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Betrieb & Gewerkschaft

300 Euro mehr für alle!

Von D. Berger | 01.03.2008

In den Debatten der letzten Wochen vertreten auch Linke oft den Standpunkt: Hauptsache Mindestlohn! Die Höhe wird dann recht leicht auf das erforderliche Niveau zu bringen sein.

In den Debatten der letzten Wochen vertreten auch Linke oft den Standpunkt: Hauptsache Mindestlohn! Die Höhe wird dann recht leicht auf das erforderliche Niveau zu bringen sein.

Dies ist ein gravierender Fehlschluss. Selbst in Frankreich, wo es seit Jahrzehnten den Mindestlohn (SMIC) gibt, ist dieser auch heute noch ein Armutslohn. Dort haben 17 Prozent der Lohnabhängigen den SMIC, bekommen 1280,07 Euro brutto im Monat. In Österreich werden bis 2009 flächendeckend in allen Branchen Mindestlöhne eingeführt (von den Gewerkschaften mit ausgehandelt), aber eben nur 1000 € brutto. Das sind noch weniger als die 7,50  €, die der DGB fordert, die etwa 1200 € brutto im Monat ergeben würden.
Welcher Maßstab?
Die 7,50 €, die der DGB fordert, sind völlig indiskutabel, denn sie liegen netto deutlich unterhalb der Pfändungsfreigrenze von heute 990 € (die Pfändungsfreigrenze ist der Betrag, den der Gerichtsvollzieher einem Menschen zum Leben lässt.) Die Partei Die Linke fordert in vielen ihrer Publikationen heute noch 8 €, was kaum besser ist. Da die Partei aber, allen voran Gysi, seit eh und je mit der Pfändungsfreigrenze argumentiert, hat sich die Parteiführung jetzt entschlossen, künftig 8,44 € zu fordern. Mit einer 40 Stundenwoche kommt mensch damit auf 1468 € brutto, was netto gerade mal hauchdünn die Pfändungsfreigrenze überschreitet.

Geht mensch von den OECD-Maßstäben aus, die OECD ist wahrlich keine linke Institution, so liegt ein Niedriglohn bzw. prekärer Lohn bei 75% des Durchschnittseinkommens; und geht mensch von den Maßstäben der EU aus (also 60% des Durchschnitts), müssen heute alle Löhne unter 1500 Euro als Armutslöhne definiert werden.
Peinlich für alle, die mit 7,50 oder 8,00 Euro argumentieren: Auch mit diesen Löhnen besteht noch Anspruch auf ergänzendes ALG II. Diese Löhne sind faktisch Kombilöhne, müssen also vom Staat bezuschusst werden.
Tarife statt Mindestlöhne?
Anfang Januar hat sich Oliver Burk­hard, der neue IG Metall Bezirksleiter von NRW, im FR-Interview faktisch gegen gesetzliche Mindestlöhne gewandt (sie seien nur die „zweitbeste Lösung“), Tarifverträge könnten das besser lösen. Das ist in jeder Hinsicht verlogen, denn heute gibt es 130 Tarifverträge unter 6,- €/Stunde und auch im Metallbereich gibt es heute Lohndumping, wenn nämlich Service-Bereiche ausgegliedert werden, wie die Financial Times Deutschland vom 9.1.08 dazu genüsslich anmerkt.

Burkhards Behauptung, die Unternehmer, die die Tarifbindung verlassen, um nicht mehr den höheren Tariflohn zu zahlen, haben dann „trotzdem ein gutes Gewissen“, ist vollkommen irreführend. Denn auf das Gewissen kommt es den KapitalistInnen in keinem Fall an, schließlich begehen sie seit Jahren Tarifflucht. Einzig und allein das betriebliche und gesellschaftliche Kräfteverhältnis kann sie davon abhalten. Heute schon sind im Westen nur noch knapp 70% der beschäftigten Lohnabhängigen überhaupt von Tarifverträgen erfasst, im Osten 55%. Die Tendenz ist weiter sinkend, auch ohne Mindestlohn.
Auf die Höhe kommt es an
Dennoch ist ein kleiner wahrer Kern in den Äußerungen von Burk­hard enthalten. Wenn der Mindestlohn nämlich sehr niedrig ist – also in etwa in der Nähe der heute vom DGB geforderten 7,50 € – dann können sehr wohl tariflich nicht gebundene Löhne, die nur leicht darüber liegen, nach unten gezogen werden. Ein allgemein verbindlicher, gesetzlich für alle Branchen und Tätigkeiten gleicher Mindestlohn, muss so hoch sein, dass die Menschen damit auskommen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Die soziale Bewegung hat deswegen seit Jahren einen „Mindestlohn von wenigstens 10 Euro“ gefordert, das Wörtchen „wenigstens“ war dabei nicht unwichtig. Denn auch 2003, als dies im Frankfurter Appell verankert wurde, war den Beteiligten klar, dass damit noch nicht wirklich dem Armutslohn entronnen wird. Allein die Steigerung der Lebenshaltungskosten von jährlich 2,5%, was für den Warenkorb dieses Teils der Bevölkerung eigentlich zu niedrig angesetzt ist, erfordert heute schon eine Anpassung auf 11,31 €. Und erst mit 12 €/h liegt mensch über dem Armutslohn und kann halbwegs am gesellschaftlichen Leben teilhaben.

Aus diesen Gründen machen wir uns dafür stark, dass sich die soziale Bewegung und gewerkschaftlichen Gliederungen für einen Mindestlohn von 12.- € aussprechen und dafür kämpfen!
300 Euro mehr sind die aktuelle Konkretisierung
In dem allgemeinen Gewirr der Debatten um einen Mindestlohn müssen jetzt klare Zeichen gesetzt werden. Die Durchsetzung von Löhnen, die wirklich zum Leben reichen und die die darüber liegenden Löhne von unten her stützen, erfordert eine allgemeine Lohnerhöhung um 300 Euro, quer durch alle Bereiche. Für die untersten Löhne wäre dies eine beträchtliche Steigerung und bei 6000 Euro brutto wären es immer noch 5%.

Angesichts der Verluste in vielen Bereichen gerade des Öffentlichen Dienstes und angesichts der von Verdi endlich mal aufgestellten Festgeldforderung (mindestens 200 Euro) kann ein massives Argumentieren für 300 Euro mehr für alle eine gute Orientierung bieten.

Wer nicht bereit ist, für eine deutliche Erhöhung der Löhne und Gehälter einzutreten, der ist weder für einen Mindestlohn, von dem mensch leben kann, noch für einen Ausgleich des Kaufkraftverlustes der vergangenen Jahre für alle anderen.

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