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Frankreich: Wir werden ihre Krise nicht bezahlen!

Von Gérard Torquet, Pierre Vandevoorde | 01.04.2009

Die Demonstrationen und Streiks vom 19. März waren ein gewaltiger Erfolg: drei Millionen DemonstrantInnen und Streikende, sowohl im Öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft. Größer als im Januar ist auch die Zustimmung zu der Protestbewegung. Laut Meinungsumfragen sollen 78 Prozent der Bevölkerung den Streik für richtig halten.

Die Demonstrationen und Streiks vom 19. März waren ein gewaltiger Erfolg: drei Millionen DemonstrantInnen und Streikende, sowohl im Öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft. Größer als im Januar ist auch die Zustimmung zu der Protestbewegung. Laut Meinungsumfragen sollen 78 Prozent der Bevölkerung den Streik für richtig halten.

Die Sozialpolitik der Regierung Sarkozy trifft seit Monaten auf eine wachsende Opposition. Aber wir mussten anderthalb Jahre warten, bis die acht großen Gewerkschaftsverbände CGT, CFDT, FO, CFE-CGC, CFTC, Solidaires, FSU, Unsa, die zusammen gerade mal 8 % der Beschäftigten organisieren, für den 29. Januar zu einem Aktionstag aufgerufen haben, um von der Regierung eine Anhebung der Kaufkraft zu verlangen (ohne dabei konkreter zu werden), sowie ein Ende der Stellenstreichungen und eine Anhebung des Kurzarbeitergeldes.

Mit zwei Millionen Demonstrierenden war dieser Aktionstag schon ein großer Erfolg gewesen, aber es hat drei Wochen gedauert, bis die Regierung sich entschloss, 2,6 Milliarden Euro auszugeben, um die Steuern für niedrige Einkommen zu senken und das Kurzarbeitergeld minimal zu erhöhen. Diese Antwort war meilenweit von den 360 Milliarden Euro entfernt, die den Banken und den in Schwierigkeiten befindlichen Industriebetrieben gewährt worden waren. Die versammelten Gewerkschaften benötigten einige Zeit, um zu einem neuen Protesttag aufzurufen, der jetzt zwei Monate später stattfand.
Heftige Proteste
Doch überall gibt es massive Stellenstreichungen und Werkschließungen, jeden Tag verlieren 3 000 Kolleg­Innen ihren Job. Bei Continental in Nordfrankreich, wo die Gewerkschaften 2007 es akzeptiert hatten, bei gleichem Lohn mehr zu arbeiten, um das Werk zu retten, wurde jetzt doch die Schließung angekündigt. Die Geschäftsführung wurde nach irakischem Modell mit Schuhen und auch mit Eiern beworfen. Da und an vielen anderen Orten gab es Wutausbrüche, es häufen sich die spontanen Streiks, die Geiselnahmen von Chefs und andere radikale Antworten auf Entlassungen und Werkschließungen.

Das Ausmaß der Demonstrationen vom 19. März ist beredetes Zeugnis von dieser Schnauze-voll-Stimmung und dem Widerstandswillen. Hochschullehrer­Innen, Forschende und Studierende, die sich in der Zwischenzeit gegen die neue Offensive im Hochschulbereich mobilisiert haben, waren noch zahlreicher vertreten als am 19. Januar. Wie üblich hat die CGT die größten Demonstrationsblöcke gestellt, aber es gab auch große Blöcke der Solidaires-Gewerkschaften und der FSU. In kleineren Städten, wo sonst normalerweise nie etwas passiert, gab es zum Teil imposante Demonstrationen, insgesamt waren es 250 Demonstrationen (im Januar waren es 200). In Städten, die in besonderer Weise von Werksschließungen oder Massenentlassungen betroffen waren, waren die Demonstrationen gigantisch, so etwa in Compiègne, wo die Kollegen von Continental dabei waren. Große Demonstrationszüge gab es auch in Le Havre, wo Total 500 Stellen streicht und gleichzeitig die Ausschüttung von 14 Milliarden Euro Dividenden für das vergangene Jahr ankündigt. In Marseille demonstrierten 300 000 Menschen und in vielen anderen Städten waren es zwischen 40 000 und 100 000.

Aber die Herrschenden stellen sich taub. Die Vorsitzende des Unternehmerverbandes MEDEF und die Sprecher der Regierungspartei UMP hatten das Terrain vorbereitet: Nicht nachgeben und abwarten, bis sich die Bewegung totläuft. Das ist wohl eine Möglichkeit, denn die Gewerkschaftsführungen haben ein Abkommen geschlossen, jetzt nichts zu entscheiden und sich Ende März wieder zu treffen. Aber damit wird die Entschlossenheit der Demonstrierenden vom 19. März ausgeblendet.
Es liegt auf der Hand, dass Sarkozy, seine Regierung und seine Partei in erster Linie nicht die Einzelprotesttage fürchten, sondern vielmehr anhaltende Widerstandsbewegungen, die sich ausbreiten könnten, und den Funken, der überspringen und eine Massenbewegung auslösen könnte.

Bei dieser unnachgiebigen Haltung des Ministerpräsidenten F. Fillon ruft das Abtauchen der Gewerkschaftsführungen eine gewisse Verwirrung hervor und schockiert all diejenigen, die dabei nicht stehen bleiben wollen. Nach einem solch breiten Mobilisierungserfolg und einer solchen Provokation seitens der Regierung kann und muss mehr passieren. Wenn die Auseinandersetzungen bei Continental in Compiègne, bei Fulmen (einem Batteriewerk) in Auxerre oder bei Goodyear in Amiens zu etwas führen sollen, wenn die Kämpfe an den Schulen und Hochschulen, im Gesundheitswesen, bei der Post (wo stellenweise schon seit 6 Wochen gestreikt wird) und im Öffentlichen Dienst Erfolg haben sollen, dann werden mit einem 24-stündigen Streik oder mit Demonstrationen alle zwei Monate die Regierung und das Kapital nicht zum Zurückweichen zu bewegen sein.

Der siegreiche Generalstreik auf den Antillen – er hielt über einen Monat an –, die breite Aktionseinheit aller gewerkschaftlichen, politischen und sozialen Kräfte in einer Koordination wie der guadeloupischen LKP, das sind die Bedingungen, um ein Verbot von Entlassungen und der Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst durchzusetzen, genauso wie die Anhebung der Löhne oder die Senkung der Preise.

Diejenigen, die zur Zeit Zusammenschlüsse bilden und mobil machen, um dem Beispiel des Netzwerks LKP auf Guadeloupe zu folgen, handeln gegen den Willen der Gewerkschaftsapparate. Im industriellen Norden, in Le Havre, in Rennes tut sich was, meistens mit Forderungen wie „Schluss mit den Entlassungen, Erhaltung der öffentlichen Dienste, 200 € jetzt für alle”. Aber der CGT-Vorsitzende Thibault hatte schon in Le Monde zwei Tage vor dem gestrigen Streik verkündet, dass der nächste Schritt „ein kämpferischer erster Mai“ (!!) sein werde.

Gegen diese Regierung brauchen die Lohnabhängigen auf der gewerkschaftlichen und auf der politischen Ebene eine kämpferische Linke. Die PS ist immer noch sehr zurückhaltend, auch wenn dieses Mal ihre Anhänger­Innen zahlreicher als zuvor an den Demonstrationen teilgenommen haben. Die Kommunistische Partei, die seit einigen Jahren sehr geschwächt ist, war recht stark vertreten. Im vergangenen Herbst war mit Blick auf die Europawahlen und mit Unterstützung Oskar Lafontaines die Parti de Gauche (PdG) um den aus der PS ausgetretenen Abgeordneten Mélenchon gegründet worden. Die KP versucht nun – auch über die Bildung einer „Linksfront“ mit dieser PdG – verlorenes Terrain zurückzuerobern.

Aber diejenigen, die sich jetzt mit der PCF verbünden wollen, können nicht darüber hinweg sehen, dass sie in spätestens 10 Monaten gemeinsame Listen für die Landtagswahlen mit der PS aufstellen wird, um zu versuchen, weiter in allen Regionen des Landes (bis auf den Elsass
) mitregieren zu können…
NPA
Die NPA dagegen ist ein „Produkt dieses sozialen Widerstandes“ und wirkt auch auf diesen Widerstand zurück. Es ist kein Zufall, wenn zwei führende Vertrauensmänner der erwähnten Total-Raffinerie spontan im Dezember ein NPA-Komitee gegründet haben. Es ist auch kennzeichnend, dass der Chef der sozialliberalen Gewerkschaft CFDT Chérèque am Montag in allen Medien die NPA angegriffen hat, „weil ihre Mitglieder wie Geier vor den Betrieben, wo es Schwierigkeiten gibt, hantieren”. So ist es nun mal: An der NPA kommt heute keiner vorbei.

Ein anderes Beispiel für die Rolle, die die NPA spielt, lieferte ihre Initiative gegenüber sämtlichen Organisationen der politischen Linken (zu denen in Frankreich auch die Sozialdemokratie gezählt wird). Es wurde eine gemeinsame Erklärung vorgeschlagen, in der eine andere Politik gegen die Krise gefordert wird als die der Sarkozy-Regierung. Alle haben sie unterzeichnet.

Übersetzung: D. B.

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