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Länder

Milliarden für die Oligarchie

Von Harry Tuttle | 01.05.2009

Obama würde die Taliban gerne in ihrem Rückzugsgebiet in Pakistan schlagen. Doch die Versuche der USA, die pakistanische Politik zu beeinflussen, sind gescheitert.

Obama würde die Taliban gerne in ihrem Rückzugsgebiet in Pakistan schlagen. Doch die Versuche der USA, die pakistanische Politik zu beeinflussen, sind gescheitert.

Das Pentagon glaubte, über ausreichende Informationen zu verfügen. Der pakistanische Geheimdienst ISI hatte Daten über den vermeintlichen Aufenthaltsort Baitullah Mehsuds, des Führers der Tehreek-e-Taliban Pakistan, übermittelt. So wurde am 25. März eine unbemannte Predator-Drohne gestartet. Sie feuerte Raketen auf die Stadt Makeen und tötete acht Menschen, verfehlte jedoch Mehsud.

Nun habe Mehsud Rache geschworen, berichtet ein befreundeter Jihadistenführer dem Magazin Asia Times Online. „Mehsud hat keinen direkten Zugang zu den afghanischen Provinzen, deshalb wird er sich gegen die pakistanischen Truppen wenden, die er als Mitverschwörer gegen ihn betrachtet.“ Bereits am folgenden Tag tötete ein Selbstmordattentäter in einem Restaurant nahe der Stadt Tank elf Kämpfer einer regierungstreuen Miliz.

Der neue US-Präsident Barack Obama versprach eine neue Strategie für Afghanistan, die jedoch im Wesentlichen in der Entsendung zusätzlicher Soldaten zu bestehen scheint. Während diese 17 000 Soldaten tatsächlich kommen werden, dürfte die Ankündigung, die zivile Hilfe zu verstärken, ähnlich folgenlos bleiben wie ähnliche Versprechen in den vergangenen acht Kriegsjahren. Die Taliban sind in der Offensive, ihr Einfluss ist mittlerweile so groß, dass es fraglich ist, ob die für August geplanten Präsidentschaftswahlen stattfinden können.
Offensive der Taliban
Doch selbst wenn es gelingen sollte, die Taliban zurückzudrängen, verfügt die Bewegung in Pakistan über ein sicheres Rückzugsgebiet. Dort können die Jihadisten jederzeit neue Kämpfer rekrutieren, ihre Waffenvorräte ergänzen und sich reorganisieren. Ihnen dieses Rückzugsgebiet zu nehmen, würde die Lage für die NATO erheblich verbessern, doch ist völlig unklar, wie die Taliban in Pakistan geschlagen werden sollen.
Seit Jahrzehnten benutzt die pakistanische Oligarchie islamistische Gruppen als Instrument ihrer Außenpolitik. An vielen dieser Operationen waren die USA beteiligt. Auch der Siegeszug der Taliban in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wäre ohne die Unterstützung des ISI nicht möglich gewesen, die US-Regierung verhinderte damals im UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen die afghanischen Jihadisten.
Mittlerweile hat sich die Inter­essenlage geändert, auch in Pakistan. Große Teile der Oligarchie betrachten die Jihadisten nun als Gefahr, da diese sich nicht mit einer dienenden Rolle zufrieden geben wollen. Spektakuläre Anschläge in Pakistan häufen sich, und in ihren Hochburgen sind die Jihadisten so stark, dass die Regierung sich gezwungen sah, ihnen in einigen Gebieten die Geltung der Sharia zuzugestehen. Faktisch bedeutet das eine Übergabe der Macht an die Taliban.
Zehn Prozent für den Präsidenten
Die Versuche der USA, die pakistanische Politik zu beeinflussen, sind gescheitert. Die US-Regierung hatte ein Bündnis zwischen dem Militärherrscher Pervez Musharraf und Benazir Bhutto, der Vorsitzenden der Pakistanischen Volkspartei (PPP), vorgesehen. Doch Bhutto wurde kurz nach ihrer Rückkehr aus dem Exil Ende Dezember 2007 ermordet, wahrscheinlich von Islamisten. An ihrer Stelle wurde ihr weit weniger populärer Ehemann Ali Asif Zardari Präsident, der wegen seiner Anteilnahme an den Geschäften anderer „Mister Ten Percent“ genannt wird. Der Rücktritt des Militärherrschers Musharraf wurde zwar mit Freudentänzen auf den Straßen gefeiert, doch Zardari bewies sehr schnell, dass die zivile Oligarchie ebenso korrupt und autokratisch regiert wie die Generalität.

Pakistan wird von einer Oligarchie beherrscht, die die gesellschaftliche Modernisierung blockiert. Die Generale, die auch über ein gewaltiges Wirtschafts­imperium gebieten und zahlreiche zivile Institutionen, sogar Universitäten, führen, wahren auch unter einer zivilen Regierung ihre Macht. Die zivile Oligarchie wird von halbfeudalen Großgrundbesitzern dominiert, die kein Interesse daran haben, dass „ihre“ Bauern lesen lernen. Von dieser Situation profitieren die Islamisten, deren Sozialdienste und Bildungseinrichtungen in vielen Gebieten die einzigen Institutionen sind, die den Armen Zutritt gewähren, und deren Justiz brutal, aber nicht korrupt ist.
Vor dem Bankrott
Die US-Regierung hat dieses System maßgeblich mitfinanziert, Pakistan erhält seit Jahrzehnten Militär- und Finanzhilfe. Doch der Erhalt der Oligarchie wird immer teurer. Ende vorigen Jahres stand Pakistan kurz vor dem ökonomischen Zusammenbruch. Nur ein Kredit des IWF in Höhe von 7,6 Milliarden Dollar verhinderte die Zahlungsunfähigkeit. Mitte April wurde noch einmal nachgelegt, die USA und Japan versprachen jeweils eine Milliarde Dollar, weitere Finanzhilfen der Golfmonarchien werden erwartet. Der langsame Zerfall Pakistans lässt sich so jedoch allenfalls verzögern.

Eine größere Militärintervention in Pakistan kann sich Obama jedoch weder politisch noch finanziell leisten. Möglicherweise werden die Luftangriffe ver­stärkt, die jedoch nicht nur Jihadistenführer verärgern, sondern auch die Angehörigen der zivilen Opfer gegen die USA aufbringen. Für eine Invasion aber wären mindestens 100 000 Soldaten erforderlich, und die politischen Kollateralschäden, im Atomwaffenstaat Pakistan wie in der Region, wären unabsehbar. Letztlich dürfte es der US-Regierung vor allem um eine militärische Eindämmung des Jihadismus gehen, während versucht werden soll, mit kompromissbereiten islamistischen Warlords zu verhandeln. Schließlich kennt man einander, fast jeder bedeutende Jihadistenführer, auch Ussama bin Laden, hat irgendwann einmal von US-Unterstützung profitiert.

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