TEILEN
Innenpolitik

Finanzkrise bedroht Realwirtschaft

Von Daniel Berger | 01.10.2008

 {mosimage}

Auch wenn noch so viel schöngeredet und verharmlost wird: Aufgrund des Crashs im Finanzsektor droht eine Rezession. Vor allem die Ärmeren werden darunter zu leiden haben, sowohl national als auch international. Die aktuell laufenden Umverteilungsmaßnahmen von Steuermitteln zugunsten der Finanzinstitute werden die Krise nicht beheben. Allgemein anerkannt ist, dass die verschiedenen Rettungspakete nichts anderes als eine Sozialisierung der Verluste sind. In den USA sind schon vor dem Paulson-Plan gewaltige Summen in die kriselnde Finanzwirtschaft gesteckt worden:

Auch wenn noch so viel schöngeredet und verharmlost wird: Aufgrund des Crashs im Finanzsektor droht eine Rezession. Vor allem die Ärmeren werden darunter zu leiden haben, sowohl national als auch international. Die aktuell laufenden Umverteilungsmaßnahmen von Steuermitteln zugunsten der Finanzinstitute werden die Krise nicht beheben.

Allgemein anerkannt ist, dass die verschiedenen Rettungspakete nichts anderes als eine Sozialisierung der Verluste sind. In den USA sind schon vor dem Paulson-Plan gewaltige Summen in die kriselnde Finanzwirtschaft gesteckt worden: bis zum 20. September bereits 380 Mrd. $ sowie seit dem Sommer 2007, als also die Krise ihren Anfang nahm, mehrere Hundert Milliarden $ Liquiditätsspritzen der Zentralbank (Fed). Hinzu kommen 150 Mrd. $ in Form von besonderen Schecks für alle SteuerzahlerInnen zur Ankurbelung der Wirtschaft.
Sozialisierung der Verluste
Die europäischen Finanzinstitute sind kaum besser dran. Schließlich haben die meisten Großbanken bei der Entwicklung und dem Kauf und Verkauf von „kreativen Finanzprodukten“ (Derivaten) kräftig mitgemischt. Und da das ganze Bankensystem eng miteinander verflochten ist, können die hiesigen Banken gar nicht wirklich verschont bleiben. Schließlich hat die staatliche KfW schon 8 Mrd. € in die IKB gebuttert (insgesamt hat die IKB 10 Mrd. € verschlungen), die Sachsen-LB hat so viel verloren, dass sie von der Landesbank Baden-Württemberg übernommen werden musste und die SteuerzahlerInnen dafür 17 Mrd. € blechen. Diese hat die Misere bisher schon annähernd 30 Mrd. € gekostet. In den nächsten Wochen kommen wahrscheinlich ein paar weitere Dutzend Milliarden € hinzu. In den anderen Ländern Europas ist es nicht besser: Die Schweizer UBS musste schwer bluten, die britische Northern Rock wurde mit 34 Mrd. € Steuermitteln über Wasser gehalten, in Spanien brechen die Banken der Immobilienwirtschaft zusammen usw.

Die Sozialisierung der Verluste bedeutet eine erhebliche Reduzierung der Mittel, die dem Staat zur Sicherung der allgemeinen Daseinsfürsorge zur Verfügung stehen, denn an den Kosten für Kriege wie in Afghanistan wird bestimmt nicht gespart. Somit ist das Einspringen des Staates in allererster Linie ein weiteres Mittel zur Umverteilung von unten nach oben, denn die Nutznießer der kapitalistischen Finanzwirtschaft konnten ihre astronomischen Gewinne nur anhäufen, weil sie auf Pump gearbeitet haben und die dabei nicht aufgehenden Wetten jetzt von der Allgemeinheit beglichen werden.
Kein Ende absehbar
Die in der US-Öffentlichkeit ständig kolportierten 700 Mrd. $ sind nur ein vager Anhaltspunkt. Paulsons Vollmachten werden fast unbegrenzt sein, die Wirkung der eingesetzten Mittel wird allerdings mehr als zweischneidig sein. Dass nämlich trotz Paulson-Plan die Börsenkurse sich nicht wirklich erholen, sondern fast täglich neue große Bankenpleiten bekannt werden, hängt mit den tieferen Ursachen der Krise zusammen:
Wenn die angenommenen 700 Mrd.  $ zum Einsatz kommen, manche Regierungsbeamte in Washington halten eine Billion für erforderlich, dann erhöht sich das US-Staatsdefizit von 10,6 Billionen $ auf 11,3 Billionen $. Dies könnte im besten Fall, wenn alles optimal liefe und keine neuen „Überraschungen“ kommen, nur eine kurze Verschnaufpause bilden. Es würde unweigerlich die Inflationsgefahr erhöhen und zwar spätestens dann, wenn die anderen Volkswirtschaften kein Vertrauen mehr in die US-Wirtschaft haben und kein weiteres Geld in dieses Fass ohne Boden pumpen. Dann wäre es mit der ständigen Alimentierung der US-Konjunktur über zufließende Geldmittel vorbei und der Pump müsste über die Notenpresse „finanziert“ werden. Dies ist heute die wahrscheinlichste Variante, allerdings kombiniert mit einem gewaltigen Druck auf die Realeinkommen der abhängig Beschäftigten in den USA. Dort drohen also harte Zeiten.
„Gier und Größenwahn“?
Wenn die Illustrierte Stern in ihrer Titelgeschichte die „Gier“ und den „Größenwahn“ als die entscheidenden Momente für das Ausbrechen der Finanzkrise anführt, dann ist dies letztlich Volksverdummung. Der einzig wahre Kern daran: Die modernen Finanzprodukte machen die internationale Finanzwirtschaft noch unübersichtlicher und die Zusammenbrüche kommen abrupter, was besonders mit der „Hebelwirkung“ zusammenhängt: Vor allem die Hedgefonds arbeiten zu einem beträchtlichen Teil nur mit geliehenem Geld, um damit noch größere Summen anzulegen und daraus jeweils Gewinn abzuschöpfen. So haben die großen Investmentbanken ihre Aktiva mit Fremdkapital auf das30-fache hochgehebelt. Aber die deutschen Banken haben ebenfalls mitspekuliert. Die Sachsen LB und viele andere haben mit ihren „außerbilanziellen Zweckgesellschaften“ die Risiken ihrer Wettgeschäfte (nichts anderes sind diese Spekulationen) in besondere Tochterfirmen ausgelagert und deren Risiken nicht in den Bilanzen aufgeführt.

Die Frage ist aber doch: Wieso kann die „Gier“ überhaupt zum Zug kommen und ganze Volkswirtschaften bedrohen und Hunderte von Millionen Menschen auf einen Schlag ihrer Ersparnisse berauben? Letztlich liegt es in der Natur des Kapitalismus. Die kapitalistischen Banken ziehen ihren Gewinn aus dem Leihen und Verleihen und sind dabei so miteinander verschränkt, dass ein Bankzusammenbruch alle hintendran hängenden Institute bedroht oder direkt mitzieht, je nach dem Grad der Verquickung. Vergessen wir folgende Fakten nicht: Banken haben grundsätzlich ein viel geringeres Eigenkapital als etwa ein Industrieunternehmen, nämlich im Schnitt nur 8 % (in der Industrie 20 – 25 %). In Deutschland betragen die gesetzlichen Mindestreserven gerade mal 2 %, in den USA übrigens 5 %, die natürlich bei diesem Ausmaß der Wettgeschäfte und Hebelwirkungen überhaupt keine Funktion mehr haben. Täglich werden 3 Billionen $ über den Erdball geschoben und nur ein Bruchteil davon dient der Abwicklung des realen Warenverkehrs. In 5 Jahren hat sich das Volumen der Kreditderivate verdreißigfacht, und zwar auf 62 Billionen $! Und diese Derivate (z. B. Ausfallversicherungen) sind nichts anderes als Wettgeschäfte, aber bei den Wetten kann nicht jeder gewinnen! Es ist damit logischerweise nur eine Frage der Zeit, bis das Kartenhaus zusammenbricht. Die industriellen Direktinvestitionen haben sich seit 1980 etwa verdoppelt, die Finanzinvesti
tionen sind von 4 % auf 14 % des Welt-BSP gestiegen. Anders herum: Sie haben sich in diesem Zeitraum etwa versechsfacht und ihnen steht nicht im selben Ausmaß realwirtschaftliches Wachstum gegenüber.
Problem Kapitalverwertung
Leider wurden wir mit den Aussagen in unsren Avanti-Artikeln mehr als bestätigt. Der Crash musste kommen, auch wenn niemand das genaue Datum vorhersagen konnte und die Gründe liegen in der mangelnden Kapitalverwertung, sprich im tendenziellen Fall der Profitrate. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass Geld sich nicht aus sich selbst heraus vermehren kann. Wenn dem keine realwirtschaftlichen Zuwächse gegenüberstehen, findet die Gesamtmenge der Buchgeldvermehrung letztlich nur auf Pump statt und dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Blase von der Wirklichkeit eingeholt wird. Genau das findet gerade statt und da niemand (aber wirklich niemand!) die tatsächlich nicht gedeckten Summen kennt, weiß auch niemand, wann der Boden erreicht ist. Mit Sicherheit ist er heute (25. September) noch nicht erreicht.

Die beständige Suche nach Anlagefeldern für Finanzprodukte ist nur deswegen so ausgedehnt, weil die Realwirtschaft keine ausreichenden Verwertungsmöglichkeiten für angehäuftes Kapital bietet. Also werden im Finanzsektor gewaltige Luftnummern erzeugt, die eine Zeit lang gute Profite abwerfen, aber nur so lange, wie kein Dominostein wackelt, der aufgrund der Verflechtung viele andere mitzieht. Entgegen einer verbreiteten Ansicht sollten wir festhalten:

  • •    Erstens fand auch in den vergangenen Jahren keine reale Explosion der Profite statt, sondern einige der großen Konzerne und Finanzinstitute haben Riesenprofite angehäuft, aber nicht aufgrund großer Profitraten des Gesamtkapitals, sondern nur aufgrund von Umverteilungen oder eben auf Pump.
  • •    Zweitens ist gerade im Bankensektor die Profitrate auf das Kernkapital naturgemäß geringer als in der Industrie (sonst gäbe es ja bald keine Industrie mehr). Je nachdem, wie viel die Deutsche Bank demnächst abschreiben muss, kann sie sogar in kürzester Zeit in extreme Existenznöte geraten, schneller als die meisten Industrieunternehmen. Diese Grundbedingung wird heute nur dadurch etwas modifiziert, als der Staat ab einer gewissen Größe Banken stützt, weil der Staat die Kettenreaktion fürchtet, er also mit Steuermitteln die Profitrate hochhält.

Realwirtschaft
Die Gesundbeterei von Regierung und Wirtschaftsforschungsinstituten soll das Abziehen von Geld aus den Banken verhindern, aber an den Auswirkungen der Krise auf die Realwirtschaft kann mensch eigentlich schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr vorbei. Seit März ist die industrielle Produktion bereits rückläufig und das vor dem Hintergrund, dass in Deutschland die Investitionsrate seit Jahren rückläufig ist. Und die Hauptauswirkungen der aktuellen Finanzkrise kommen erst noch. Zurzeit werden noch viele Aufträge abgearbeitet, aber der Auftragseingang ist stark rückläufig.

Je mehr alles ineinandergreift und miteinander verzahnt ist, umso verheerender die Wirkung, wenn ein Dominostein fällt. Kein Finanzinstitut kann sich mehr auf ein anderes verlassen und das treibt die Zinsen in die Höhe (der Euribor-Zins für 3 Monate liegt heute schon bei 5%). Es stockt deshalb ansatzweise der Zahlungsverkehr und es werden Industrieunternehmen pleitegehen, und zwar vor allem diejenigen, die in nächster Zeit viel frisches Geld für anstehende notwendige Investitionen benötigen, aber z. B. keine Kredite bekommen, weil sie ihre Schulden mit Finanztiteln gedeckt haben, die gerade pleitegehen usw.
Schlussfolgerungen
Wenn die europäische Bankenlandschaft übers Ganze gesehen mit einem blauen Auge davon kommen sollte, was heute nicht sicher ist, dann kann die aktuelle Krise zu einer bedeutsamen Verschiebung der Kräfteverhältnisse EU – USA führen, und zwar schon mittelfristig. Dafür braucht es keine Kriege zwischen den Imperialismen, was aufgrund der Verflechtungen alle viel zu stark in Mitleidenschaft ziehen würde. Die extrem hohe private und öffentliche Verschuldung in den USA fordert jetzt ihren Preis. Und wenn es der US-Regierung nicht gelingt, andere für ihre Schulden ausreichend bezahlen zu lassen, dann kann der US-Imperialismus zwar gegenüber ein paar abhängig gehaltenen Ländern die Schrauben anziehen, aber das bringt nicht die Ressourcen, die zur Überwindung der Krise benötigt werden. Eine tiefe Rezession in den USA ist sehr wahrscheinlich, mit allen Folgen, die das vor allem für die Armen und die abhängig Beschäftigten hat.

Noch ist es zu früh, das Ausmaß der kommenden Wirtschaftskrise in Europa zu überblicken, aber eine „Lösung“ besteht gewiss nicht darin, einfach nur den Finanzsektor mehr zu regulieren. Und es ist auch keine Lösung, eine Intervention des Staates abzulehnen.
Statt aber Steuermittel in privatwirtschaftliche Institute reinzubuttern, um deren verlorene Wetten auszugleichen, müsste der gesamte Finanzsektor vergesellschaftet werden, denn es gibt keine gesellschaftliche Notwendigkeit für privatwirtschaftliche Banken. Konsequente linke Politik muss sich durch eine aktive Propaganda in folgendem Sinne auszeichnen:
 

  • •    Entschädigungslose Enteignung!
  • •    Abschaffung aller Privatbanken!
  • •    Überführung in Gemeineigentum unter Kontrolle der dort Beschäftigten und der einfachen BankkundInnen!
  • •    Offenlegung der Bücher!
  • •    Verbot jeglicher Wetten, Spekulationsgeschäfte, Devisengeschäfte, Finanzderivate, Leerverkäufe usw.
Deutsche Banken besser abgesichert?
Das Geschwafel von der besseren Absicherung deutscher Banken ist spätestens seit dem 29. September entlarvt. Aber man sollte es eigentlich schon vorher gewusst haben. Die Deutsche Bank beispielsweise ist extrem stark im internationalen Finanzgeschäft engagiert und hat eine im internationalen Vergleich extrem geringe Kernkapitalquote.
Das Kernkapital ist der Teil des Eigenkapitals, den die Banken als Polster für mögliche Verluste in der Zukunft zurücklegen müssen. Weltweit gilt als Standard in der Bankaufsicht, dass jede Bank mindestens 8 % Prozent ihrer risikogewichteten Aktiva als Eigenkapital vorhalten muss. Davon muss mindestens die Hälfte – also vier Prozent der Aktiva – auf das Kernkapital entfallen. Und es muss in hochwertigen Anlagen vorhanden sein, um überhaupt als Kernkapital anerkannt zu werden. Die Deutsche Bank hat eine Kernkapitalquote von gerade mal 1,7%!
Das will nun noch nicht heißen, dass sie automatisch das nächste Opfer ist. Dies hängt vielmehr von zwei wesentlichen Faktoren ab: Erstens, wie stark sie „zufällig“ von den Banken Geld zu bekommen hat, die gerade zusammenbrechen. Zweitens, und das ist &uu
ml;berhaupt nicht steuerbar, wie kreditwürdig die Deutsche Bank angesehen wird. Hier reichen Verdachtsmomente und Ängste seitens anderer Banken, um einen Run auf die Depots und Guthaben auszulösen, die bei einer bestimmten Bank deponiert sind. Nichts fürchten Banken so sehr wie Panikreaktionen ihrer Kunden, denn dann sind sie unweigerlich dem Zusammenbruch ausgeliefert (jede Bank hat sehr viel mehr Schulden als eigene Guthaben). Die Kernkapitalquote ist also kein ausreichendes Kriterium, um zu beurteilen, wer demnächst die Grätsche macht (Lehman hatte eine Quote von 10,7%). Entscheidend ist: Wie hoch ist der Anteil der risikogewichteten Aktiva, und genau das wird die Bank so schnell nicht verraten. Aber beruhigend ist die Kapitalstruktur der Deutschen Bank auf keinen Fall.
D.B.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite