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Geschichte und Philosophie

50 Jahre KPD-Verbot: Justiz als politische Verfolgung

Von J.A. | 01.07.2006

Vor 50 Jahren, am 17. August 1956, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf Antrag der Bundesregierung: „Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen …“

Vor 50 Jahren, am 17. August 1956, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf Antrag der Bundesregierung: „Die Kommunistische Partei Deutschlands ist verfassungswidrig. Die Kommunistische Partei Deutschlands wird aufgelöst. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die Kommunistische Partei Deutschlands zu schaffen oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzusetzen …“

Bereits am Vormittag der Urteilsverkündung stürmten Polizeieinheiten die Parteibüros und KPD-Zeitungsredaktionen, beschlagnahmten die Unterlagen und versiegelten die Räume. KPD-FunktionärInnen – unter ihnen Landtagsabgeordnete – wurden verhaftet und alle Arbeitsverhältnisse mit der Partei vom Tag des Verbots an für aufgelöst erklärt. Das gesamte Vermögen der KPD wurde zugunsten der Bundesrepublik eingezogen, die Beschäftigten der KPD mit ihren Lohnansprüchen und sonstige Gläubiger gingen leer aus.
Kommunisten -Verfolgungen vor dem Verbotsurteil
Verfolgt und als kriminell bestraft wurde die politische Betätigung von KommunistInnen in der BRD nicht erst seit dem KPD-Verbot von 1956. Kommunistische oder als kommunistisch verdächtigte politische Aktivitäten waren schon vor dem Verbot der KPD mit den Mitteln der politischen Justiz aus dem Prozess der politischen Willensbildung weitgehend ausgeschaltet. Bereits vor dem höchstrichterlichen Verbot war der größte Teil der politischen Arbeit der KPD, insbesondere in Bündnisorganisationen, durch Verhaftungen, Verurteilungen, Verbote und Beschlagnahmungen stark behindert. Eine große Anzahl von kommunistischen Bündnisorganisationen waren verboten, ihre Büros geschlossen, ihre Akten und Unterlagen beschlagnahmt und ihr Vermögen eingezogen.
Die Frontstellung der ersten Nachkriegsjahre gegen Faschismus, autoritären Staat und Militarismus, die noch in Art. 139 des Grundgesetzes (Entnazifizierung) einen Niederschlag gefunden hatte, wurde durch eine innerstaatliche anti-kommunistische Feinderklärung ersetzt. Bereits 1950 ordnete die damalige Bundesregierung die Entfernung der KommunistInnen aus dem öffentlichen Dienst an. Ab 1953 konzentrierte sich das Bundesamt für „Verfassungsschutz“  auf die Bekämpfung des „Linksradikalismus“. Verfassungsschutz und Politische Polizei waren offenbar in der Lage, die politische Tätigkeit der KommunistInnen weitgehend, teilweise lückenlos zu überwachen.

Das wichtigste und erfolgreichste Mittel zur Überwachung der KPD war die Einschleusung von InformantInnen. Den Staatsschutzorganen war es anscheinend bald gelungen, in allen kommunistischen Organisationen in der BRD an maßgeblichen Stellen Vertrauensleute zu gewinnen oder sie dort zu plazieren. Eine Vielzahl von gewaltlosen Formen politischer Betätigung wurden 1951 durch ein Gesinnungsstrafrecht unter Strafe gestellt. Zusätzlich zu Hoch- und Landesverrat wurden z.B. „hochverräterische Unternehmen“ als Straftatbestände eingeführt […].
Legale politische Aktivitäten (z.B. gegen die Remilitarisierung der BRD, für eine friedliche Wiedervereinigung, für ein neutrales, entmilitarisiertes Gesamtdeutschland) wurden von den Gerichten als kriminell, als ein Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der BRD bestraft, weil mit ihnen kommunistische Absichten verfolgt würden. Diese politische Verfolgung mit den Mitteln der Justiz erklärte der Bundesgerichtshof für rechtens. Denn die politischen Ziele und Mittel der Kommunisten stünden „mit dem Sittengesetz nicht in Einklang“ und würden „von der Gemeinschaft als verächtlich angesehen“. Die KommunistInnen strebten, nachdem sie die „Täuschung zum System erhoben“ hätten, was „die Angeklagten… vielleicht als ‚Dialektik‘ bezeichnen“, nach „einer die Würde des Menschen missachtenden… Gewaltherrschaft“.
Zur Bewertung des Verbotsurteils
Das KPD-Verbot durch das Bundesverfassungsgericht ist ein typisches Beispiel für politische Justiz, für die Verwendung der Justiz zu politischen Zwecken, um staatlich unerwünschte politische Ideen aus dem politischen Leben auszuschalten. Politische Justiz verfolgte Personen als kriminell, die sich völlig legal politisch oppositionell betätigen.
Die politische Justiz der als freiheitlich demokratisch bezeichneten BRD erklärte kommunistische politische Aktivitäten für kriminell und schaltete damit die KommunistInnen per Strafverfolgung und Inhaftierung weitgehend aus dem öffentlichen Willenbildungsprozess aus.
Das Verfassungsgericht verbot nun nicht nur die KPD und erklärte damit die bisherige Kriminalisierung kommunistischer Politik für verfassungsgemäß; das KPD-Verbotsurteil verschärfte sogar noch die Kriminalisierung kommunistischer Politik.

Von dem Verbot war nicht nur die KPD betroffen. Das KPD-Verbot traf alle sozialistischen und linksdemokratischen Bestrebungen, weil sie in den Verdacht gebracht werden  konnten, in der Nähe der KPD zu stehen. Linke politische Alternativen wurden so weitgehend aus dem öffentlichen politischen Bewusstsein verbannt.
Mit seinem Verbotsurteil hat das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine Errungenschaft des modernen Verfassungsstaates preisgegeben, nämlich dass Strafen nur wegen gesetzwidrigen Verhaltens, nicht aber wegen staatlich unerwünschter Gesinnung verhängt werden dürfen. Es hat die Freiheitsrechte des Grundgesetzes unter den stillschweigenden Vorbehalt gestellt, dass sie nur im Sinne einer Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, benutzt werden dürfen. Das ist ein Weniger gegenüber dem Freiheitsverständnis der konstitutionellen Monarchie, in der ein August Bebel und ein Wilhelm Liebknecht für die Befreiung der Arbeiterklasse im Wege einer revolutionären Umwälzung des Gesellschafts- und Herrschaftssystems eintreten konnten. […]

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur ein Urteil über die KPD, es ist auch ein Urteil über den Marxismus und als Urteil gegen den Marxismus so lächerlich wie US-amerikanische Gerichtsurteile über die Darwinsche Evolutionstheorie:
Laut Bundesverfassungsgericht ist die Würde des Menschen missachtet, wenn man das Verhalten und das Denken der Menschen als durch ihre Klassenlage determiniert betrachtet. Das Grundgesetz verbiete deshalb eine Klassenanalyse der ökonomischen und politisch-sozialen Machtverhältnisse. Das „Wertsystem“ der freiheitlichen Demokratie verbiete, „Lohnarbeit im Dienste privater Unternehmer als Ausbeutung zu kennzeichnen“ und die bestehende bürgerlich-kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung grundsätzlich abzulehnen. […]
Es sei unerlaubt – so das Bundesverfassungsgericht –, das Gemeinwohl mit dem proletarischen Klasseninteresse zu identifizieren. Deshalb sei eine Partei unzulässig,
die ausdrücklich und bewusst nur den Interessen einer Klasse, nämlich der Arbeiterklasse, dienen wolle.

Es sei unzulässig, denn es gefährde die „freiheitliche Demokratie“, durch „außerparlamentarische Aktionen unmittelbar und fortgesetzt Einfluss auf das Parlament“ ausüben zu wollen.
Unzulässig sei schließlich das „Bekenntnis“ einer politischen Partei zu einer politischen Theorie, die zu praktischem Handeln anleitet, falls diese politische Theorie Fernziele hat, die wesentlich über den gegenwärtigen sozial-ökonomischen Status der westdeutschen Gesellschaft hinausweisen (also: eine klassenlose, herrschaftsfreie Gesellschaft) und im Laufe der Entwicklung bestimmte gegenwärtige politische Formen – die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ – als überholt erscheinen lassen.
Dieser Teil des KPD-Verbotsurteils ist eine Diskriminierung des Marxismus als politischer Theorie der Arbeiterklasse und nichts anderes als eine nachträgliche Rechtfertigung des Sozialistengesetzes von Bismarck aus dem Jahre 1878.
Juristische Folgen des Verbots
Mit dem Verbotsurteil wurde jegliche politische Betätigung von KommunistInnen kriminell.

  • •    Mit dem Verbotsurteil war die Kriminalisierung kommunistischer Organisationsarbeit höchstrichterlich abgesegnet – als „verfassungsfeindliche Vereinigung“, als „kriminelle Vereinigung“, als „Geheimbündelei“ oder als „Fortführung einer verbotenen Vereinigung“. Die politische Justiz zerschlug nach dem KPD-Verbot systematisch die kommunistischen Organisationen, nicht nur die KPD selbst, sondern auch Vereinigungen, in denen KommunistInnen tätig waren. Nach dem KPD-Verbot wurden Tausende wegen ihrer vor dem Parteiverbot ausgeübten Arbeit in der damals legalen KPD rückwirkend bestraft. Die Tätigkeit für die KPD sei – so die Gerichte – schon immer strafbar gewesen, aber erst nach dem Verbot der Partei verfolgbar geworden. Zahlreiche Vereinigungen wurden als „Ersatzorganisationen“ der KPD strafverfolgt, weil sie „deren verfassungsfeindliche Nah-, Teil- oder Endziele ganz oder teilweise, kürzere oder längere Zeit, örtlich oder überörtlich, offen oder verhüllt weiter verfolgen oder weiter verfolgen wollen“. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Vereinigung schon vor dem Verbot bestanden hatte oder erst danach gegründet wurde. Mitglieder, die KommunistInnen waren, wurden deswegen bestraft, NichtkommunistInnen, weil sie in der Organisation mit KommunistInnen zusammenarbeiteten.

  • •    Kriminalisiert waren kommunistischen Meinungsäußerungen – nicht nur politische Reden, sondern auch Stammtischgespräche und selbst eine Trauerrede am Grab eines Kommunisten –  als „Verunglimpfungen“ und „Beleidigungen“, als „verfassungsfeindliche“ Publikationen, als „verfassungsverräterische Zersetzung“ oder als „Zuwiderhandlungen gegen das KPD-Verbotsurteil“. Strafbar waren Einzelkandidaturen  von KommunistInnen wie auch Kandidaturen in Wahlgemeinschaften zu Landtagen oder zum Bundestag. Jede kommunistische, aber auch jede nicht-kommunistische politische Kritik, sofern sie mit den tagespolischen Zielen der verbotenen KPD gedanklich übereinstimmte, war ein „Verstoß gegen das KPD-Verbot“.

  • So wurde einem nicht-kommunistischen Zeitungsherausgeber vorgeworfen, mit seiner Zeitung „durch negative Kritik an der Politik der Bundesregierung“ entweder eine Ersatzorganisation geschaffen zu haben oder die verbotene KPD unterstützt zu haben. Auch die Aufforderung in einem Flugblatt, zur Unterstützung eines Angeklagten  in einem Prozess zu erscheinen, konnte „Zersetzung“ sein. Bemühungen um Hafterleichterung und Straferlass für politische Gefangene konnte als Unterstützung der verbotenen KPD bestraft werden.
  • •    Höchstrichterlich gerechtfertigt waren mit dem KPD-Verbotsurteil die Kriminalisierung der Herstellung und Verbreitung kommunistischer Schriften, Berufsverbote gegen kommunistische JournalistInnen, die Einziehung von kommunistischer Literatur, die Kontrolle von Postsendungen aus der DDR, die Kontrolle der Einfuhr von Filmen aus der DDR und den osteuropäischen Ländern und Zeitungsverbote. Reisende, die aus der DDR Zeitungen o.ä. mitbrachten, konnten deswegen belangt werden – wegen „Verstoß gegen das KPD-Verbot“, wegen „Verunglimpfung“ oder als „Beleidigung“, als „verfassungsfeindliche Publikation“ oder als „verfassungsverräterische Zersetzung“.

  • •    Höchstrichterlich gerechtfertigt war schließlich die Kriminalisierung politischer Kontakte mit der DDR, ebenfalls als „Zuwiderhandlungen gegen das KPD-Verbotsurteil“,  „verfassungsverräterische Beziehungen“ oder als „verfassungsverräterischer Nachrichtendienst“. Da die Gerichte die SED und alle DDR-Organisationen zu „Ersatzorganisationen für die verbotene KPD“ erklärten, wurden BürgerInnen der DDR, die in die BRD kamen, und umgekehrt BürgerInnen der BRD, die in die DDR fuhren, wegen „Verstoßes gegen das KPD-Verbot“ bestraft. So war etwa das Überbringen eines Grußschreibens eines FDGB-Kongresses an einen DGB-Kongress durch zwei FDGB-Funktionäre ein strafbarer „Verstoß gegen das KPD-Verbot“. Sportkontakte von westdeutschen SportlerInnen zu DDR-Sportverbänden konnten als „Zuwiderhandeln gegen das KPD-Verbot“ und „Geheimbündelei“ ins Gefängnis führen. Einem Angeklagten wurde zum Vorwurf gemacht, dass er sowohl an einer Sportveranstaltung in Erfurt „als auch an der Besichtigung des Konzentrationslager Buchenwald teilgenommen“ habe.  „Um ihn in der gebotenen Weise erzieherisch und abschreckend zu beeindrucken und zu einem gesetzmäßigen und geordneten Verhalten anzuhalten“ – so das Gericht –, wurde er wegen „Staatsgefährdung und Geheimbündelei“ zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verurteilt.

  • •    Der „Zuwiderhandlung gegen die Auflösung“ der KPD machte sich schuldig, wer „auf irgendeine Weise (!) die gesetzwidrige Wirksamkeit der verbotenen Partei fördert“. So konnte nach dem KPD-Verbot selbst das Verteilen und Tragen roter Nelken zum 1. Mai – für die Gerichte ein Zeichen der Verbundenheit mit der KPD! – zur Bestrafung führen.

Einer der „Höhepunkte“ dieser Rechtsprechung: 1961 wurden zwei Frauen zu je einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung und mit anschließendem fünfjährigen Ehrverlust verurteilt, weil sie (und weitere Angeklagte) preiswerte Ferien in der DDR für sozial benachteiligte Kinder mit preisverbilligten Sonderzügen der Bundesbahn organisiert hatten. Das Gericht sah in der Organisierung dieser Fahrten „Wühlarbeit“ in einer kommunistischen „Tarnorganisation“, einen „Verstoß gegen das KPD-Verbot“, „landesverräterische Beziehungen, „staatsgefährdenden Nachrichtendienst“ und „Rädelsführerschaft
bei der Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation“. Nach der Inhaftierung der zwei Frauen wurden deren Ehemänner angeklagt – wegen „Geheimbündelei“ und „Verstoß gegen das KPD-Verbot“. Sie hatten ein Rundschreiben über den Haftantritt ihrer Ehefrauen herausgegeben, in dem sie das Urteil und die Höhe der Strafe mit Gerichtsurteilen gegen NS-Gewaltverbrecher verglichen. […]
Faktisches (nicht: rechtliches) Ende des KPD-Verbots
Rechtlich ist die KPD auch heute immer noch verboten. Aber 1968 wurde – im Gefolge der Abschwächung des Kalten Kriegs und der beginnenden Normalisierung der Beziehungen der BRD zur DDR durch die „neue Ostpolitik“ der SPD – die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) staatlich geduldet. Damit endete 1968 faktisch das KPD-Verbot. Was nicht endete, wie immer wieder zu erleben ist, ist die politische Justiz gegen links (Radikalen-Erlass, „Terrorismusbekämpfung“ usw.).

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