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Innenpolitik

Moderat links – aber nicht sozialistisch

Von Walter Weiß | 01.06.2008

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Da der Parteitag Der Linken noch kein Programm beschlossen hat, müssen die am 24./25. März 2007 in Dortmund verabschiedeten „Programmatischen Eckpunkte“ als politischer Konsens der Partei angesehen werden. Das Votum für den demokratischen Sozialismus musste die PDS aus ihrer Tradition einbringen, um ihre Klientel hinter dieser Vorstellung zu sammeln. Bezeichnenderweise zieht sich dann die sozialstaatliche Orientierung wie ein roter Faden durch den gesamten Text der „Programmatischen Eckpunkte“.

Da der Parteitag Der Linken noch kein Programm beschlossen hat, müssen die am 24./25. März 2007 in Dortmund verabschiedeten „Programmatischen Eckpunkte“ als politischer Konsens der Partei angesehen werden.

Die Partei Die Linke entstand aus den beiden Komponenten WASG und Linkspartei.PDS. Die WASG brachte neben der Forderung nach einer humanisierten Arbeitswelt, der gerechteren Verteilung der Arbeit insbesondere die Option für einen erneuerten solidarischen Sozialstaat in die „Programmatischen Eckpunkte“ ein. Die ehemalige Linkspartei.PDS erhob die Ideen des demokratischen Sozialismus zu ihrer zentralen Leitvorstellung. Das Sozialstaatsideal aus den Reihen der WASG ist dem Traum einer Renaissance des Sozialliberalismus der siebziger Jahre geschuldet. Das Votum für den demokratischen Sozialismus musste die PDS aus ihrer Tradition einbringen, um ihre Klientel hinter dieser Vorstellung zu sammeln. Bezeichnenderweise zieht sich dann die sozialstaatliche Orientierung wie ein roter Faden durch den gesamten Text der „Programmatischen Eckpunkte“.
Sozialstaatliche Orientierung
Die Fixierung auf den Staat resultiert aus der historischen Entwicklung der fusionierten Organisationen. Die ehemaligen sozialdemokratischen Mitglieder der WASG kamen aus einer Partei, die in ihrer geschichtlichen Entwicklung über die wachsende Eingliederung in ihren kommunalen Hochburgen in den Staat immer mehr zum integralen Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft wurde. Mit der Westdeutschen Landesbank etablierte sich die SPD in NRW sogar im Götterolymp des internationalen Finanzmarktes. Die Linkspartei.PDS hatte ihre Wurzeln in der bürokratisierten Staatspartei SED und war mit einer ordentlichen Portion stalinistischer Programmatik und Praxis ausgestattet. Allerdings verurteilen die „Eckpunkte“ explizit den Stalinismus und die Niederschlagung des Prager Frühlings. Aber die Fixierung auf den Staat – und im Stalinismus findet eine gewaltige Ausdehnung des Staates statt – ist ihr geblieben. Obwohl sich in den Reihen beider Flügel eine ganze Reihe marxistisch orientierter oder geschulter Mitglieder findet, bleibt die marxistische Staatstheorie auf der Strecke. Da die Bundesrepublik unzweifelhaft eine bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist, kann der Staat nicht wertfrei und neutral neben ihr existieren. Die Agenda 2010, die Militarisierung der Außenpolitik und der Weg zum Überwachungsstaat im Gewande der Terrorismusbekämpfung sind nur einige besonders prägnante Beispiele auf empirischer Ebene für den Klassencharakter des bürgerlichen Staates.

Im Kern will Die Linke „den Kapitalismus in einem transformatorischen Prozess überwinden“ (Eckpunkte, S. 2) unter Mithilfe der Institutionen dieses Staates mit dem Parlament als zentralen Ort der Veränderung, um einen „politischen Richtungswechsel“ einzuleiten. Das Ende der kapitalistischen Lohnsklaverei über den „ideellen Gesamtkapitalisten“ (Marx) in Form des erneuerten Sozialstaates einzuleiten, gehört in den Bereich der Magie und nicht der Klassenpolitik.
Reformillusionen
Unter der Überschrift „Unsere Alternative: Soziale, demokratische und friedensstiftende Reformen zur Überwindung des Kapitalismus“ wird der zukünftige Weg erläutert. Dabei bedient mensch sich großzügig aus dem Fundus des Sozialliberalismus der siebziger Jahre: „Demokratisierung der Gesellschaft“, „soziale Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft“, „Wirtschaftsdemokratie“, „neue Solidarität“,“ „internationale Ordnung des Friedens“, „kollektive Sicherheit“ – da könnte mensch vermuten, der selige Willy Brandt habe in der Programmkommission gesessen. Nur zur Erinnerung: In seine Ära gehörten die Tolerierung der US-Politik in Vietnam und die sich ausweitende Praxis der Berufsverbote einschließlich des sechsjährigen Einreiseverbots für unseren Genossen Ernest Mandel. Dass der alte Brandt-Klassiker „Mehr Demokratie wagen“ zum Repertoire von Die Linke gehört, versteht sich von selbst. Die „Zurückdrängung der Finanzmärkte“ und eine „gerechtere Steuerpolitik“ tragen die Handschrift Lafontaines. Und mit der Forderung nach paritätischer Mitbestimmung wird den Interessen des Gewerkschaftsapparates Rechnung getragen. Bis auf den sehr vage gehaltenen Ruf nach dem demokratischen Sozialismus, mit dem sogar Helmut Schmidt leben konnte, bewegt sich die Programmatik im Rahmen des bestehenden Gesellschaftssystems.

Ein solches Szenario charakterisiert die Genossin Rosa Luxemburg folgendermaßen: „Der heutige Staat ist eben keine ,Gesellschaft‘ im Sinne der ‚aufstrebenden Arbeiterklasse‘ sondern Vertreter der kapitalistischen Gesellschaft, d.h. Klassenstaat. Deshalb ist auch die von ihm gehandhabte Sozialreform nicht Betätigung der ‚gesellschaftlichen Kontrolle‘, d. h. der freien arbeitenden Gesellschaft über den eigenen Arbeitsprozess, sondern eine Kontrolle der Klassenorganisation des Kapitals über den Produktionsprozess des Kapitals. Darin, d. h. in den Interessen des Kapitals, findet denn auch die Sozialreform ihre natürlichen Schranken“1.

Viele Forderungen in den „Eckpunkten“, auf die wir in den folgenden Avanti-Ausgaben eingehen werden, wie das „Recht auf unentgeltliche Bildung“ oder der „Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan“ finden unsere ungeteilte Zustimmung und können im Rahmen von Aktionseinheiten zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen. Hier den eigenen revolutionär-sozialistischen Standpunkt von anderen linken Positionen, nicht nur der Partei Die Linke, abzugrenzen, wäre nur stupide Sektiererei.
Das Parlament – Ort der Veränderung?
Die Linke ist eine stark parlamentarisch orientierte Partei. In einer solchen Partei halten die Hauptamtlichen und die Bundestagsfraktion die Zügel in der Hand. Eine solche auf Wahlebene und der Mitgliedergliederentwicklung erfolgreiche Partei hat Mandate und Aufgaben zu vergeben. Hier setzen sich häufig OpportunistInnen und KarrieristInnen durch, denen die hehren Ziele der Partei gleichgültig sind. Das verändert den Charakter der Partei – in der Regel „realpolitisch“ nach rechts. Der „rot-rote“ Berliner Senat ist dafür ein erschütterndes Beispiel. Da wirkt der selbsternannte „Arbeiterführer“ Jürgen Rüttgers (CDU-NRW) wie ein vitaler Linksaußen. Und denken wir an die Polizeigesetze in Mecklenburg-Vorpommern, die Privatisierung von Wohnraum in Dresden etc. Wer „Hartz IV
muss weg!“ proklamiert und in der Hauptstadt Zehntausende Ein-Euro-Jobs schafft, ist wenig glaubwürdig. Und der unsägliche populistische Diskurs Lafontaines von „Fremdarbeitern“ wirkt auch nicht vertrauensbildend!

Will sich Die Linke auf Bundesebene regierungsfähig etablieren, wird sie sich noch stärker als ihr Berliner Ableger nach rechts entwickeln müssen. Gregor Gysi liefert eine bescheidene Vorlage: Bundeswehr raus auf Afghanistan; Überwindung von Hartz IV; Rückkehr zu Rente mit 65; gesetzlicher Mindestlohn; Bekämpfung der Kinderarmut; Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West und die Reform der Gesundheitsreform (Das Parlament, 13.05.08). Wer solche Forderungen aufstellt, stirbt im Bett und nicht auf der Barrikade!

Als Partner von Die Linke kommt nur die neoliberale Kapital- und Kriegspartei SPD in Frage, die sich in Beck‘scher Manier eine soziale Tarnkappe übergestülpt hat. Die von Gysi gewünschte Resozialdemokratisierung ist illusorisch. Mit 14 % und ohne nennenswerte außerparlamentarische Mobilisierung ist eine substanzielle Änderung der Machtverhältnisse nicht möglich.
Der unkritische Umgang mit dem Instrumentarium Parlament, das durch Kommissionen, FachberaterInnen u. ä. immer mehr entmachtet wird, macht die Sache nicht besser. Einmal an den Fleischtöpfen der vermeintlichen Macht angekommen und auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten platziert, entsteht jene Spezies von ParlamentarierInnen, die vor langer Zeit treffend charakterisiert wurden: „Die Wahlphilosophie der Parlamentskandidaten besteht einfach darin, dass sie ihrer linken Hand erlauben, nicht zu wissen, was ihre rechte tut, und so waschen sie beide Hände in Unschuld“ (Karl Marx).
Politischer Standort
Die „Eckpunkte“ Der Linken sind ein Reformprogramm, an dessen Firmament die Idee des demokratischen Sozialismus leuchtet, ohne zur realpolitischen Größe zu werden. Das erinnert an die klassische Trennung von Minimal- und Maximalprogramm. Von einem Übergangsprogramm mit aktuellen Ergänzungen wie Ernest Mandel vorgeschlagen hat2, ist dies weit entfernt. Im Wesentlichen sind die Eckpunkte anti-neoliberal. Das bietet größere Bündnismöglichkeiten, stellt aber die Logik des Kapitalverhältnisses nicht in Frage. Da die parlamentarische Parteienlandschaft seit Jahren nach rechts gerückt ist, erscheint Die Linke in der politischen Topographie als sehr links, obwohl sie programmatisch und gerade im politischen Alltag sehr moderat ist.

Wenngleich in ihr Tausende überzeugte SozialistInnen beheimat sind, werden ihre Überzeugungen nicht zur treibenden Kraft der Partei. Die unverbindliche Doppelexistenz vor minimalen und maximalen Standpunkten erlaubt ein Miteinander – besser Nebeneinander – von anti-neoliberalen, reformistischen, sozialliberalen und radikaleren antikapitalistischen Ansichten unter dem Dach der Partei und verschafft den VertreterInnen entristischer Konzepte die Illusion „große Politik“ zu machen. Die zunehmende Parlamentarisierung und Orientierung auf Regierungsbeteiligungen mit der zurzeit nicht aktuellen „Gefahr“ des Berliner Senatmodells auf Bundesebene würde sämtliche linke Positionen in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise stürzen. Und die notwendige außerparlamentarische Opposition hat bisher keine sichtbaren Konturen entwickelt.

Die Endlichkeit der kapitalistischen Ökonomie und die ökologischen Grenzen des Planeten haben uns die internationale Finanzkrise und der dramatische Klimawandel in der letzten Zeit drastisch vor Augen geführt. Systemimmanente Lösungen werden unwahrscheinlicher und die Entwicklung einer antikapitalistischen Strategie von Übergangsforderungen eine immer aktuellere Aufgabe.

1    Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution.
2    Ernest Mandel, Brücke zum Sozialismus, in: die Internationale Theorie, Heft 29.

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