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Länder

Papandreou organisiert den „nationalen Überlebenskampf“

Von Guenther Sandleben | 01.04.2010

Als der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou Anfang März 2010 ein weiteres Sparprogramm verkündete, verrieten bereits seine Worte, dass etwas ganz Großes auf dem Spiel steht. „Unser Land befindet sich im Kriegszustand“, in einem „nationalen Überlebenskampf“. Ergänzend fügte er später hinzu: „Wir müssen unsere Heimat, unsere Bürger und unsere Kinder vor der Gefahr eines drohenden Staatsbankrotts bewahren.“

Als der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou Anfang März 2010 ein weiteres Sparprogramm verkündete, verrieten bereits seine Worte, dass etwas ganz Großes auf dem Spiel steht. „Unser Land befindet sich im Kriegszustand“, in einem „nationalen Überlebenskampf“. Ergänzend fügte er später hinzu: „Wir müssen unsere Heimat, unsere Bürger und unsere Kinder vor der Gefahr eines drohenden Staatsbankrotts bewahren.“

Seine Worte fielen schärfer aus als jene, die Gerhard Schröder sieben Jahre zuvor gebrauchte, als er die Sozialeinschnitte seiner Agenda 2010 verkündete. Seine damaligen Attacken – die schwersten seit 50 Jahren – standen unter dem Motto „Mut zum Frieden und Mut zur Veränderung“. Beide hatten das Volk belogen, als sie das Gegenteil von dem taten, was sie als Oppositionsführer versprochen hatten. Als Sozialdemokraten gehören sie der Sozialistischen Internationalen an; Papandreou ist ihr Vorsitzender. Schröder wollte mit seinen Sparmaßnahmen die Konkurrenzfähigkeit des in Deutschland tätigen Kapitals verbessern, als ein Mittel zur weiteren Stärkung der Nation.
Papandreou sieht ebenfalls in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit seines Landes das Schlüsselproblem, nur die Situation ist extrem zugespitzt: Die hinter der griechischen Nation verborgene kapitalistische Ordnung droht im Falle eines Staatsbankrotts zusammenzubrechen. „Wir wollen nicht die Lehman Brothers Europas sein“. Die griechische Kapital-Nation soll nicht zusammenbrechen wie ein Einzelkapital.
Wäre die Rettung Griechenlands nur ein polizeilich-militärisches Problem, brauchte sich Papandreou nicht zu sorgen. Nach Angaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri gingen insgesamt 4 % der weltweiten Rüs­tungsexporte in den vergangenen fünf Jahren nach Griechenland. Hier nimmt das Land den fünften Platz ein; der wichtigste Abnehmer deutscher Kriegswaffen ist Griechenland. Etwa 5 % des Staatsbudgets entfallen auf Militärausgaben. Daran gemessen nimmt Griechenland im militärischen Wettbewerb der Nationen einen Spitzen-Platz ein.
Griechenland am Rande der Zahlungsunfähigkeit
Die Rettung Griechenlands ist vor allem ein ökonomisches Problem, das mehrere Facetten besitzt. Zunächst geht es um die Linderung der akuten Finanznot. Im April und Mai werden Schuldtitel von über 20 Milliarden Euro fällig. Würden diese Verbindlichkeiten nicht durch die Emission neuer Staatsanleihen getilgt, wäre der griechische Staat zahlungsunfähig. Papandreou kann keine Gelddruckmaschine anwerfen, weil sich die EZB seinem direkten Zugriff entzieht. Er verfügt nicht über die Atempause, die andere hoch verschuldete Länder wie USA, Großbritannien oder Japan besitzen, indem sie ihre Notenbanken zum Kauf von Staatsanleihen verpflichten. Papandreou ist unbedingt auf die Kaufbereitschaft der Anleger des Kapitalmarkts angewiesen. Aber das Misstrauen dort ist derart groß, dass die anstehende Emission griechischer Anleihen zu scheitern droht.
Zur „Geiselhaft der Finanzmärkte“
Das Misstrauen lässt sich direkt an der Differenz zwischen den Renditen der noch als relativ sicher geltenden deutschen Anleihen und den griechischen Anleihen ablesen. Je nach aktueller Risikoeinstufung schwanken diese Differenzen derzeit um etwa 3 %-Punkte. Sollte die anstehende Emission überhaupt zustande kommen, dann nur mit einem vergleichbaren Zinsaufschlag, so dass der griechische Haushalt zusätzlich belastet würde.

Wenn Papandreou dies als eine „Geiselhaft der Finanzmärkte“ betrachtet, dann macht er ein bloßes Symptom zur Ursache. Denn ohne kapitalistische Krise, ohne die kostspieligen Staatsinterventionen gäbe es solche Spekulationen gar nicht erst. Würden Geld und Kredit beseitigt, wären den Spekulanten alle Aktionsmöglichkeiten genommen. Statt die kapitalistischen Voraussetzungen für Spekulation auszuräumen, will Papandreou sie und damit die Spekulanten retten. Ein Heuchler ist er.

Die Spekulanten stützen sich in ihrer Risikobewertung auf objektive Gegebenheiten der Staatsverschuldung. Sie beuten diese miserablen Verhältnisse lediglich aus, ohne sie durch ihre Aktionen geschaffen zu haben. Deshalb ändert die Eindämmung von Spekulationen nichts am Verschuldungsproblem.
CDS
Die Dinge stehen nicht viel anders, wenn wir die Credit Default Swaps (CDS) hinzunehmen, die wie eine Versicherung wirken und deren Preis mit dem Risikoaufschlag der ihr zugrunde liegenden Staatsanleihe schwankt. Im Extremfall, wenn also der griechische Staat seine Anleihen nicht mehr bedienen kann, erhält der CDS-Besitzer den Nominalwert der wertlos gewordenen Anleihe vom Sicherungsgeber erstattet, egal ob er die Anleihe besitzt oder nicht. In den CDS wird das Ausfallrisiko in Gestalt eines handelbaren Wertpapiers verselbständigt, welches immer als ein Risikomoment in jeder Anleihe steckt. Durch die­se Verselbständigung tritt lediglich das Interesse der Besitzer von CDS stärker hervor: Statt die griechische Schuldenkrise zu verharmlosen oder davon abzulenken, wie es die griechischen Politiker samt ihrer Statistikabteilungen taten, konzentrieren sich die CDS-Besitzer darauf, heben sie das Pleiterisiko hervor, um die Risikoprämie, also den Preis der entsprechenden CDS zu stärken.
Zum Streit innerhalb der EU
Will Papandreou den Staatsbankrott verhindern, darf die Kreditquelle nicht versiegen. Der Kapitalmarkt steht ihm nur sehr eingeschränkt zur Verfügung, zur Gelddruckmaschine der EZB hat er keinen direkten Zugang. Der öffentliche Kredit anderer Staaten ist die einzige noch verlässliche Kreditquelle, die ihm geblieben ist. Hier nun tobt ein Streit, der an der Oberfläche nationalistische Formen annimmt, dem Inhalt nach ökonomisch ist. Die Meinungen sind geteilt wie die dahinter stehenden Interessen. Die Gegner von Staatshilfen stützen sich juristisch auf die „No-bail-out-Klausel“ aus Artikel 125 des Vertrags zur Währungsunion, worin die Haftung anderer Mitgliedsstaaten für Schulden eines Euro-Staates ausdrücklich ausgeschlossen wird.

„Wenn die Klausel verletzt wird, dann gibt es kein Halten mehr, warnt der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing. Weitere Kandidaten für Hilfen stünden vor der Tür. Helfen wir, ergänzt der Vorsitzende des Sachverständigenrats Wolfgang Franz, „dann müssen die Steuerzahler anderer Länder dafür aufkommen, dass Griechenland bewusst und jahrelang über seine Verhältnisse gelebt hat.“  Der freche Grieche soll für sein Leben in Saus und Braus büßen, heizt die Presse weiter an. Die Statue der
Aphrodite, die einen „Stinkefinger“ zeigt, dazu der Text „Betrüger in der Euro-Familie“ waren ein deutscher Höhepunkt, worauf das Hakenkreuz an der Siegessäule („Finanznazitum bedroht Europa“) als ein griechischer Höhepunkt folgte.

„Die EU muss Griechenland retten, um einen Dominoeffekt zu verhindern“, sonst würden auch andere Staaten bald insolvent, meinen Hans Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts und Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Sie denken dabei an die Staatsanleihen, die deutsche Banken und Versicherungen von Europas größten Risikoländern in ihren Depots haben. Griechenland mit seinen 300 Milliarden Euro Schulden ließe sich vielleicht noch verkraften, nicht aber, wenn die griechische Pleite  spanische, portugiesische, italienische etc. Pleiten nach sich zöge.
Papandreou im Schuldenpoker
Solche möglichen Kettenreaktionen stärken die Verhandlungsmacht Papandreous, die Kreditquellen anderer Länder für den griechischen Staat zu öffnen. Dies gilt umso mehr, als die Stabilität der gesamten Eurozone davon abhängt.  Papandreous Reisen nach Luxemburg, Paris, Berlin und Washington standen ganz im Zeichen des Schuldenpokers. Zur Vorbereitung ließ er den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Josef Ackermann, nach Athen kommen. Die offen zur Schau gestellte herzliche Begegnung mit US-Präsident Obama diente den Euro-Staaten als Warnung, dass Griechenland auch anderweitige Hilfe in Anspruch nehmen könnte. Finanzhilfen bietet beispielsweise der IWF an. Würde Papandreou diese Hilfe in Anspruch nehmen, würden die USA über den IWF unmittelbaren Einfluss auf die Euro-Zone erhalten. Mit dem Vorstoß zur Gründung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) will die deutsche Regierung diesen möglichen US-Einfluss verhindern. Ein Plan der Finanzminis­ter der 16 Euro-Staaten bringt für den Fall einer griechischen Staatspleite bilaterale Hilfen ins Spiel. Wie der Schuldenpoker der Staaten ausgehen wird, ist noch offen.
Lohnverzicht um der Nation willen?
Papandreou will das Haushaltsdefizit von 12,7 % des Bruttoinlandsprodukts (2009) auf 8,7 % (2010) und später auf unter 3 % drücken. Der sich hinter solchen nackten Zahlen verbergende Angriff auf die breiten griechischen Massen ist so gewaltig, dass ihn Papandreou frühzeitig in einen „nationalen Überlebenskampf“ ummünzte.

„Das Volk ist um der Heimat willen zu Opfern, zu Lohnverzicht bereit“, rief er martialisch aus. Zusätzlich zu den bereits im Januar beschlossenen Sozialeinschnitten im Volumen von 10 Milliarden Euro sollen weitere 4,8 Milliarden eingespart werden. Den 730.000 Staatsbediensteten kürzt die Regierung das 13. Monatsgehalt und das zu Weihnachten fällige 14. Gehalt jeweils um 30 %.
Die Zulagen – oftmals höher als das Grundgehalt – sinken um 12 %. Solche Kürzungen hätten Signalcharakter für entsprechende Lohnsenkungen in der Privatwirtschaft. Zudem werden die Renten eingefroren. Die realen Löhne und Sozialeinkommen sinken noch stärker, weil die Regierung zugleich eine Erhöhung preistreibender indirekter Steuern beschloss: Anhebung der Mehrwertsteuer von 19 auf 21 %, Steuern auf Benzin, Autos, Zigaretten und Alkohol.

Die griechischen Arbeiter und Erwerbslosen lassen sich von den nationalen Phrasen, unter denen Papandreou den Klassenkampf organisiert, nicht beeindrucken. Sie stellen sich mehr und mehr gegen die kapitalistische Nation. Massendemonstrationen und Massenstreiks, die bereits Ende 2008 einen ers­ten Höhepunkt hatten, danach immer wieder aufflammten, verstärken sich angesichts solcher unverschämter Regierungsangriffe. Sie machen deutlich, dass der Generalangriff von Kapital und Staat zu einer Generalabrechnung mit dem ganzen kapitalistischen System führen könnte.

Nicht nur Papandreou wirft den Untertanen den Fehdehandschuh hin. Regierungen anderer Länder bereiten vergleichbare „nationale Überlebenskämpfe“ vor. Die große Krise mit ihren großen Staatsinterventionen hat überall vergleichbare Haushaltslöcher gerissen, die durch „Klassenkampf von oben“ gestopft werden sollen. Die griechischen Massenstreiks weisen auch uns die Zukunft.

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