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Innenpolitik

Bundestagswahl 2009: Parteilandschaft in Bewegung, der Klassenkampf noch nicht

Von Politisches Sekretariat des RSB | 01.10.2009

Das alles überschattende Ereignis des 27. September ist der Absturz der SPD, mit der Folge eines Regierungswechsels und eines abzusehenden Richtungskampfes in der SPD. Aber weder ist das Wahlergebnis der SPD wirklich überraschend, noch wird der Widerstand gegen das zu erwartende Regierungsprogramm ein Selbstläufer sein.

Das alles überschattende Ereignis des 27. September ist der Absturz der SPD, mit der Folge eines Regierungswechsels und eines abzusehenden Richtungskampfes in der SPD. Aber weder ist das Wahlergebnis der SPD wirklich überraschend, noch wird der Widerstand gegen das zu erwartende Regierungsprogramm ein Selbstläufer sein.

Im Grunde hat sich so wahnsinnig viel gar nicht ereignet, denn die Summe der Stimmen für CDU und FDP liegt weiterhin unter 50%  (48,8%) und die Summe aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien liegt bei einer ähnlichen Größenordnung (45,6%), ohne dass sich damit zwei grundsätzlich unterschiedliche Lager gegenüberstünden. Im Wahlergebnis kommen folgende Prozesse zum Ausdruck:

Erstens: Grüne und Die Linke wären nicht das geworden, was sie heute sind, wenn die SPD sich nicht im Verlaufe ihrer jahrzehntelangen Anpassung vollständig in das System integriert hätte und sich nicht zu einer Sozialabbaupartei, Kriegspartei und Überwachungspartei entwickelt hätte. Sie stützt sich wesentlich auf Teile des Staatsapparats (MandatsträgerInnen, BeamtInnen in den Behörden etc.) und kann schon seit Jahrzehnten nicht mehr als eine linke Partei oder gar als eine ArbeiterInnenpartei betrachtet werden. Dass selbst die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie sich nicht mehr traute, offen für die Wahl der SPD aufzurufen und – beispielsweise auf der Kundgebung der IG Metall am 5. September in Frankfurt – von einem 5-Parteiensystem ausgeht, spricht Bände.
Die erste Reaktion auf den totalen Anpassungskurs war das Entstehen und Wachsen der Grünen seit Anfang der 80er Jahre. Das zweite Abrücken von der SPD kommt in dem stetigen Anstieg der Wählerstimmen für die Partei Die Linke zum Ausdruck.

Zweitens: Die dramatischen Verluste der SPD sind tatsächlich Ausdruck einer Aufspaltung des langjährigen Potenzials der SPD: Abgesehen von dem Entstehen der Grünen, was die SPD noch einigermaßen wegstecken konnte, kamen dieses Mal zwei Dinge zusammen: Zum einen hat sich im Verlauf der letzten Jahre besonders als Reaktion auf die Agenda 2010 eine Kraft mit „sozialem Anspruch“ links der SPD etabliert (Die Linke) und wird zunehmend als eine „wählbare Alternative“ begriffen. Sie steht nicht für den Kommunismus, und das Schreckgespenst DDR-System zieht auch im Westen nicht mehr so wie in den 90er Jahren. Zum anderen ist ein großer Teil der potenziellen SPD-WählerInnen aus Verärgerung und/oder Verunsicherung nicht zur Wahl gegangen, was einen großen Teil des Rückgangs der Wahlbeteiligung ausmacht (von 77,7 auf 70,8%).

Drittens: Die allgemeine Gemengelage war natürlich der SPD-Führung lange vor der Wahl bekannt, aber das Dilemma der SPD ist klar: Sie kann schlecht von ihrem bisherigen Kurs abrücken, weil sie damit eingestehen müsste, dass sie 11 Jahre lang eine unsoziale und kriegerische Politik gemacht hat. Dennoch wird es vor dem Hintergrund dieser „Katastrophe“ mittelfristig wahrscheinlich zu einer Neuausrichtung kommen, die eventuell schon demnächst mit anderen Koalitionen auf Länderebene eingeleitet wird. Dazu bedarf es zwar auch eines Führungswechsels (um auch auf Bundesebene mit Der Linken koalieren zu wollen), aber das ist das geringste der Probleme (eher ist die Zeitfrage ein gewisses Hindernis und wird für Verzögerung sorgen). Schon einen Tag nach der Wahl lassen die Kommentare einiger SPD-Oberen eine mittelfristige Umorientierung als wahrscheinlich erkennen. Die Wowereits werden sich bald warmlaufen. Das hätte natürlich keine grundlegende Änderung der SPD-Politik zur Folge, wie das Beispiel Berliner Senat zur Genüge deutlich gemacht hat.

Viertens: Der Wahlausgang ist kein Ausdruck oder Ergebnis heftiger sozialer Kämpfe. Die Stimmen für die Partei Die Linke – so sehr mensch der Zuwachs freuen mag – ist nicht das Resultat eines Anstiegs der Klassenkämpfe und eines direkten Engagements der Partei Die Linke in denselben. Im Gegenteil: Bei allen Talkshows und öffentlichen Verlautbarungen wird deutlich, wofür die Partei bereitsteht: für einen „Politikwechsel“, d. h. das Schielen auf Parlamentsarithmetik. Dafür wird auch bei ihr so manches aufgegeben, was vorher als unverrückbar hingestellt wurde: In Thüringen kann die Partei darauf verzichten, dass Ramelow Ministerpräsident wird und der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan soll ja „nicht kopflos“ sein, sprich: Über den Termin könnte man ja noch mal reden.

Fünftens: Dass viele Menschen, vor allem junge, sich von dem herrschenden Politikbetrieb angewidert fühlen, kommt u. a. in den Stimmen für die Piratenpartei zum Ausdruck. Auf Anhieb bei einer Bundestagswahl fast 2% (833 210) zu bekommen, ist keine Kleinigkeit und mehr als die Grünen damals bekamen. Zwei Momente machen heute im Kern das Profil der Partei und ihrer WählerInnenschaft aus: gegen Zensur und gegen Überwachung. Auf allen anderen Feldern ist die Programmatik eher verwaschen, zweifelhaft oder gar nicht vorhanden. Aber die Partei ist noch jung und wird sich in der nächsten Zeit bestimmt noch verändern. Sie ist keine linke Partei, aber ihre Themen haben ihre Berechtigung. Ob die linke Bewegung darauf entsprechende Antworten geben kann, ist heute nicht sicher, aber die Anstrengung sollte unternommen werden.
Was da auf uns zukommt
Hätte „Schwarz-Gelb“ nur knapp die Wahl gewonnen (also mit nur 3 bis 5 Abgeordneten mehr), wäre eine große Koalition recht wahrscheinlich gewesen, denn die Probleme, vor denen die Regierung stehen wird, sind nicht gerade gering. Die staatlichen Haushalte werden im nächsten Jahr ein Defizit von mindestens 100 Milliarden Euro aufweisen, ein Ergebnis der geringeren Steuereinnahmen infolge der Krise und der gewaltigen staatlichen Rettungsprogramme, vor allem für die Banken. Normalerweise bietet sich den Herrschenden dafür eine Steuererhöhung an, am wirkungsvollsten wäre die Anhebung der Mehrwertsteuer. Sie brächte bei einem Satz von 25% mindestens 45 Milliarden Euro und würde sofort wirken, sowohl für den Staatshaushalt wie auch für alle BezieherInnen von regelmäßigen Einkommen (Lohnabhängige, RentnerInnen, BezieherInnen von Transferzahlungen). Für sie würde das Leben auf einen Schlag um fast 2% teurer, ohne dass sie die Aussicht hätten, dass ihre Einkommen entsprechend steigen. Wichtige Vertreter der Finanzwelt und der Wirtschaftsweisen (ihr Vorsitzender Franz genauso wie Straubhaar vom HWWI oder Walter von der Deutschen Bank) fordern eine Verbesserung der Einnahmeseite über Steuererhöhungen, natürlich nur eine solche, die die BesitzerInnen von größeren Sachwerten nicht trifft, also am besten die Mehrwertsteuererhöhung.

„Schwarz-Gelb“ hat sich allerdings so stark gegen diese Lösung positioniert, dass sie das – im Gegensatz zu einer Großen Koalition – nur sehr schwer kurzfristig umse
tzen kann. Wird aber das Defizit nicht drastisch reduziert, droht eine andere Gefahr: Die Schulden werden steigen und der deutsche Staat droht in der Finanzwelt seine hohe Kreditwürdigkeit (AAA) zu verlieren. Das hätte gewaltige Auswirkungen nicht nur auf den Bankenstandort Deutschland, sondern auch auf die internationale (außenpolitische und allgemein wirtschaftliche) Position einer deutschen Regierung. Beides ist für die Herrschenden in jedem Fall zu vermeiden.

Deswegen droht ein heftiger Angriff auf soziale Standards, denn die Sparmaßnahmen müssen wirksam werden und bald greifen (eventuell in Kombination mit einer „versteckten“ Steuererhöhung). Im Gegensatz zu Schröder wird Merkel dies besser verpacken und vor allem CDU-Rüttgers (NRW) wird darauf pochen, dass die sozialen Grausamkeiten nicht zu früh zu erkennen sind; er hat im nächsten Frühjahr Landtagswahlen zu bestehen.

Theoretisch führt die Konstellation „SPD in der Opposition“ und „Schwarz-Gelb“ an der Regierung dazu, dass die Gewerkschaften eher zu Mobilisierungen neigen. Ob das so eintrifft, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, vor allem von dem Druck aus den Betrieben selbst. Denn die hiesigen Gewerkschaftsführungen sind dermaßen passiv, dass ein Kampfaufruf von ihrer Seite aus alles andere als selbstverständlich ist. Kommt es aber zu einer Bewegung von unten, dann muss auch die Gewerkschaftsbürokratie sich bewegen.

In diesem Zusammenhang kann die soziale Bewegung außerhalb der Betriebe und der Gewerkschaften eine gewisse fördernde Wirkung ausüben, indem sie beispielhaft vorangeht und den Menschen in den Betrieben Anregungen gibt. Von der Partei Die Linke ist nicht zu erwarten, dass sie auf diese Arbeit ihren Schwerpunkt legen wird. Denn: Sie will ihre Regierungstauglichkeit beweisen und da stört eine klare Positionierung und erst recht eine Orientierung der eigenen Ressourcen auf den Klassenkampf und auf außerparlamentarische Aktivitäten.

Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass eine Regierungsbeteiligung der Partei Die Linke im Saarland oder in einem anderen der dafür infrage kommenden Bundesländer nichts anderes bewirken wird als ein klassisch sozialdemokratisches Mitwirken am Verwalten der Krise, ganz in der Tradition des Arztes am Krankenbett des Kapitalismus. Die Einbindung vieler Aktiver in die Zuarbeit für die inzwischen Tausenden von Mandatsträgern auf allen Ebenen hat natürlich keine positive Auswirkung auf den Aufbau einer außerparlamentarischen Opposition. Aber genau die gilt es vorrangig aufzubauen. Widerstand gegen „scharz-gelbe“ Grausamkeiten ist nicht parlamentarisch zu bewerkstelligen. Deswegen sollten Linke und sozial Engagierte sich für die Umsetzung der Parole stark machen:

Demos auf der Straße, Streiks in der Fabrik,
das ist unsre Antwort auf ihre Politik!

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