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Innenpolitik

Vorratsdatenspeicherung: Schritt zum totalitären Überwachungsstaat

Von Daniel Berger | 01.09.2009

Seit Anfang des Jahres werden nicht nur die Verbindungsdaten aller Telefongespräche ein halbes Jahr lang gespeichert, sondern auch die E-Mail und die Internetdaten: Wer hat wem eine Mail geschickt, welcher Rechner, welche IP-Adresse war wann und wie lange im Internet?

Seit Anfang des Jahres werden nicht nur die Verbindungsdaten aller Telefongespräche ein halbes Jahr lang gespeichert, sondern auch die E-Mail und die Internetdaten: Wer hat wem eine Mail geschickt, welcher Rechner, welche IP-Adresse war wann und wie lange im Internet?

Indirekt lässt sich sogar ermitteln, welche Internetseite aufgerufen wurde, denn die meisten Websites speichern die IP-Adressen aller Besucher und die Polizei kann diese Logfiles beschlagnahmen. Aufgrund des umfassenden Charakters der vorgeschriebenen Speicherungen geht dieser Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung noch weit über den großen Lauschangriff hinaus. Denn erstens werden jetzt die entsprechenden Daten der gesamten Bevölkerung erfasst, zweitens ohne jeden Verdacht und Anlass und drittens berührt dies die privatesten Informationen und liefert sie in maschinenverarbeitbarer Form.
Welche Informationen?
Aufgrund der Tatsache, dass seit 2008 schon sämtliche Daten von Telefonverbindungen erfasst werden (die Handyortung gibt auch Auskunft, von wo aus telefoniert wurde) und aufgrund der Speicherung der Internetzugänge können nicht nur Bewegungsprofile erstellt, sondern auch wichtige persönliche Daten erfasst werden. Wer traut sich dann noch ohne Angst bei der Aids-Hilfe anzurufen? Anrufe bei ÄrztInnen, JournalistInnen oder EheberaterInnen oder anderen Beratungsstellen sind nicht mehr vertraulich, von der Kommunikation in Kreisen von Bürgerinitiativen, Gewerkschaften oder politischen Organisationen ganz zu schweigen. Selbst das gewiss nicht revolutionäre Bundesverfassungsgericht schrieb am 28.3.2008, dass „die in § 113a TKG angeordnete umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke […] einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken“ kann.

Mithilfe dieser Totalerfassung kann sowohl das private Konsumverhalten (wer kauft beispielsweise bei welchem Versandhandel ein?) erfasst werden, als auch, wer mit welchen politischen Strukturen in Verbindung steht. Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass die staatlichen Stellen die große Datenflut nicht bewältigen können und letztlich genauso schlau sind wie vor der Umsetzung dieser EU-Richtlinie (sie betrifft übrigens nicht weniger als 365 Millionen EuropäerInnen). Die Entwicklung geeigneter Filter ist schon weit fortgeschritten und funktioniert bei den Geheimdiensten sehr detailliert beim Erfassen bestimmter Begriffe im Betreff einer Mail, im Mail-Text und beim Aussprechen bestimmter Wörter während eines Telefonats.
Kommunikation soll gelähmt werden
Der Einschüchterungseffekt zur Einschränkung der freien Kommunikation ist politisch gewollt. Hier liegt der eigentliche Zweck des ganzen Unternehmens: politische Zusammenhänge ausmachen, Kommunikation einschränken, Angst verbreiten. Offiziell geht es um die leichtere Ermittlung von StraftäterInnen, aber hier sind alle entsprechenden Untersuchungen eindeutig. Selbst zu einem Zeitpunkt, als es die Vorratsdatenspeicherung noch nicht gab, bzw. als sie gerade erst angelaufen ist und die Kriminellen sich noch nicht ausreichend umgestellt hatten, wurden nach einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts gerade mal 0,002 % der Straftaten mithilfe der Online-Überwachung aufgeklärt. Mittel und Zweck stehen also in keinem Verhältnis zu einander.
Pannen und Missbrauch
Verdachtsunabhängig die Kommunikationsdaten der ganzen Bevölkerung zu speichern, hat zudem noch ganz andere Folgen: Heute werden schon Millionen Menschen täglich am Telefon und per Mail mit unerwünschten Werbeangeboten belästigt. Tausenden von Menschen wird täglich per Bankeinzug Geld vom Konto abgebucht, weil heute schon die entsprechenden persönlichen Daten (Telefonnummer, Geburtsdatum, Bankkonto) von Adresshändler­Innen verkauft werden. Alle neun Experten, die das Bundesverfassungsgericht zur Stellungnahme angerufen hat, haben diese Gefahr bestätigt und gehen von einer Ausdehnung des Missbrauchs persönlicher Daten aus.

„Datenpannen“ und „Missbrauch“ sind eine zwangsläufige Begleiterscheinung von Datensammlungen. Das belegen nicht nur die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen großen Skandale in Großbritannien. Es wird auch leicht übersehen, dass bei der Telekom nicht einfach nur Aufsichtsräte ausspioniert wurden. Auch Verdi-Mitglieder, die bei der Telekom weder arbeiten noch eine Funktion im Aufsichtsrat ausüben, wurden ausspioniert; ebenso Angestellte, und Fachjournalistinnen. „Es ist auch auffällig, dass die Verbindungsdaten der Gewerkschaftsvertreter immer während Tarifauseinandersetzungen überprüft wurden, was ein entsprechendes Ziel der Maßnahmen nahe legt“, so Meinhard Starostik,  Anwalt der Beschwerdeführer beim Bundesverfassungsgericht.
Widerstand
Zum Glück haben sich nicht nur über 34 000 Personen der Verfassungsbeschwerde angeschlossen. Die Demo am 12. September in Berlin wird zeigen, dass der Widerstand auf breiten Beinen steht. Fantasievolle Aktionen zur Aufklärung der Bevölkerung sind genauso wichtig wie der juristische Kampf für die Verteidigung dieses Grundrechts. Die Demo am 12.9. um 15.00 Uhr am Potsdamer Platz muss ein Erfolg werden!

www.vorratsdatenspeicherung.de

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