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Innenpolitik

Finanzkrise – Wirtschaftskrise – Hungerkrise: Der Kapitalismus wie er leibt und lebt

Von D. Berger | 01.05.2008

Monatelang wurde von interessierter Seite immer wieder die angeblich so robuste Konjunktur beschworen. Die Immobilienkrise werde sich nur minimal auswirken, eine Krise in der Realwirtschaft oder gar eine Rezession sei nicht zu befürchten. Inzwischen lassen sich die Krisenmomente nicht mehr leugnen, am wenigsten die Ernährungskrise. Auslöser der Finanzkrise war die Hypothekenkrise in den USA, weil dort die private und öffentliche Verschuldung astronomische Ausmaße angenommen hatte.

Monatelang wurde von interessierter Seite immer wieder die angeblich so robuste Konjunktur beschworen. Die Immobilienkrise werde sich nur minimal auswirken, eine Krise in der Realwirtschaft oder gar eine Rezession sei nicht zu befürchten. Inzwischen lassen sich die Krisenmomente nicht mehr leugnen, am wenigsten die Ernährungskrise.

Auslöser der Finanzkrise war die Hypothekenkrise in den USA, weil dort die private und öffentliche Verschuldung astronomische Ausmaße angenommen hatte. Sie liegt heute bei zusammen mehr als 43 Billionen $, pro Haushalt sind das 379 000 $; allein die private Verschuldung ist heute so groß wie 70% des Bruttoinlandsprodukts. Den Rückgang der realen Kaufkraft haben viele Menschen mit neuen Krediten ausgeglichen, teils waren sie auch Opfer der allseits gepflegten Illusion, es könne nur noch aufwärtsgehen.

Nach der Immobilienkrise erfasst es eine Reihe von Banken auch außerhalb des Immobiliensektors, sodass die Bankgeschäfte ins Stocken gerieten. Keine Bank traut mehr der anderen, weil sie nicht weiß, auf wie viel faulen Krediten sie sitzt. Das beeinträchtigt in den USA bereits ganz beträchtlich die Kreditvergabe an produzierende Unternehmen, sodass die Realwirtschaft dort auch im nächsten Quartal wohl rückläufig sein wird.

Da die US-Wirtschaft immer noch mehr als ein Viertel des Welt-Bruttoinlandsprodukts stellt, sind die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gar nicht zu verhindern und zwar nicht nur im Finanzsektor. Gingen die Prognosen im Fe­bruar noch von einem Wertverlust der Banken weltweit von maximal 400 Milliarden Euro aus, waren es im März schon 600 Milliarden. Inzwischen prognostiziert der IWF einen Verlust von bis zu einer Billion $ (650 Milliarden €). Das ist aber noch längst nicht das Ende der Fahnenstange, denn hier sind die Folgen der Immobilienkrise in Großbritannien und Spanien und das drohende Platzen der Blase in China noch gar nicht berücksichtigt, von der seit Monaten gärenden Nahrungsmittelkrise und ihren Folgen ganz zu schweigen.
Vergesellschaftung der Verluste
Bürgerliche BeobachterInnen beschränken sich zumeist auf den bisher in drei Etappen sich kaskadenförmig vollziehenden Krisenverlauf: Zuerst wurden die in den USA massenhaft vergebenen wenig bis gar nicht gesicherten Hypotheken nicht mehr bedient. New Century Financial, American Home Mortgage u.a. brachen ein. Dann mussten die Banken Riesenverluste abschreiben (allein 2007 schon $ 150 Milliarden, vor allem bei der Citigroup, Merril Lynch, aber auch UBS, IKB, Deutsche Bank, West LB usw.). Und schließlich leitete der Zusammenbruch der Bear Stearns die dritte Etappe ein: Ihr Aktienwert viel von $ 170 (2007) auf $ 30  und wurde zu  $ 10 an JP Morgan verkauft, wobei die Zentralbank (Fed) die ungesicherten Forderungen mit sage und schreibe $ 29 Milliarden  absicherte.  JP Morgan kann also künftig mit der fast schon geschenkten Bear Stearns (riesiger Kundenstamm) gewaltige Profite machen. Risiko trägt sie keins.

Dieses Grundmodell ist in abgewandelter Form auch in Großbritannien zur Anwendung gekommen. Die zahlungsunfähige Northern Rock wurde auf Anraten von Goldman Sachs verstaatlicht. 34 Milliarden € Verbindlichkeiten wurden in abgesicherte Schuldverschreibungen umgewandelt und verkauft, sodass sich Goldman Sachs und andere daran eine goldene Nase verdienen können. Sie können nämlich 90% der damit zu erzielenden Gewinne behalten, Risiken tragen auch sie praktisch nicht. 129 000 KleinanlegerInnen kommen nicht mehr an ihr Geld (Rücklagen für die Rente, sie hatten 2,6 Mio. €  dem Immobilienfonds Scottish Equitable anvertraut).

Das Reinbuttern von Steuergeldern in die deutsche Mittelstandsbank IKB über die staatliche KfW ist eine noch direktere Vergesellschaftung der Verluste. Bei Sachsen LB, West LB, und Bayrischer Landesbank sind ebenfalls Milliarden geflossen. Allein bis Mitte April sind insgesamt 16,2 Milliarden € aus Steuergeldern verbraten worden, nicht etwa um Rentenzahlungen abzusichern, sondern um die Geschäfte des Finanzkapitals und des damit verbundenen produktiven Kapitals nicht zu gefährden.

Im Gegensatz zu den freudigen und vollkommen voreiligen Hoffnungen der Zeitschrift Sozialismus (4/08) gibt es bisher keine wirklichen Anzeichen für eine Wiederkehr keynesianischer Politik. Dazu müssten sich schließlich die politischen Kräfteverhältnisse verschieben. Die Einsicht in die besseren Rezepte einer verstärkten staatlichen Regulierung reichen da nicht. Denn nicht nur in der Klimapolitik funktioniert das Kapital nach dem Muster: Nach mir die Sintflut. Wenn der Chef der Deutschen Bank, Ackermann, heute seine Skepsis gegenüber den Selbstheilungskräften des Marktes äußert, dann will er damit nur weitere staatliche Zuschüsse für die Finanzinstitute loseisen. Was die Vorstände von IWF und WB auf ihrer Tagung am 12./13. April in Washington beschlossen und den Mitgliedsstaaten nun zur Änderung vorschlagen, ist eher lächerlich und deckt sich mit den Vorschlägen der G7- FinanzministerInnen: Mehr Transparenz, mehr Eigenkapital für riskante Geschäfte zurücklegen und einen Verhaltenskodex für Ratingagenturen. Von einer Regulierung der Finanzmärkte ist keine Rede. Es würde die konkrete Funktionsweise des neoliberal globalisierten Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen, was riesige Verwerfungen mit abrupten Einbrüchen in großen Kapitalkreisen zur Folge hätte.
Ursachen der Krise
Die Krise ist keine Folge „mangelnder Transparenz auf den Finanzmärkten“ oder zu geringer „Sicherungsinstrumente“, sondern erstens Ausdruck einer Überproduktionskrise in wichtigen Sektoren der Wirtschaft (zu viele Kapazitäten im Automobilbau, dem Flugzeugbau, der Bauindustrie usw.). Zweitens ist die Krise eine Folge der Liberalisierungspolitik. Vor allem die Steuersenkungen für die Reichen und der Abbau öffentlicher Daseinsvorsorge schöpft viel Kaufkraft bei breiten Bevölkerungsschichten ab, die das wachsende Warenangebot nicht mehr ausreichend kaufen können. Die kaufkräftige Nachfrage fehlt aber auch aufgrund sinkender Reallöhne. In den USA sind 25% der Beschäftigten Geringverdiener und die BRD folgt heute dicht dahinter an zweiter Stelle mit 22% (gegenüber 15% vor 10 Jahren, Frankfurter Rundschau 18.4.08). Nach einer Studie des IAQ verdienen heute bei uns 6,5 Millionen Menschen weniger als 9,61 € (im Osten 6,81) was als Armutsschwelle gilt, davon 2 Millionen sogar unter 5 €. Der Durchschnitt bei den NiedriglöhnerInnen liegt bei 7,12 € im Westen und 5,43 € im Osten.

Drittens wirken heute natürlich die Folgen der allgemeinen Liberalsierung des
Finanzsektors, sodass die Kapitalströme und die Spekulation grenzüberschreitend wirken. Ganze Branchen sind darauf aufgebaut und müssten bei einer Re-Regulierung praktisch enteignet werden. Eine einfache Rückkehr zur Politik der USA in den 30er Jahren – einem New Deal – ist aufgrund anderer Ausgangsvoraussetzungen so nicht denkbar.

Viertens haben sich selbst nach dem Platzen der New Economy Blase vor gar nicht so langer Zeit schon wieder neue Blasen gebildet, vor allem die Immobilienblasen in den USA, Irland, GB, Spanien und China. Auch hier werden keine „Lehren gezogen“ und es reichen keine Einsichten. Das Kapital überschlägt sich selbst beim Hetzen nach den höchsten Profiten.
Fünftens haben die herrschenden Kreise keine Rezepte, die immensen Verschuldungen der KonsumentInnen (vor allem in den USA und in GB) als auch der öffentlichen Haushalte (vor allem in den USA) abzubauen. 20% aller britischen HypothekennehmerInnen haben Schwierigkeiten, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Die BritInnen sind mit 1,3 Billionen Pfund verschuldet und jetzt kommt auch noch der Anstieg der Inflation.
Krisenverschärfer Irakkrieg
Neben der Überproduktionskrise in wichtigen Wirtschaftszweigen, dem großen Außenhandelsdefizit und der gewaltig angestiegenen internen Verschuldung der USA hat auch der Irakkrieg (neben dem unermesslichen Leid der mindestens 100 000 toten IrakerInnen, 4000 toten US-Soldaten, 35 000 Verletzten, 3.5 Mio. irakische Flüchtlinge usw.) inzwischen seinen wirtschaftlichen Tribut gefordert. Bush hatte mit Kosten von maximal 50 Milliarden US-Dollar gerechnet. Die US-Administration war von $ 200 Milliarden  ausgegangen. Danach sollten die Früchte eingefahren werden: billiges Öl, Kontrolle über die Region usw.

Inzwischen hat der Krieg nach Berechnungen des Pentagon $ 685 Milliarden  verschlungen. Joseph Stiglitz, Ex-Vizepräsident der Weltbank, rechnet vor, dass es schon $1 Billion  sind und er fügt hinzu: Wenn alle Folgekosten mitgerechnet werden, also z.B. die psychosomatischen Schäden der heimgekehrten US-Soldaten, der Betreuungsaufwand, die eingebrochenen Absatzmärkte aufgrund des Krieges usw., dann sollte man eher von bis zu 3 Billionen $ ausgehen, so Stiglitz. Wenn die Renditen nicht eingefahren werden, was außer für die Waffenindustrie überhaupt nicht absehbar ist, dann bleibt dieser Krieg eine enorme Belastung für den US-Haushalt, der die Möglichkeit zum Gegensteuern durch Konjunkturprogramme absolut begrenzt. Das kleine Ankurbelungsprogramm der US-Regierung beläuft sich auf 168 Milliarden $. Das ist in der gegenwärtigen Situation ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Mai wird jedeR SteuerzahlerIn $ 600  erhalten. Was ist das angesichts der Tatsache, dass im Verlauf der letzten 15 Monate 9 Millionen AmerikanerInnen (das sind mehr als 10% der Haushalte) entweder ihren Immobilienbesitz verloren haben oder inzwischen höher verschuldet sind, als der Wert ihres Hauses ist.

Ein Beispiel wie sich das auswirkt: In Buffalo, einer Stadt mit etwa 280 000 EinwohnerInnen, stehen inzwischen 10 000 Häuser leer, weil die Familien die Kredite nicht mehr abbezahlen können und einfach geflüchtet sind. Die Stadt muss jetzt aufwendig die vergammelnden Häuser abreißen. Die geflüchteten BewohnerInnen fangen in einer anderen Gegend ganz von unten an: als mittellose, meist nicht krankenversicherte verelendete BürgerInnen, ein massenhaft wachsendes Subproletariat.

 

Bald Krise in China?
In China bahnt sich ebenfalls eine Immobilienkrise an. Dort stiegen in den vergangenen Jahren die Immobilienpreise mit jeweils 10 – 15% bedeutend schneller als das Einkommen der Bevölkerung. In Stadtzentrum Shanghais stiegen 2007 die Immobilienpreise um 28%, im übrigen Stadtgebiet um 15,8%, die Einkommen aber nur um 7,7%. In Shanghai ist heute die weltgrößte Immobilienblase. In Großbritannien läuft die Krise schon, ähnlich in Spanien, wo seit Mitte 2007 vornehmlich aufgrund der eingebrochenen Baukonjunktur eine Million Menschen zusätzlich erwerbslos wurden, das Ende ist dort noch nicht absehbar.

 

 

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