht zu erhöhen); gestiegene Lebensmittelpreise selbst bei den Diskountern; die permanenten Fahrpreiserhöhungen bei der Deutschen Bahn und den Verkehrsverbünden kombiniert – dank neoliberaler Privatisierung – mit sinkenden Angeboten bei den Verbindungen und im Service…die Beispiele sind Legion. Mit den Niederlanden und Malta bildet die BRD das Schlusslicht in der Lohnentwicklung Europas.
Der Lohn – eine klassenpolitische Größe
Bekanntlich wird im Kapitalismus die Arbeitskraft eine Ware, deren Wert objektiv durch die Reproduktionskosten dieser Ware bestimmt wird. Aber nach Marx gibt es eine Variable, die oberhalb des physischen Minimums liegt. Er bezeichnet sie als „moralisches und historisches Element“. Insofern ist der Lohn auch durch das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit definiert. Die lange anhaltende Massenarbeitslosigkeit seit der verallgemeinerten Weltwirtschaftsrezession 1974/75 (seit diesem Zeitpunkt nach Ernest Mandel eine „lange Welle mit stagnierendem, depressivem Grundton“) hat die industrielle Reservearmee nicht zuletzt im Rahmen der dritte technologisch-wissenschaftlichen Revolution gewaltig anwachsen lassen. Das lässt die Löhne, den „Marktpreis der Arbeitskraft“ (Mandel) z.T. unter das physische Minimum sinken. Tendenziell führt das zu einer relativen Verelendung mancher Sektoren der ArbeiterInnenklasse. Jüngstes Beispiel sind die rumänischen Bauarbeiter, die am Limbecker Platz in Essen einen der größten Konsumtempel der Republik miterrichten und wochenlang gar keine Löhne erhielten und sich ihr Existenzminimum durch Sammeln von Pfandflaschen sichern mussten. Denken wir nur an die Vollzeitarbeitenden, deren Einkommen mit Hartz IV aufgestockt werden muss. In den letzten 5 Jahren ist die Teilzeitbeschäftigung von 11 auf 14 % und die Zahl der geringfügig Beschäftigten und Ein-Eurojobber von 3 auf 6 Millionen gestiegen. Die Schichtung der Klasse hat sich radikal verändert.
Sozialpartnerschaftliche Illusionen
Die Ausgangslage für die Gewerkschaften ist deutlich negativer geworden. Doch anstatt mit einem klassenkämpferischen Programm für radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich (das Geld ist da!); für einen Mindestlohn von 10 € und eine Erhöhung der Eckregelsätze bei Hartz IV auf 500 € mit dem Ziel „dieses Verbrechen am Menschen“ (so ein Betroffener) ganz abzuschaffen, verharrt die konservative Gewerkschaftsbürokratie auf sozialpartnerschaftlichen Illusionen oder öffnet den Neoliberalen Tür und Tor! Tarifverträge von 7 bis runter auf 4 € im Osten; Arbeitszeitverlängerungen als schallende Ohrfeige für Millionen von Erwerbslosen,  der Telekomabschluss, abgesegnete Reallohnverluste usw. usf.. Von den Lustreisen der VW-Betriebsräte ganz zu schweigen.

In einer solchen Situation ist die Unterstützung aller betrieblichen Abwehrkämpfe und der Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaftslinken als Teil einer notwendigen außerparlamentarischen Opposition das Gebot der Stunde!

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