TEILEN
Länder

Bilanz der Europawahlen

Von Gabriel | 01.07.2009

Die „Sieger“ der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament sind eindeutig die Nichtwähler. Bis zu 60 % der eingetragenen europäischen Wähler sind nicht zur Wahl gegangen. Diese Enthaltung bestätigt die Legitimationskrise der Europäischen Union und ihrer Verträge.

Die „Sieger“ der letzten Wahlen zum Europäischen Parlament sind eindeutig die Nichtwähler. Bis zu 60 % der eingetragenen europäischen Wähler sind nicht zur Wahl gegangen. Diese Enthaltung bestätigt die Legitimationskrise der Europäischen Union und ihrer Verträge.

Ein weiterer wichtiger, aber auch besorgniserregender Trend ist der Rechtsruck in ganz Europa: In den Ländern, in denen sie regieren – in Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, den Niederlanden, Polen, Österreich, Ungarn – gehen die rechten konservativen Parteien gestärk­t hervor. In Bulgarien, Litauen, Lettland, Slowenien und Zypern, ebenso.

Diese Stärkung der Konservativen wird in einer Reihe von Ländern von einem Aufstieg der Kräfte der populistischen Rechten und der extremen Rechten begleitet, insbesondere in den Niederlanden, wo die islamophobe Partei der extremen Rechten des europäischen Abgeordneten Geert Wilders 16,4 % der Stimmen und 4 Abgeordnete erreicht. In Österreich, Finnland, Ungarn, Rumänien bekommen rechtsextreme Kräfte, die wilde Kampagnen gegen Migrant­Innen durchführten, ebenfalls gute Ergebnisse. In Großbritannien, erhielt die BNP 6,7 % der Stimmen und 2 Sitze. Griechenland kennt auch einen Durchbruch der extremen Rechten (LAOS), die 7,2 % bekommt.

Die europäische Sozialdemokratie der SPE-Fraktion erleidet eine schwere Niederlage, insbesondere in den Ländern, in denen sie regiert: in Großbritannien, Spanien, Portugal. In Deutschland kann Mensch von Wahldebakel sprechen (s. nebenstehenden Artikel). In Frankreich kommt es zu einem Zusammenbruch der PS. Nur in Griechenland, Schweden, Dänemark, Slowakei und Malta, verbessern die sozialdemokratischen Parteien leicht ihre Ergebnisse. In einigen Ländern hat die Krise der großen traditionellen Parteien der Rechten und der Sozialdemokratie viel Platz geschaffen für eine Reihe von Kräften; Ökologische bis hin zur  radikalen Linken, und einer ganzen Reihe von klassisch reformistischen Parteien wie Die Linke in Deutschland oder Le Front de Gauche in Frankreich.

Die Grünen gehen mit rund 60 Abgeordneten europaweit deutlich gestärkt aus der Wahl hervor, wobei die Liste „Europe Écologie“ von Daniel Cohn-Bendit in Frankreich das bedeutendste Ergebnis  verbuchen kann. Erklärung für dieses famose Ergebnis ist zum Einen die „Krise der traditionellen Politik» und zum Anderen die zentrale Bedeutung der ökologischen Frage, die viele Menschen noch von den Grünen am besten vertreten sehen. Parteien oder Bündnisse wie Die Linke in Deutschland oder die Sozialistische Partei  in den Niederlanden oder der Front de Gauche in Frankreich konnten ihre Wählerbasis beibehalten, ohne neue Fortschritte zu erzielen. Die Rifondazione Comunista (PRC) in Italien bekommt mit 3, 23 % keinen Vertreter mehr im Europäischen Parlament.
In Großbritannien sind die Ergebnisse der radikalen Linken enttäuschend: Die Liste NO2EU bekommt 1 %, genauso wenig wie die SLP von Arthur Scargill.

Syriza (Koalition der radikalen Linken) in Griechenland erhält 4,7 % der Stimmen und nur einen Abgeordneten.
Die NPA in Frankreich konnte mit 4,98 % und 840 713 Stimmen ein gutes Ergebnis erzielen, verfehlte aber knapp die Wahl eines Abgeordneten. Für viele Organisationen der antikapitalistischen Linken waren diese Wahlen eine Feuertaufe. Die Polnische Partei der Arbeit, die Izquierda Anticapitalista im spanischen Staat, Workers Initiative in Schweden, die LCR-PSL in Belgien, die SSP in Schottland, Antarsya (antikapitalistische Koalition in Griechenland) haben gute, kämpferische Wahlkampagnen durchgeführt, konnten aber nicht mehr als 1 % erreichen.

Für die antikapitalistische Linke ist die Wahl eines irischen antikapitalistischen Abgeordneten, Joe Higgins, in Brüssel nach dem irischen Nein zur EU-Verfassung ein großer Erfolg. Die dänische Volksbewegung gegen die EU (Folkebevægelsen mod EU), legte den Schwerpunkt ihrer Kampagne gegen die EU und entsendet einen Abgeordneten, den Genossen Søren Søndergaard, außerdem Mitglied der Rot-Grünen Allianz und der Vierten Internationale.

Der wirkliche Durchbruch für die antikapitalistische Linke europaweit bleibt aber das exzellentes Ergebnis von 10,73 % der Stimmen und 3 Abgeordneten, Miguel Portas, Marisa Matias und Rui Tavare für den Bloco de Esquerda (Linksblock) in Portugal.

Es ist schwierig, die Lehren aus einer Wahl zu ziehen, an der sich nur knapp 60 % der Wähler­Innen beteiligt haben.  Aber die ersten sozioökonomischen Auswirkungen der Krise – Entlassungen, Explosion der Arbeitslosigkeit, Rückgang der Kaufkraft – haben bis jetzt nicht zu einer linken oder antikapitalistischen Radikalisierung geführt. Der Durchbruch des Bloco Esquerda bildet hier die  Ausnahme. Es ist ein bitteres Paradox, dass die politischen Parteien auf der Rechten, flankiert von extremen Rechten oder Populisten, gestärkt aus dieser Wahl hervorgehen.

Unsere Hoffnung, die Krise würde die antikapitalistischen Ideen stärken, hat sich bis jetzt nicht realisiert. Die Lage ist komplizierter. Der Widerstand gegen die Krise ist insgesamt noch zu schwach in Europa. Die Krise der Sozialdemokratie schafft neue Räume für sozialistische Politik, aber die Entwicklung der antikapitalistischen Linke bleibt uneinheitlich. Für eine Reihe von Organisationen ist der Anfang jedoch  vielversprechend. Die Aufgabe der Stunde ist die Bildung eines antikapitalistischen Pols auf europäischer Ebene.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite