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Innenpolitik

Ramelow und die „Linksregierung“

Von Philipp Xanthos | 01.11.2009

Der Umgang bürgerlicher Politiker­Innen in der BRD untereinander spricht schon Bände über das parlamentarische System. Das Protokoll der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Linkspartei und Grünen vom 30.09.2009 liest sich denn auch wie ein Drehbuch zu einem Politthriller. Dass das Protokoll überhaupt veröffentlicht wurde, ist selbst nur ein politischer Schachzug der gekränkten Linkspartei – denn ihre Machtträume sind vorerst in Thüringen geplatzt.

Der Umgang bürgerlicher Politiker­Innen in der BRD untereinander spricht schon Bände über das parlamentarische System. Das Protokoll der Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Linkspartei und Grünen vom 30.09.2009 liest sich denn auch wie ein Drehbuch zu einem Politthriller. Dass das Protokoll überhaupt veröffentlicht wurde, ist selbst nur ein politischer Schachzug der gekränkten Linkspartei – denn ihre Machtträume sind vorerst in Thüringen geplatzt.

SPD-Chef Matschie forderte offenbar die Zustimmung zu einem Kandidaten der SPD für das Amt des Ministerpräsidenten (MP), ohne bereits einen Namen nennen zu wollen. Weshalb er nicht sagte, dass er sich mit dieser umständlichen Formulierung selbst meinte, wird wohl wiederum ein ausgeklügelter politischer Schachzug gewesen sein. Was anworteten Linkspartei und Grüne? „Beide betonen, dass sie sich vorstellen könnten, einen SPD-MP zu wählen, dass sie aber diesem Prinzip einer Blanko-Vollmacht nicht zustimmen könnten“. Zu einem echten Hollywood-Film würde nun gehören, dass Matschie eine Pistole auf den Tisch legt. Doch darüber erfahren wir nichts; stattdessen heißt es: „Wörtlich wird von Christoph Matschie immer wieder die Frage gestellt: „Seid Ihr bereit, jetzt zu unterschreiben, dass wir die Koalition führen und Ihr einen SPD-MP wählt, den wir aussuchen?“
Rückblende
Dass Ramelow nicht bereit war, „jetzt zu unterschreiben“, wirkt im Licht der Vorgeschichte verwunderlich. Denn die Linkspartei braucht Politiker­­Innen, die nicht nur praktisch, sondern auch ideologisch immer weiter nach rechts drängen, um regierungsfähig zu sein. Ihr am weitesten rechts stehender Mann ist z. Zt. eben Bodo Ramelow. Als er selbst vom Verfassungsschutz bespitzelt wurde, tat er das, was ein bürgerlicher Politiker dagegen tut. Er mobilisierte nicht etwa seine Parteibasis gegen die vornehme Praxis der herrschenden Klasse, sich gegenseitig auszuspionieren, sondern er klagte 2008 auf Unterlassung. Und in der jungen Welt sprach er sich noch mitten im Thüringer Wahlkampf dafür aus, den VS zu stärken. Was würde er unternehmen, wenn er selbst Ministerpräsident würde? Das Landesamt auflösen? Nein, dafür „bessere parlamentarische Kontrolle“ (also die Kontrolle von Beamt­­Innen durch andere Beamt­­Innen). Entlassung der Mitarbeiter? Öffentlicher Zugang zu den Akten? (Den Zugang zu seinen eigenen Akten hatte er in seinem persönlichen Verfahren gefordert). Antwort von Ramelow: „Das nicht, wir brauchen ja eine Institution, die die braune Gefahr im Auge behält. Eigentlich bräuchte diese neue Behörde eher mehr Mitarbeiter für diese Aufgabe“. Die alte PDS trat noch für die Auflösung aller Geheimdienste ein, im Programm der Linkspartei ist davon keine Rede mehr und beim „allerneusten“ Ramelow ist es schon das Gegenteil.

Gleich nach der Wahl verzichtete Ramelow ohne Rücksicht auf seine Partei auf das Amt des Ministerpräsidenten, um überhaupt politischen Einfluss zu bekommen. Dies war nicht etwa Ausdruck von persönlicher Bescheidenheit, sondern verdeutlicht bloß die Tatsache, dass Ramelow wirkliche Macht über politische Programme stellt und damit natürlich auch eigene Macht über die Macht von einem wie auch immer gearteten Programm. In Thüringen widerlegte die Linkspartei ein weiteres Mal den Mythos, die Anti-Hartz-IV-Partei zu sein. Im Verhandlungsprotokoll lesen wir zum Thema Hartz IV: „Konsens: Akzeptanz der Hartz-Gesetze als Arbeitsgrundlage. Die Debatte um Hartz IV werde nicht als Dauerstreit mit in die Regierungsarbeit hinein getragen.“
Ramelows Vorschlag
Und so schritt die Verhandlung zum bekannten Punkt voran: „Seid Ihr bereit, jetzt zu unterschreiben?“ Was würde ein Mensch, der sich „revolutionär“, „radikaldemokratisch“ oder auch nur „links“ nennt, jetzt tun? Öffentlichkeit herstellen, zu Protesten aufrufen, Aufklärung leisten, die bürgerliche „Demokratie“ entlarven. Was taten die Vertreter­­Innen der Linkspartei? Protokoll: „Die Linke bietet an, sich so schnell wie möglich (morgen) gemeinsam an einem geheimen Ort (also ohne Presse) zusammen zu setzen und diese Frage zu lösen“. Ein Kamingespräch im Thüringer Wald, so sollte Ramelows Drehbuch weitergehen. Doch Matschie – heute Kulturminister unter Christine Lieberknecht (CDU) – war nicht interessiert. Zu hoch gepokert, Bodo! Sein Problem lag nicht darin, überhaupt „zu unterschreiben“, sondern im „jetzt“. Denn im Geheimversteck hätte er für sich ohne Zweifel noch mehr herausholen können als bei den Erfurter Verhandlungen. Doch vorerst braucht der bürgerliche Staat die Linkspartei nicht so sehr wie sie ihn.
Unterstützung für Afghanistan-Einsatz
Was Ramelow selbst aus dieser Episode politisch lernte, wurde am 3. Oktober deutlich. Der Welt am Sonntag teilte er seine Unterstützung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr mit: „Uns geht es nicht um einen sofortigen Abzug. Das wäre wie eine Flucht damals aus Vietnam“. Dass er sich in diesem Vergleich mit der Seite des Aggressors identifiziert, ist der bisherige Gipfel des Opportunismus. Ramelow ist nicht seine Partei. Doch diese Partei wird noch etliche kleine und große Ramelows hervorbringen.

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