TEILEN
Innenpolitik

Schwarz-gelbe Finanzpolitik

Von Jörg Herrmann | 01.12.2009

Die neue Koalition ist noch nicht lange im Amt, aber ihre finanzpolitischen Absichten sind bereits erkennbar.

Die neue Koalition ist noch nicht lange im Amt, aber ihre finanzpolitischen Absichten sind bereits erkennbar.

Details sind noch Gegenstand politischer Auseinandersetzungen, sowohl innerhalb der Koalition selbst, als auch zwischen Bund und Ländern. Im Koalitionsvertrag und im so genannten „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ wird die politische Linie klar: Steuergeschenke und Entlastungen für Besserverdienende und Unternehmen, die lautstark als Konjunktur- und Wachstumsförderung deklariert werden und eine Benachteiligung der Lohnabhängigen, über die weniger laut geredet wird. Es findet eine drastische Erhöhung der Staatsschulden bei gleichzeitiger Verringerung der Einnahmen statt. Dies ist eine Fortschreibung der neoliberalen Politik, die wir seit den Achtziger Jahren kennen.

Grundsätzlich ist der Effekt von Steuersenkungen auf die Konjunktur minimal, da hauptsächlich Besserverdienende profitieren, die eher dazu neigen, ihre Sparquote zu erhöhen. In Deutschland zahlt ein Drittel der abhängig Beschäftigten keine Steuern, weil ihr Verdienst zu gering ist, aber nur hier würde eine Erhöhung des Nettoeinkommens direkt in den Konsum fließen. Für das Gemeinwesen ist die neoliberale Finanzpolitik katastrophal, weil die steuerlichen Mindereinnahmen durch Einsparungen im sozialen Bereich kompensiert werden. Hinzu kommt, dass die steuerlich begünstigten BezieherInnen von Vermögenseinkommen an der steigenden Staatsverschuldung verdienen, da sie den Löwenanteil der Staatsanleihen kaufen. Neoliberale Finanzpolitik bewirkt eine Umverteilung von unten nach oben, hat aber kaum positive Wirkungen auf das Wachstum.

Die neue Regierung hat bei der Durchsetzung ihrer Konzepte einige Schwierigkeiten zu meistern. Die Bundesländer, die einen großen Anteil der Wohltaten für die bürgerliche Klientel finanzieren sollen, erweisen sich als renitent. Dementsprechend lief es für die neue Regierung bisher nicht wirklich gut. Der Trick, die Defizite der Sozialkassen über einen Sonderfonds zu finanzieren und so die Neuverschuldung für die nächsten Jahre zumindest auf dem Papier zu reduzieren, scheiterte an der vernichtenden Kritik der bürgerlichen Presse und am Widerstand in den eigenen Reihen. Auch die großspurig angekündigte Steuersenkung in Höhe von 24 Mrd. Euro wird neu verhandelt.
Steuersenkung und Transferleistungen
Von unsrer grundsätzlichen Ablehnung mal abgesehen: Nach der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre lässt sich vor dem Hintergrund der Krise eventuell noch für die Senkung der Unternehmenssteuern argumentieren, auf keinen Fall aber für die Senkung der Erbschaftssteuer. Eventuell gibt es hier noch Abstriche vom geplanten Konzept, da die Einnahmeverluste in diesem Bereich vor allem Länder und Kommunen treffen und einige Landesregierungen bereits Widerstand angekündigt haben.

Zur konkreten Ausgestaltung der Einkommensteuertarife ist noch nichts Genaues bekannt, ab 2011 sind Entlastungen in der Höhe von 20 Mrd. Euro im Gespräch, aber was davon wem zugutekäme wird, ist noch eine ganz andere Frage. Es sollen zwar mittlere und untere Einkommen entlastet werden, aber wie bereits erwähnt nutzt eine Senkung der Einkommenssteuer nur denen, die eine Einkommenssteuer zahlen. Eine Senkung der Mehrwertsteuer für Konsumgüter und Dienstleistungen, die allen Einkommensgruppen zugutekommt, wird nicht diskutiert.

Die geplante Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes begünstigen die höheren Einkommensklassen höher und tragen den Makel der sozialen Unausgewogenheit, so erhalten BezieherInnen geringer Einkommen 20 Euro mehr, wer allerdings über 5 000 Euro netto verdient, bekommt 40 Euro zusätzlich. Ein Skandal ist, dass Familien und Alleinerziehende im ALG-II-Bezug keinen Cent mehr erhalten, weil das Kindergeld vom Regelsatz abgezogen wird. Die Ärmsten gehen also leer aus.
Geplante Einsparungen
Zu den Einsparungen ist letztlich auch das Bildungssparen zu rechnen. Wer Geld für Bildung und Weiterbildung zurücklegt, soll steuerlich begünstigt werden. Was als bildungspolitische Großtat verkauft wird, reiht sich ein in die lange Liste der neoliberalen Maßnahmen, die den Staat verschlanken sollen. Deren Kern besteht darin, dass der Staat sich mehr und mehr von hoheitlichen Aufgaben zurückzieht, öffentliche Güter werden privatisiert und müssen in Form von Dienstleistungen gekauft werden, Prämien und Steuervergünstigungen können die sich daraus ergebenden Ungerechtigkeiten bestenfalls abmildern.

Den Steuersenkungen für Besserverdienende und Unternehmen stehen geplante Einsparungen gegenüber, die vor allem zulasten der abhängig Beschäftigten gehen. So wird die paritätische Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung zugunsten der „Arbeitgeber“ verändert. Für die ist ein fixer Beitragssatz geplant, Kostensteigerungen müssen von den Versicherten getragen werden. In Zukunft werden steigende Arzteinkommen und steigende Profite der Pharmakonzerne von den Versicherten bezahlt, was eine faktische Lohnkürzung bedeutet. Dieser Umverteilung soll durch eine Kopfpauschale ab 2011 für alle Versicherten die Krone aufgesetzt werden, allerdings sollten die Verantwortlichen sich gewahr sein, dass die Einführung von Kopfsteuern einem den Kopf kosten kann, und das nicht nur im übertragenen Sinn.

Für prekär Beschäftigte und Erwerbslose hat Schwarz-Gelb auch einige zauberhafte Neuerungen parat. Flächendeckende und allgemeine Mindestlöhne lehnt die Koalition strikt ab, sie erwägt sogar die Senkung oder Abschaffung von branchenspezifischen Mindestlöhnen. Die Koalition plant, Löhne zu verbieten, die ein Drittel unter den tariflichen Löhnen liegen, was aber genau genommen auf eine Legalisierung untertariflicher Löhne hinausläuft.

Die geplante Erhöhung der Zuverdienstgrenzen für ALG-II-Empfänger­Innen ist nichts anderes als eine Subvention von Hungerlöhnen, die mit der Einführung von ALG II durch die rot-grüne Regierung ihren Anfang genommen hatte. Bis dahin war die Sozialhilfe eine Art inoffizieller Mindestlohn in Deutschland, niemand brauchte eine Arbeit annehmen, wenn der Lohn unter dem Sozialhilfesatz lag, heute muss ein ALG-II-Empfänger eine Arbeit annehmen, auch wenn der Lohn unterhalb des Regelsatzes liegt.

Die geplante Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung für ALG-II-Empfänger­Innen wird auf eine Senkung der ohnehin kargen Bezüge hinauslaufen. Die Erhöhung des Schonvermögens wird für den Großteil der Betroffenen kein Trostpflaster sein, weil sie kein Vermögen besitzen.
Fazit
Die bürgerliche Regierung macht genau das, was ihr Job ist: bürgerliche Politik. Unter dem Strich wird der private Konsum der Lohnabhängigen und Erwerbslosen gedeckelt gleichzeitig werden Vermögenseinkommen sowie Unternehmensgewinne tendenziell gesteigert.

Einigen Kl
ischees von Bürgerlichkeit unterwirft sich die Koalition allerdings nicht, ihr Konzept ist weder seriös noch solide. Die Politik hat eine überraschende Lehre aus der Finanzkrise gezogen: anstatt die Zockerei im privaten Sektor zu begrenzen, übernimmt man diese Praxis auf staatlicher Ebene. Bis 2013 droht dem Staat und den Sozialkassen ein Defizit von 500 Mrd. Euro. In dieser Situation praktiziert man eine Interessenpolitik für die bürgerliche Klientel, deren wachstumsfördernder Effekt frei erfunden ist. Finanzexperten schätzen, dass Steuersenkungen bestenfalls zu einem Drittel durch deren positiven Effekt kompensiert werden. Dies gilt mit Sicherheit nicht in der gegenwärtigen Krise, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch einige Zeit andauert. Die Regierung spekuliert offensichtlich auf den baldigen Aufschwung und riskiert sehenden Auges die weitere Verarmung breiter Bevölkerungsschichten und den Ruin des Gemeinwesens.

Grundsätzlich ist die Erhöhung der Staatsausgaben in der Krise unausweichlich, aber eine Begrenzung der Verschuldung durch die Wiedereinführung von Vermögenssteuern und Erhöhung der Erbschaftssteuern ist das Mindeste. Im Unterschied zu Steuergeschenken würden ein flächendeckender Mindestlohn und eine Erhöhung der Bezüge für Erwerbslose die Konjunktur stimulieren und den Binnenmarkt stärken, vor allem aber der sozialen Verelendung von prekär Beschäftigten und Erwerbslosen Einhalt gebieten. Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als Maßnahme gegen zunehmende Massenarbeitslosigkeit ist ebenfalls unerlässlich.

Die etablierten Parteien, nicht nur die Koalition, setzen genau auf das Gegenteil: Sozialabbau, Verlängerung der Arbeitszeit und faktische Lohnkürzungen, das Ganze wird noch durch die staatliche Subventionierung von Hungerlöhnen, Unternehmensprofiten und die finanzielle Hilfestellung für den maroden Finanzsektor gekrönt.
 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Ähnliche Artikel
Zur Startseite