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Betrieb & Gewerkschaft

Tarifvertrag LokführerInnen: Vertane Chance, aber wichtige Kampferfahrung

Von D. Berger | 01.03.2008

Selbst Mitte Februar steht der Wortlaut des Tarifvertrages noch nicht fest. Aber die wichtigsten Schlussfolgerungen liegen auf der Hand. Der wichtigste Effekt des Kampfes war die aufmunternde Wirkung auf andere Tarifbereiche wie den Öffentlichen Dienst und die Stahlindustrie. Dort forderten die KollegInnen deutlich mehr als in der Vergangenheit.  Die ersten Zahlen zum Tarifabschluss der GDL haben zunächst den Eindruck erweckt, dass die GDL deutlich mehr erreicht hat als alle anderen Gewerkschaften.

Selbst Mitte Februar steht der Wortlaut des Tarifvertrages noch nicht fest. Aber die wichtigsten Schlussfolgerungen liegen auf der Hand.

Der wichtigste Effekt des Kampfes war die aufmunternde Wirkung auf andere Tarifbereiche wie den Öffentlichen Dienst und die Stahlindustrie. Dort forderten die KollegInnen deutlich mehr als in der Vergangenheit.
Die ersten Zahlen zum Tarifabschluss der GDL haben zunächst den Eindruck erweckt, dass die GDL deutlich mehr erreicht hat als alle anderen Gewerkschaften. Bei näherer Betrachtung liegen die wichtigsten Errungenschaften dieses Tarifvertrages weniger im materiellen Bereich als in den (gewerkschafts)politischen Erfahrungen der KollegInnen.
Zu wenig Substanz
Die GDL verbreitete Anfang Januar die Zahl von 11% Lohnerhöhung. Die Wahrheit ist eher ernüchternd, was den Abschluss ganz beträchtlich schmälert.

Die GDL-Führung hat nämlich in typisch bürokratischer Weise nicht nur den Kampf vorzeitig und eigenmächtig beendet. Sie hat auch das Spiel der Gegenseite mitgemacht und einen sehr differenzierten und verworrenen Abschluss getätigt, der es den KollegInnen nahezu unmöglich macht, einen wirklich Überblick zu bekommen. Und sie hat – in typisch bürokratischer Weise – das Ergebnis schön gerechnet:

  • •    Die angegebenen Zahlen für die prozentuale Erhöhung (8%+ 3%) gelten nicht für alle Einkommensgruppen gleich (die jüngeren KollegInnen bekommen weit weniger davon ab (s. Kasten). Die 800 Euro für die Zeit Juli 07 – Feb. 08 gehen nicht in die Tabelle ein.
  • •    Die prozentuale Lohnerhöhung von insgesamt 11% (von März 2008 bis 31.1.2009) bedeutet im Schnitt auf das Jahr umgerechnet noch nicht einmal 6,5%.
  • •    Dem muss zwar die Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde (auf 40 h) bei vollem Lohnausgleich ab dem 1.2. 2009 hinzugefügt werden (was 2,4% ausmacht), aber dann sind wir im Schnitt immer noch bei deutlich unter 9%.
  • •    Von allen anderen Forderungen (bessere Schichtpläne und längere arbeitsfreie Zeiten zwischen den Schichten, mehr freie Wochenenden usw.) ist nichts übrig geblieben.


Der GDL-Vorstand hat zwar sein wichtigstes Ziel – den eigenständigen Tarifvertrag – erreicht. Aber es wird für die GDL in den kommenden Wochen sehr, sehr schwer, den Tarifvertrag auch für die KollegInnen bei der DB Zeitarbeit durchzusetzen, wo in diesem Jahr 1000 Lokführer eingestellt werden sollen. Selbst die bei der DB beschäftigten Lokrangierführer sind von dem Tarifabschluss nicht erfasst.

Vor allem verzichtete der GDL-Vorstand schon frühzeitig auf die Einbeziehung des Zugbegleitpersonals in den Tarifvertrag, obwohl gerade diese KollegInnen für eine breite Front des gesamten Fahrpersonals wichtig wären. Schließlich sind die schlecht bezahlten ZugbegleiterInnen und die Beschäftigen in der Zuggastro­nomie schon zu einem Drittel in der GDL organisiert. Ob sie jetzt dort bleiben werden, ist nicht sicher. Viel hängt in den kommenden Monaten davon ab, ob sich gegen den bürokratischen Kurs des GDL-Vorstands eine kritische Gewerkschaftstendenz von unten organisiert.
Bürokratische Eigeninteressen
Der GDL-Vorstand hat in der Zeit der größten Mobilisierung den unbefristeten Streik verhindert und in Verhandlungen eingewilligt, deren Ergebnis nicht im Entferntesten dem Willen der Mitgliedschaft entspricht. Ihm war die Schonung der Wirtschaft und der Bahn wichtiger als die Interessen der Mitglieder. Den eigenständigen Tarifvertrag als das Hauptziel zu erklären, kann nur im Zusammenhang mit dem Apparatinteresse des Vorstands verstanden werden, der die materiellen Interessen der jungen LokführerInnen und erst recht der ZugbegleiterInnen nicht ausreichend vertritt.
Lehren des Kampfes
Welches Mandat hatte eigentlich die Verhandlungskommission, die sich im Dezember und Januar – ohne dass der Streik zusammengebrochen wäre – völlig von der aufgestellten Forderung verabschiedet hat? Es zeigt sich wieder mal, wie mächtig eine Gewerkschaftsführung ist, die von der Basis nicht kontrolliert wird.
Die wichtigste Lehre aus diesem Kampf ist damit: An einer Organisierung von unten und an einer Vernetzung der Aktiven möglichst auch überörtlich führt kein Weg vorbei, wenn die KollegInnen beim nächsten Mal mehr durchsetzen wollen. Sie müssen ausreichend Druck machen für:

  • •    keine Verhandlungen ohne entsprechendes Mandat,
  • •    permanente Information über den Verhandlungsstand,
  • •    keine Kompensationsgeschäfte,
  • •    Urabstimmung über den Abschluss.


Die nächste Tarifrunde Anfang 2009 wird dazu Gelegenheit geben. Dafür sollten die ersten Verbindungen, die von der Gewerkschaftslinken zu aktiven GDLern geknüpft wurden, ausgebaut werden. Die Gewerkschaftslinke sollte den Verlauf dieser Tarifrunde sorgsam bilanzieren und sich nicht hinter der Verteidigung der „Einheitsgewerkschaft“ verstecken, wie dies etwa die Partei Die Linke tut.

 

Lohnerhöhung und Verrechnung
Mitte Februar ist immer noch nicht bekannt, wie viele der Zulagen mit den tabellenwirksamen Erhöhungen verrechnet werden (sicher ist dies für einen großen Teil des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes). Deshalb sind die folgenden tabellenwirksamen Zahlen geschönt und nur die halbe Wahrheit:
Ein Kollege mit mehr als 30 Jahren Berufserfahrung bekommt künftig 2655 € (bisher 2142 €). Das sieht nach 23% Lohnerhöhung aus, liegt aber in Wirklichkeit zwischen 11 und 13%. Das Einstiegsgehalt beträgt künftig 2195 € (bisher 1970 €). Das sind nur auf den ersten Blick 11%, in Wirklichkeit (auch unter Einbeziehung der Arbeitszeitverkürzung) nur ca. 5%. Von den geforderten 2500 € Einstiegsgehalt sind die jungen KollegInnen also noch weit entfernt.

 

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