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Länder

Ende der Blockade und Rückgabe von Guantanamo

Von Claudio Reiser | 01.05.2009

US-Präsident Obama hat kurz vor seiner Reise zum Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der in Trinidad und Tobago wieder einmal ohne Kuba stattfindet, die Lockerung einiger der von der Bush-Regierung verhängten Reisebeschränkungen gegen in den USA lebende KubanerInnen und die Aufhebung der Begrenzung bei Geldüberweisungen für Familienangehörige auf Kuba angekündigt.

US-Präsident Obama hat kurz vor seiner Reise zum Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der in Trinidad und Tobago wieder einmal ohne Kuba stattfindet, die Lockerung einiger der von der Bush-Regierung verhängten Reisebeschränkungen gegen in den USA lebende KubanerInnen und die Aufhebung der Begrenzung bei Geldüberweisungen für Familienangehörige auf Kuba angekündigt.

In der OAS sind alle 34 Staaten Nord- und Südamerikas Mitglied, außer Kuba, das 1962 auf Druck der USA ausgeschlossen wurde. Obwohl das Verhältnis zu Kuba nicht als Punkt in der offiziellen Tagesordnung enthalten ist, dürfte dieses Thema auf dem Gipfeltreffen eine große Rolle spielen. Von daher war der Zeitpunkt von Obama für seine Ankündigung geschickt gewählt. Zum ersten Mal in den letzten fünfzig Jahren geht es bei angekündigten Maßnahmen einer US-Regierung nicht um eine Verschärfung der seit 1962 bestehenden Blockade gegen Kuba.  
Viele Staaten in der OAS fordern inzwischen die Wiederaufnahme Kubas und das Ende der Blockade. Auch in den USA mehren sich die Stimmen für die Beseitigung der Blockade. Eine bedeutende Anzahl von Senator­Innen der Demokraten, ein einflussreicher Senator der republikanischen Partei, Richard Lugar, und weitere Senatoren dieser Partei setzen sich dafür ein.

Statt nach den Ankündigungen Schritte der kubanischen Seite einzufordern, sind jetzt Obama und seine Regierung am Zug: Es geht um nichts weniger, als um das Ende der für das kubanische Volk grausamen Blockade und nach mehr als 100 Jahren um die Rückgabe von „Guantanamo“ an Kuba, und nicht nur um die Schließung des berüchtigten Gefangenenlagers. 
2008: Veränderungen und verheerende Stürme
Einer der Gründe für die Bescheidenheit bei den Feiern zum 50. Jahrestag der kubanischen Revolution Anfang des Jahres 2009 – weder in Havanna noch in anderen kubanischen Städten gab es Massenkundgebungen oder spektakuläre Feiern – waren die schwersten Schäden durch die fünf Hurrikans der Stärke 4, welche die Insel im Herbst letzten Jahres heimsuchten und die erst Mitte Dezember 2008 behoben worden waren.

Zehntausende verloren ihr Zuhause und fast eine halbe Million Wohnungen wurden zerstört oder beschädigt und das alles trotz der weltweit einzigartigen Vorsorgemaßnahmen, die der kubanische Staat getroffen hat. Die Stürme richteten auch große Verwüstungen in der Landwirtschaft an. Ganze Ernten wurden zerstört und es ist immer noch nicht abzusehen, wie lange der Engpass bei verschiedenen Grundnahrungsmitteln anhalten wird. Insgesamt wird inzwischen für die materiellen Schäden mit einer Schadenssumme von 10 Milliarden US-Dollar gerechnet. Das sind etwa zwanzig Prozent des kubanischen Jahresbruttoinlandsprodukts. Bezogen auf Deutschland entspricht das einem Schaden von 200 Milliarden Dollar. Ein gigantisches Volumen, das die Wirtschaft des Landes um Jahre zurückwerfen kann.
Die Regierung hat deshalb die Wachstumsprognose für 2009 von 8 Prozent bereits auf die Hälfte zurückgeschraubt. Mit 4 Prozent Wirtschaftswachstum liegt Kuba allerdings immer noch im Mittelfeld aller Länder in Lateinamerika.

Kuba ist wie unzählige Länder in der südlichen Hemisphäre der Erde in sehr starkem Maß von der sich verschärfenden Klimakatastrophe betroffen. Es hat aber auch mit den Folgen der verschiedenen Krisen zu kämpfen: Nahrungsmittelkrise, Energiekrise und nicht zuletzt die weltweite Wirtschaftskrise machen dem Land schwer zu schaffen. Durch Einbußen bei den Exporteinnahmen und einem Anstieg der Importausgaben um 44 Prozent ist der Haushalt aus dem Gleichgewicht geraten. Dieser Anstieg hängt vor allem mit der Entwicklung der Lebensmittelpreise zusammen. Kuba ist immer noch viel zu stark von Lebensmitteleinfuhren abhängig. Allein im Jahr 2008 wurden für fast drei Milliarden Dollar Lebensmittel importiert, während etwa 50 Prozent des Bodens brachliegen. Schon kurz nach der Wahl Raul Castros zum Staats- und Regierungschef im April letzten Jahres hat er auf diesen Missstand hingewiesen und Maßnahmen dagegen angekündigt.
Das erste Jahr unter Präsident Raul Castro
Es ist jetzt ein Jahr her, dass Raul Castro offiziell die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Er hat sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit vor allem mit der Innenpolitik befasst und erst im Dezember 2008 seine erste Auslandsreise unternommen, die ihn nach Venezuela führte. Danach nahm er am Lateinamerika- und Karibik-Gipfel in Brasilien teil, auf dem Kuba in die Rio-Gruppe – einem Zusammenschluss von mittlerweile 22 Staaten aus Lateinamerika und der Karibik – aufgenommen wurde.

Nicht nur auf dem Subkontinent auch weltweit konnte die internationale Position Kubas 2008 gefestigt werden. So wurden die Beziehungen zu Russland auf einem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und dem damaligen kubanischen Außenminister Felipe Perez Roque intensiviert. Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sollen nach einer vorübergehenden Stagnation in den bilateralen Beziehungen in den letzten Jahren weiter ausgebaut werden. Russland war auch eines der ersten Länder, das Kuba nach den Wirbelstürmen Hilfe angeboten hatte. Der Hilferuf an die USA zur Lockerung der Blockade war in den letzten Tagen der Ära Bush ungehört verhallt. Zu der Volksrepublik China bestehen bereits beste Beziehungen. Neben Joint-Ventures im Nickel-Bergbau gibt es seit Mitte 2008 auch einen Vertrag über Erdölförderung zwischen Cubapetroleo und der staatlichen chinesischen Ölgesellschaft Sinopec. Damit wird die Erschließung der Ölvorkommen im kubanischen Teil des Golfs von Mexiko ohne US-Multis möglich. In absehbarer Zeit wird der kubanisch-chinesische Handel einen Umfang von mehr als einer Milliarde US-Dollar betragen. Kuba exportiert in der Hauptsache Agrarprodukte nach China, aus China kommen neben Reis und Bohnen vor allem Industrieprodukte, wie zum Beispiel Haushaltsgeräte, Fahrzeuge, Computer und Ausrüstungen für die Telekommunikation.
Innenpolitische Reformen
Die Lösung der schon vor den verheerenden Stürmen prekären Versorgungslage wurde als eine zentrale innenpolitische Aufgabe bezeichnet. Die Leitungen der kubanischen KP (PCC) in den Provinzen wurden aufgefordert, in direktem Kontakt mit den Nahrungsmittelproduzenten die Effizienz dieses Wirtschaftsbereichs zu steigern. Der Staat will Anreize schaffen, um die Arbeit auf dem Land attraktiver zu machen. Die Agrarkooperativen, die 1993 gegründet wurden, sollen stärker mit Krediten unterstützt werden.

Nach und nach überlässt der Staat 100 000 Hektar brachliegendes Land privaten Bauern zur Nutzung für 10 bis 25 Jahre. Mit der Verbesserung der Arbeit
in der Landwirtschaft soll sich auch der kommende Parteitag der PCC befassen, der für die zweite Jahreshälfte 2009 geplant ist. In der Vergangenheit hatten die Parteitage alle fünf Jahre stattgefunden. Inzwischen sind mehr als elf Jahre seit dem letzten Parteitag vergangen.
Ein weiteres wichtiges Problem konnte dagegen durch den Kauf von annähernd 9 000 chinesischen Bussen nahezu gelöst werden: Die langen Schlangen und Wartezeiten an den Haltestellen, die in Havanna mehr als 15 Jahre lang die Regel waren. Durch die modernen Busse gehören auch die tiefschwarzen Abgasfahnen der Vergangenheit an, ohne hier behaupten zu wollen, dass damit das Problem der Luftverschmutzung im Großraum Havanna aus der Welt geschafft sei.

Aber ein hoffnungsvoller Anfang ist gemacht und eines der drängenden Probleme der Bevölkerung der Hauptstadt, der daniederliegende öffentliche Nahverkehr ist vom Tisch. Bleibt vor allem die prekäre Wohnungssituation, die natürlich durch die Zerstörungen infolge der Stürme im Herbst 2008 noch weiter verschärft wurde.

Raul Castro hatte schon zu Beginn seiner Amtszeit Kritik an einem „Übermaß an Verboten und Regulierungen“ geübt und angekündigt, einige davon aufzuheben.

Über die Berechtigung der doppelten Währung wird immer mehr diskutiert. Ein einheitliches Wirtschaftsmodell soll entwickelt werden. Die doppelten Strukturen der Peso-Bodegas, in denen mit der Libreta zu sehr niedrigen Preisen stark subventionierte Waren – in erster Linie Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs – gekauft werden können und der Supermärkte mit ihren Waren in konvertiblen Pesos sollen abgelöst werden. („Libreta“ ist ein Bezugsscheinheft, das 1962 geschaffen wurde, um die durch die Blockade knapper werdenden Artikel des täglichen Bedarfs gerechter und gleichmäßig zu verteilen; der konvertible Peso ersetzt seit einigen Jahren in Kuba den US-Dollar). Vor allem Ökonom­Innen des Forschungsinstituts der kubanischen Wirtschaft (CEEC) reden im Zusammenhang mit der Libreta vom Gießkannenprinzip und plädieren für spezifische Förderprogramme für arme Familien, Rentner­Innen und andere Teile der Bevölkerung. Von der Aufwertung des kubanischen Peso und von einer Währungsreform ist die Rede.

Ob es die Situation der Landwirtschaft, das Wohnungsproblem oder die Diskussion über die Doppelwährung ist, der kommende Parteitag der kubanischen KP hat sicher eine Herkulesaufgabe vor sich. Die Aufgabe wird sicher nicht erleichtert durch die aktuellen Veränderungen in der Regierung (vgl. Kasten), die im obersten Führungsgremium entschieden wurden und die für das Militär einen weiteren Machtzuwachs bedeuten.

 

Veränderungen in der kubanischen Regierung
Insgesamt sind Anfang März dieses Jahres 11 Minister und hohe Funktionäre ihrer Ämter enthoben worden und es sind noch mehr Militärs in die Regierung eingetreten.
Unter Raul Castro wurde eine neue siebenköpfige Führungskommission innerhalb des Politbüros geschaffen und es ist recht wahrscheinlich, dass die Entscheidung für die Veränderungen dort getroffen wurde. Diese Entwicklung ist also das Gegenteil von Demokratisierung oder Beteiligung der Bevölkerung an der Machtausübung, von einer Entwicklung in Richtung Rätedemokratie ganz zu schweigen.
Bei den Rücktritten sind diejenigen von Carlos Lage, dem bisherigen Vizepräsidenten und Wirtschaftsminister unter Fidel Castro und Felipe Perez Roque, dem bisherigen Außenminister und Kanzler, besonders bemerkenswert. Beide haben in entsprechenden Schreiben (im Parteiorgan Granma veröffentlicht) „Selbstkritik“ geübt, ihre begangenen Fehler eingeräumt, ohne diese zu konkretisieren. Sie haben die „Verantwortung“ für ihre „Fehler“ übernommen und haben alle ihre Ämter und Funktionen in Regierung und Partei niedergelegt. Diese undurchschaubaren Entwicklungen sind kein gutes Zeichen und ähneln doch sehr den Funktionsmechanismen im ehemaligen Ostblock. Für eine umfassendere Bewertung fehlen uns aber zurzeit noch detailliertere Informationen. Wir werden darauf zurückkommen.
C. R.

 

 

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