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Betrieb & Gewerkschaft

IG Metall-Gewerkschaftstag 2007: Der Glaube an die Ewigkeit des Kapitalismus

Von h.n. | 01.12.2007

Es verlief alles nach Plan: die Wahlen zum geschäftsführenden Vorstand ohne Gegenkandidaturen, ein hervorragendes Ergebnis für den neuen Ersten Vorsitzenden Berthold Huber (91,6 %), die reibungslos funktionierende Abstimmungsmaschine, die alle ernsthaften Störungen vermeiden konnte, und die Vermittlung eines geschlossenen Bildes nach außen – ohne „Wagenburgmentalität“.

Es verlief alles nach Plan: die Wahlen zum geschäftsführenden Vorstand ohne Gegenkandidaturen, ein hervorragendes Ergebnis für den neuen Ersten Vorsitzenden Berthold Huber (91,6 %), die reibungslos funktionierende Abstimmungsmaschine, die alle ernsthaften Störungen vermeiden konnte, und die Vermittlung eines geschlossenen Bildes nach außen – ohne „Wagenburgmentalität“.

In der ihm eigenen Art hat Huber mit seinem „Zukunftsreferat“ die ideologischen Leitlinien seiner Amtszeit vorgegeben. Er kritisierte zurecht einige unakzeptable Auswirkungen des Kapitalismus und die daraus resultierenden (sozial-)politischen Rückschritte. Allerdings gab er keine überzeugenden Antworten auf die Frage des gewerkschaftlichen Widerstands gegen den als „Rente mit 67“ getarnten Rentenklau, gegen die zunehmende Ausdehnung von Leiharbeit oder von Niedriglöhnen.
Flexible Arbeitszeiten
Schlimmer noch trieb Huber sein innig geliebtes Steckenpferd aus dem Stall der differenzierten Flexibilität vor allem mit den Ausführungen zur Arbeitszeit zum wilden Galopp. Sicherlich richtig ist seine Aussage: „Der tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden steht eine durchschnittliche effektive Arbeitszeit von 39,9 Stunden gegenüber. Die Differenz ist so groß wie noch nie. Die IG Metall hat mit der 35 einen Markstein für eine menschengerechtere [!] Arbeitszeit gesetzt.“ Um dann aber fortzufahren: „Das ist keine Monstranz, die man vor sich hertragen kann. Wir können die Arbeitszeitfrage heute nur mit differenzierten Antworten lösen.“
Für FließbandarbeiterInnen könne es sinnvoll sein, über Arbeitszeitreduzierungen nachzudenken. Für projektbezogene Arbeiten zum Beispiel von IngenieurInnen müsse es dagegen möglich sein, ohne enge zeitliche Grenzen zu arbeiten. Sicherlich ist dies in vielen Bereichen dank der Anpassung der meisten Betriebsräte und vieler hauptamtlicher BetriebsbetreuerInnen der IG Metall bereits Realität. Aber Huber hat damit die offene gewerkschaftliche Wende weg von einer einheitlichen und hin zu einer nach betrieblichen Bedürfnissen „differenzierten“ tariflichen Arbeitszeitpolitik angekündigt.

Nach dem verhängnisvollen „Pforzheimer Abkommen“ und dem Entgeltrahmentarifvertrag (ERA) soll das der entscheidende Baustein für die „Modernisierung“ der IG Metall als deutsche Standortgewerkschaft sein. Immerhin hat die IG Metall mit dem Kampf um die 35-Stundenwoche 1984 einen ihrer wichtigsten Erfolge feiern können. Dieser hatte – bei aller Kritik an dem Abschluss im Einzelnen – wie keine zweite Tarifauseinandersetzung im letzten Vierteljahrhundert ihr gesellschaftliches Gewicht gestärkt. 
Kritische Töne
Kritische Töne gab es auf dem Gewerkschaftstag auch: zur Ablehnung der Agenda 2010 und der Ein-Euro-Jobs, zur Zahnlosigkeit gewerkschaftlicher Proteste gegen Sozialabbau, zur Notwendigkeit einer wirksamen internationalen Gewerkschaftsarbeit oder zur Frage des politischen Streiks in der Bundesrepublik.

Diese Aussagen waren aber eher Randerscheinungen. Es passte nur zu gut in das Bild der verordneten Harmonie, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Politik der kapitalistischen Bereicherung ohne größere Proteste und Unmutsbekundungen verkaufen könnte. Bezeichnend war auch, dass der Widerstand beim Osnabrücker Autobauer Karmann zwar von einer Delegation der KollegInnen auf dem Gewerkschaftstag thematisiert werden durfte, aber dort keine praktische Rolle spielte.
„Leipziger Signal“?
Zu den wichtigsten Kampagnethemen der IG Metall in den nächsten Jahren sollen nach den Beschlüssen des Gewerkschaftstages die Leiharbeit, die „Humanisierung der Arbeit“ und vor allem die Mitgliedergewinnung zählen.
„Gleiche Arbeit – Gleiches Geld“ fordert die Gewerkschaft zum Thema Leiharbeit. Das ist nicht falsch. Aber es reicht nicht aus, Leiharbeit tariflich zu zähmen. Sie muss grundsätzlich bekämpfen werden.

Gegen die zunehmenden gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz etwas zu unternehmen, ist natürlich sinnvoll. Es bietet auch den Vorteil, den Widerspruch zwischen Gesundheit und Profitmaximierung deutlich zu machen. Aber „Gute Arbeit“ wird es ohne Infragestellung der Mechanismen der kapitalistischen Lohnarbeit nicht geben.

Die entscheidende Frage für den Apparat ist die „Mitgliederentwicklung“. Ohne Mitglieder keine Beiträge, ohne Beiträge kein Apparat. Die Zauberformel zur Lösung dieses Problems heißt Mitgliederbeteiligung. Aber ohne wirkliche innergewerkschaftliche Demokratie wird diese in einer bürokratischen Organisation eine Floskel bleiben.

Die Zukunft der IG Metall wird vielmehr davon abhängen, wie es gelingt, auf betrieblicher, auf tarifpolitischer und gesellschaftspolitischer Ebene das Projekt einer gewerkschaftlicher Gegenmacht zum Kapitalismus wirksam werden zu lassen. Diese zentrale Aufgabe wird nicht durch den Glauben an die Ewigkeit des Kapitalismus gelöst werden.

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