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Innenpolitik

Von rechts und links eingemauert

Von B. B. | 01.10.2008

Mit der Ablösung des Parteivorsitzenden Kurt Beck durch Franz Müntefering hat die Dauerkrise der SPD einen neuen Höhepunkt erreicht.

Mit der Ablösung des Parteivorsitzenden Kurt Beck durch Franz Müntefering hat die Dauerkrise der SPD einen neuen Höhepunkt erreicht.

Kaum wurden der neue Parteivorsitzende Müntefering und der neue Kanzlerkandidat Steinmeier im kleinen Kreis auserkoren – ein Parteitag soll sie erst noch wählen – ertönte bereits der Ruf nach „Geschlossenheit“, mit dem sich alle SozialdemokratInnen hinter die beiden zu stellen hätten. Das macht deutlich, wie zutiefst undemokratisch das Selbstverständnis der führenden SPD-Funktionärsriege und der Charakter einer der bürgerlichen Hauptparteien der Republik ist.
Wer gegen wen?
Innerhalb der SPD stehen sich drei Strömungen gegenüber: die Offensiv-Neoliberalen um Steinmeier, dem Architekten der Agenda 2010, die diese als Erfolg feiern und fortsetzen wollen; die Mainstream-Neoliberalen (mit ihren Schattierungen) wie Beck, Wowereit und Ypsilanti, die ebenfalls klar für neoliberale Politik stehen und die Agenda 2010 verteidigen, sie aber aufgrund öffentlicher Kritik zukünftig nicht nahtlos fortschreiben wollen; die Sozialliberalen um Ottmar Schreiner, die ihre Kritik an den Auswirkungen der Agenda 2010 vortragen. Ausschlaggebend für den Kurs der SPD ist der Parteiapparat, den der Provinzpolitiker Kurt Beck nie wirklich kontrollieren konnte. Hier tat sich eine starke Seilschaft der Parteibürokratie, deren Strippenzieher Müntefering ist, mit den Offensiv-Neoliberalen zusammen und hebelte in einer Palastrevolution das Bündnis von Neoliberalen und Sozialliberalen mit der Minderheit des Parteiapparates aus.

Lavierte der alte Vorsitzende Beck zwischen den Offensiv-Neoliberalen und Der Linken, so agiert der neue Parteivorsitzende Müntefering zwischen den Offensiv-Neo­liberalen und Kurt Beck. Die rechtsbürgerliche Medienkampagne gegen sozialdemokratische Regierungskoalitionen mit der Partei Die Linke stellt sich innerhalb der SPD als reiner Cliquenkampf dar. Denn es war ursprünglich Beck, der den Beschluss durchsetzte, keine Koalitionen mit Der Linken einzugehen und es war Müntefering, der vor solch einem Beschluss warnte. Nachdem Beck seine Position geändert hatte und die Medienkampagne einsetzte, sägten Müntefering und Steinmeier (mit Unterstützung Steinbrücks) ihren Parteivorsitzenden Beck ab, um eine Koalition mit Der Linken auf Bundesebene auszuschließen.

Dabei hat die Bourgeoisie keineswegs Angst vor einer Regierungsbeteiligung Der Linken. Bei einer Massenradikalisierung – zu der u.a. der Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems beitragen könnte – kann der Vorschlag zu einer Einbeziehung Der Linken in eine Bundesregierung sogar aus den Reihen der herrschenden Klasse kommen. Aber ohne jede nennenswerte Klassenkämpfe ist die Bourgeoisie heute weder bereit noch gezwungen, eine Abschwächung des neoliberalen Kurses auch nur zu erwägen. Zwischen dem Druck von oben und der Konkurrenz Der Linken entscheidet sich die SPD für das herrschende Klasseninteresse, wie es für eine bürgerliche Partei selbstverständlich ist.
Strukturkrise der SPD
Hinter dem Rücktritt Becks verbirgt sich eine Strukturkrise der SPD, die durch die Veränderung des Parteiensystems der BRD bedingt ist. Im parlamentarischen Spektrum ist die SPD von rechts durch CDU/CSU und FDP, von links durch Die Grünen und Die Linke eingemauert, die sie von bestimmten Wählerschichten abschneiden. Ihre Mittelstellung verführt die Sozialdemokratie keineswegs dazu, zwischen neoliberaler Politik und deren Ablehnung zu schwanken, worauf Die Linke so sehr hofft. Die SPD steht fester denn je auf neoliberaler Grundlage.

Folglich verliert die Sozialdemokratie an ihrem linken Rand, der alles andere als „links“ ist. Kurz vor dem Absägen Becks hatte sich der „linke“ Flügel, beziehungsweise das, was vom Sozialliberalismus in der SPD noch übrig geblieben ist, zu Wort gemeldet. Wie „links“ diese „Linken“ sind, zeigt die Liste ihrer UnterstützerInnen, die vom Gewerkschaftsvorsitzenden der IG BAU bis zum Betriebsratsvorsitzenden von ThyssenKrupp reicht. FunktionärInnen der zentralen Gewerkschaftsbürokratie und Obersozialpartner in den Betriebsräten, das ist der Restposten des Sozialliberalismus in der SPD. Für die Offensiv-Neoliberalen sind die Sozialliberalen eine vernachlässigbare Größe, die sich wie immer den aktuellen Kräfteverhältnissen in der SPD unterwerfen, ihren Frieden mit der jeweils herrschenden Parteiclique schließen und sich trösten – indem sie in Zukunft den Begriff Agenda 2010 einfach nicht mehr benutzen wollen! Denn die Götter des Neoliberalismus gebieten: Du sollst unseren Namen nicht unnütz aussprechen.
Und Die Linke?
Die aktuelle Krise der SPD wird die Partei Die Linke quantitativ stärken und qualitativ schwächen. Weitere Sozialliberale, die sich in der (offensiv-)neoliberalen SPD nicht mehr heimisch fühlen, werden zur Linken übertreten und dort den sozialliberalen Flügel stärken. Je mehr damit Die Linke sozialdemokratische Glaubwürdigkeit gewinnt, desto größer werden durch die SPD-Krise ihre eigenen Widersprüche. Denn die Parteiführung Der Linken kennt nur eine einzige Strategie hin zum „Politikwechsel“: Regierungskoalitionen mit Grünen und SPD. Da aber dieser Weg mit Steinbrück und Müntefering verschlossen scheint – warten wir einmal die NRW-Wahlen ab – richten sich alle Hoffnungen Der Linken auf Neoliberale wie Frau Ypsilanti, deren Wahl zur hessischen Ministerpräsidentin sogar das neue Die Linke-Mitglied Lucy Redler empfiehlt. 

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