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Länder

Interview: Atomkraft in Venezuela?

Von Artur Blechschmidt/Tim Nießner | 01.04.2010

Ein Gespräch mit Stalin Perez Borges über Umweltzerstörung und Atomkraft.

Ein Gespräch mit Stalin Perez Borges über Umweltzerstörung und Atomkraft.

Avanti: Du hast ja schon die Ener­giekrise angesprochen. Jetzt ist vor einigen Tagen durch die deutsche Presse gegangen, dass Chávez Atomkraftwerke bauen möchte. Ist das richtig und was haltet ihr davon?

Stalin Perez: Nein, ich kann das nicht bestätigen. Ich vermute dies ist ein Teil einer Kampagne gegen Chávez. Es ist so, dass auf der einen Seite konkret geplant wird, neue Windkraftwerke zu bauen, um den Energiebedarf zu decken. Zusätzlich existieren konkrete Pläne, noch mehr Öl- bzw. Gaskraftwerke zu errichten. Über die Nutzung der Nuklearenergie gibt es meines Wissens keine Pläne der Regierung. Allerdings wird momentan in Venezuela, auch in linken Kreisen, diese Frage offen diskutiert. In anderen Ländern gibt es schließlich auch Atomkraftwerke und die scheinen auch nicht besonders gefährlich zu sein. Es gibt innerhalb der Regierung bzw. der ganzen Administration sowie unter Technikern und Ingenieuren Menschen, die der Meinung sind, dass die Atomkraft eine sichere Energiequelle sei. Die­se Teile setzen sich durchaus für die Nutzung der Atomenergie ein, allerdings zu strikt nicht-militärischen Zwecken. Auf der anderen Seite gibt es eine breite Umweltbewegung, die sich dagegen wendet. Die Frage ist also noch nicht entschieden und die Parteiführung sowie der Präsident haben offiziell dazu keine Position bezogen. Aber wie ist das eigentlich in Deutschland? Ihr habt doch auch Atomkraftwerke. Habt ihr irgendwelche Probleme mit der Atomkraft?  Welche Position haben eure Gruppe bzw. die revolutionären Kräfte in Deutschland in der Frage?

Avanti: Ja, wir haben Probleme mit unseren Atomkraftwerken. Momentan haben die Probleme noch nicht das Ausmaß wie in Tschernobyl oder in Harrisburg angenommen. Es kommt aber immer wieder zu teilweise schwerwiegenden Störfällen. Das Hauptproblem, welches von der Anti-Atom-Bewegung in Deutschland thematisiert wird, in der wir als RSB aktiv sind, ist die Entsorgungsfrage. Bis jetzt gibt es keine Möglichkeit, den Müll sicher endzulagern. Der nukleare Abfall aus den Atomkraftwerken wird über Jahrmillionen strahlen. Es gab in der Geschichte der Menschheit bisher kein Produkt, das über einen so langen Zeitraum gefährlich ist. Und das Plutonium, was in den AKW entsteht, ist die giftigste Substanz der Erde. Ein Milligramm kann einen Menschen töten. Ein Kilogramm kann eine Million Menschen umbringen. Der RSB, seine Vorläufer und die anderen linken Gruppen sind seit über 30 Jahren aktiv in der Anti-Atom-Bewegung. Wir sind strikt gegen die Nutzung der Atomkraft.

Stalin Perez: Ich frage, da es bei euch sehr starke Bewegungen gegen die Atomkraft gibt. Wir sind sehr stark im Elektrizitätssektor verankert und unsere Genossen dort sind der Atomkraft nicht unbedingt abgeneigt, es ist aber eine Frage, die bei uns offen diskutiert wird.
Avanti: Wir hatten ein großes Problem in den 60er Jahren wo die ersten Kraftwerke gebaut wurden. Damals hat die Gewerkschaft, in der die Elektrizitätsarbeiter­Innen organisiert sind, die Entwicklung der Atomkraft unterstützt. Andere Gewerkschaften, wie z. B. die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, waren aber zumeist dagegen. In Deutschland will man bis 2020 40 % der elektrischen Energie durch regenerative Energie (Solar, Wind etc.) erzeugen, was u. a. der Umweltbewegung zu verdanken ist.

Stalin Perez: 85 % der elektrischen Energie in Venezuela stammt aus Wasserkraftwerken. Der Großteil aus dem Orinoco-Gebiet. Dabei ergibt sich aber ein Problem. Der Ort der Erzeugung und die Städte, wo der Strom hauptsächlich verbraucht wird, liegen weit auseinander. Der Transport der Energie ist mit  vielen Verlusten verbunden, das Problem ist noch nicht gelöst.n

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