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Innenpolitik

Sozialdemokratischer Horizont

Von Walter Weiß | 01.06.2009

Unter dem Titel „Konsequent sozial. Für Demokratie und Frieden“ stellten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi am 11. Mai das Wahlprogramm der Partei Die Linke vor.

Unter dem Titel „Konsequent sozial. Für Demokratie und Frieden“ stellten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi am 11. Mai das Wahlprogramm der Partei Die Linke vor.

Das Programm, im Vorstand bei drei Stimmenthaltungen gebilligt, dürfte die mittelfristige Orientierung der Partei darstellen. Das 41 Seiten umfassende Papier gliedert sich in sechs größere Abschnitte. Am Anfang wird ein Schutzschirm für die Menschen gefordert. Dann folgt die Aufforderung, die Systemfehler zu beseitigen und „die sozialen Interessen der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen“ u. a. durch eine sozial gerechte Steuerreform. Die Handschrift Lafontaines ist unverkennbar. Es folgt ein Abschnitt für eine gerechte, zukunftsoffene Gesellschaft. Der vierte Punkt behandelt die zu sichernde Demokratie und die Grundrechte. Der außenpolitische Teil proklamiert weltweit Frieden und Gerechtigkeit.

Vom Tenor her – abstrahiert mensch von den aktuellen Bezügen – erleben wir eine Renaissance von Thesen aus der Ära Willy Brandts wie insgesamt der Entwurf eine schon früher vermutete Sozialdemokratisierung der Partei erkennen lässt. Dass die ehemalige PDS diesen Weg mitbeschreitet, ist kaum verwunderlich, da diese Entwicklung bereits von den großen KPen im Westen in den siebziger und achtziger Jahren vollzogen wurde. Positiv hervorzuheben ist die offene Darstellung der Folgen der Agenda 2010, die sonst keine der im Bundestag vertretenen Parteien vornimmt bzw. vornehmen kann.
Exkurs: Linksschwenk?
Bei den Vorbereitungen der Demonstrationen vom 28. März des Bündnisses „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ in Frankfurt und Berlin hatte der Vertreter des Parteivorstandes erklärt, dass die Forderungen nach 10 Euro Mindestlohn und nach einem Regelsatz von 500 Euro beim ALG II nicht in den Aufruf gehörten, da die Partei sich sonst nicht beteiligen würde. Inhaltlich wurde das nicht begründet. Die Forderungen ständen halt nicht im Parteiprogramm. Einige Gruppen und Organisationen ließen sich hiervon erpressen.
Doch kurze Zeit später überraschte Lafontaine die Öffentlichkeit, indem er sich zu den Forderungen bekannte. Dies charakterisiert auch den Zustand der innerparteilichen Demokratie. Im Entwurf findet sich dezidiert der Anspruch, Hartz IV ganz abzuschaffen und die Einführung einer bedarfsdeckenden, sanktionsfreien Mindestsicherung anzustreben. Diese erfreulichen Aussagen sind aber Teil eines Wahlprogramms und somit im Rahmen des realpolitischen Tagesgeschäfts einer parlamentarischen Partei mit Vorsicht zu genießen.
Krisenursachen
Richtig ist die Analyse, dass die gegenwärtige Krise nicht rein konjunktureller Natur ist. Konstatiert wird die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise des Finanzkapitalismus. Gier, Geiz, Verantwortungslosigkeit des Kapitalismus werden angeprangert. Und die bad boys in Gestalt der Investment- und Hedgefonds sind schnell ausgemacht. Etwas weltfremd ist die Kritik an einer Wirtschaftsordnung, die nur für den Profit produziert. Aber anders kann der Kapitalismus nicht funktionieren und der immer romantisch verklärte „rheinische Kapitalismus“ funktionierte in seinen Bewegungsgesetzen auch nicht anders, allerdings im Rahmen des langen Nachkriegsbooms wesentlich sozialer.

„Zeit für Alternativen“ ist das Motto der Partei Die Linke. Der Schutzschirm zum Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen erfordere 100 Milliarden Euro jährlich für Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz, Infrastruktur und Verkehr. Ein hundert Milliarden großer Sonderfonds für ökologischen Umbau und eine nachhaltige industriepolitische Neuordnung flankieren das Programm. Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 53 % (das gab es bereits) und eine Millionärssteuer von 5 % auf alle Privatvermögen von mehr als einer Million Euro sowie eine Börsenumsatzsteuer von 1 % sind sicher fortschrittliche Forderungen, beseitigen aber nicht die Ursachen der Krise des Kapitalismus, der selbst bürgerliche Kommentator­­Innen einen historischen Charakter zubilligen. Und die Vergesellschaftung der Banken macht nur Sinn unter Kontrolle der Belegschaften und der breiten Masse der Kundschaft und eines Kreditwesen, das soziale und ökologische Projekte favorisiert. Ob eine solche Vorstellung kompatibel ist mit dem Anspruch, die Mitbestimmung auszudehnen – bestimmt von den Hauptamtlichen im Gewerkschaftsapparat begrüßt – bezweifeln wir.

Andererseits enthält der Entwurf viele Forderungen, die unterstützenswert sind. Ein-Euro-Jobs in tariflich gesicherte Verhältnisse zu überführen, ist mehr als vernünftig. Die sind zwar auch ein Teil der kapitalistischen Profitordnung, aber heutige Ein-Euro-Jobber­­Innen wissen den Unterschied zu würdigen.

Polizei und Geheimdienste seien zu trennen und Letztere überflüssig zu machen. Zum Asylkompromiss von 1992 wird geurteilt, der beraube „dieses Grundrecht in seiner Substanz“. Das ist insofern interessant als Oskar Lafontaine aktiv an diesem „Kompromiss“, der das Asylrecht de facto außer Kraft setzt, mitgewirkt hat.

Eine sozial-ökologische Erneuerung soll 2 Millionen Arbeitsplätze entstehen lassen.

Außenpolitisch Friedenspolitik anzumahnen, steht in der Tradition der Friedensikone Willy Brandt, zu dessen Regierungszeit weiterhin Waffenexporte florierten und dessen Regierung nicht in Opposition zum Vietnamkrieg stand. Begrüßenswert ist die Ablehnung völkerrechtswidriger Militäreinsätze auch mit UN- Mandat. Die Fixierung auf die nach dem Papier reformbedürftige UNO ist unübersehbar. Und die Bereitstellung von 0,7 % des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe sind für eine linke Partei mehr als bescheiden.

Wir können im Rahmen eines solchen Artikels nur einige Eckpunkte des Papiers referieren und kritisch würdigen, sind aber der Meinung, dass es Punkte gibt, die eine unsektiererische Zusammenarbeit der radikaleren Linken mit der Partei ermöglichen.
Grundsatzfragen
Eine Partei, die Systemfehler beseitigen will, bleibt systemimmanent. Denn wir stehen erst am Anfang der Krise zumindest in der Frage der Massenarbeitslosigkeit. Wir halten insbesondere die Dimension der ökologischen Krise für unterbewertet und die Endlichkeit der Existenz des Planeten als Lebensstätte für die Menschen ist heute unter der bestehenden Gesellschaftsordnung wissenschaftlich verifizierbar.

Die Kapitalismuskritik ist heute in Mode und da überholt Heiner Geißler die Partei lässig von links. So wird die Klassenfrage überhaupt nicht thematisiert und das nach Jahrzehnten des Klassenkampfes von oben in Gestalt des Neoliberalismus in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen. Die Partei ist insofern links als sie sich in der politischen Topografie der Parteienlandschaft durch die jahrelange Rechtsentwicklung der anderen parlamentarischen Parteien auf dem linken Flü
gel wiederfindet.
Einmal taucht der Sozialismusbegriff in Form des demokratischen Sozialismus auf, eines weit gefächerten Begriffs, der früher Eingang in die Hochglanzbroschüren der SPD fand.

Ihr allgemeiner Demokratiebegriff („Mehr Demokratie wagen!“ Willy Brandt) verbaut ihr die Sicht auf den formalen Charakter dieser Demokratie, die spätestens am Werkstor ihr Ende findet. Beide Flügel der Partei sind – aus unterschiedlichen Traditionen – sehr staatsfixiert und sehen im Staat einen eher neutralen Akteur, um die Dinge zum Besseren zu wenden. Eine solche Betrachtungsweise ist bestenfalls illusorisch. Es ist der gleiche Staat, der über die „arbeitgeberorientierten“ ARGEN (Arbeitsgemeinschaften) repressiv bürgerliche Klasseninteressen durchsetzt, der Staat der unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung die Bundeswehr im Innern einsetzen will und den Überwachungsstaat ausbaut und an imperialistischen Kreuzzügen all over the world beteiligt ist. Kurzum: ein bürgerlich-kapitalistischer Klassenstaat.

Laut Junge Welt vom 12. Mai will die Partei den Kapitalismus schrittweise überwinden. Das erinnert uns an die „Ermattungsstrategie“ des seligen Karl Kautsky, Cheftheoretiker der II. Internationale. Bekanntlich hat der Kapitalismus diese Form des Angriffs unbeschadet überstanden. Die Strateg­­Innen ermatteten bald selbst, fanden sich im Schoß der bürgerlichen Ordnung wieder und teilten so das Schicksal aller Reformist­­Innen.

Unsere kritischen Anmer­kung­en – und mehr können es nicht s­ein – weisen auf die unzureichenden Antworten der Partei Die Linke hin. Der RSB selbst hat seine aktuellen Ansichten in der Broschüre „Banken enteignen – Kapitalismus bekämpfen“ zur Diskussion gestellt. Eine zeitgemäße Strategie antikapitalistischer Übergangsforderungen ist aber noch zu entwickeln. In diesen Diskurs sollten wir versuchen, die Mitglieder der Partei Die Linke  solidarisch einzubeziehen.

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