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40 Jahre LIP – „Unbewusste“ Selbstverwaltung 1

Von Jean-François Cabral / MiWe | 22.11.2013

LIP: „Es ist möglich: Wir produzieren, wir verkaufen, wir bezahlen uns!“

Im April 1973 meldete die größte Uhrenfabrik Frankreichs mit Sitz in Besançon Konkurs an. Am 29. September demonstrierten 100.000 Menschen in der Stadt, die selbst nur 120.000 EinwohnerInnen hat. Nachdem der Versuch fehlgeschlagen war, die Führungsetage festzusetzen, und gewaltsame Räumungen durch die Polizei erfolgt waren, beschlossen die Beschäftigten, die Uhren und Maschinen zu beschlagnahmen.

LIP: „Es ist möglich: Wir produzieren, wir verkaufen, wir bezahlen uns!“

Im April 1973 meldete die größte Uhrenfabrik Frankreichs mit Sitz in Besançon Konkurs an. Am 29. September demonstrierten 100.000 Menschen in der Stadt, die selbst nur 120.000 EinwohnerInnen hat. Nachdem der Versuch fehlgeschlagen war, die Führungsetage festzusetzen, und gewaltsame Räumungen durch die Polizei erfolgt waren, beschlossen die Beschäftigten, die Uhren und Maschinen zu beschlagnahmen.

Damit wurde die Produktion unter Selbstverwaltung eingeläutet – ein Experiment, das mehrere Monate andauerte. Unterdessen war das betriebliche Aktionskomitee, dem u. a. Charles Piaget angehörte, auf der Suche nach einem Übernahmeinteressenten. Hinter den Kulissen agierten Jaques Chérèque, Vorsitzender des Metallerverbandes der CFDT (und späterer Staatssekretär im Industrieministerium unter Rocard) und Michel Rocard, damals Vorsitzender der (linkssozialistischen) PSU (der später der PS beitrat und 1988-1991 Premierminister einer Mitte-Rechts-Regierung wurde). Mit Claude Neuschwander wurde ein „linker“ Unternehmer gefunden, der mit Unterstützung von Antoine Riboud, dem damaligen Vorstandschef der Glaswerke BSN (aus denen später der Danone-Konzern hervorging), das Werk übernahm.

Im März 1974 wurde die Produktion wieder aufgenommen, litt aber unter ständigen Einmischungen seitens der neuen Regierung, der das Experiment ein Dorn im Auge war. Als Neuschwander 1976 aufgab, flammte der Kampf wieder auf und führte (nach der endgültigen Zerschlagung des Unternehmens) zur Gründung mehrerer Kooperativen (auf dem Werksgelände) im November 1977 (die später jedoch geräumt werden mussten).

Der Regisseur und damaliges PSU-Mitglied Christian Rouaud, der 2007 den Film „LIP oder die Macht der Phantasie“ drehte, lieferte in einem Interview mit Le Monde libertaire seine Sicht der Ereignisse: „Die ArbeiterInnen von LIP hatten überhaupt nicht die Absicht, das Unternehmen in Eigenregie zu übernehmen. Dies ist eines der großen Missverständnisse um diesen Konflikt, der bei vielen Menschen automatisch mit „Selbstverwaltung“ in eins gesetzt wird. In Wahrheit haben sie den Kampf autonom geführt und eine Art Gegengesellschaft mit einer direkten Demokratie innerhalb der besetzten Fabrik errichtet, die auf autonomen Kommissionen basierte, die ihrerseits unter permanenter Kontrolle der Vollversammlung der ArbeiterInnen stand.

Bei der Beschlagnahmung der Uhren und dem Wiederanfahren der Produktion ging es lediglich darum, das eigene Überleben während des Kampfes zu sichern, bis ein Übernahmeinteressent gefunden war. Natürlich gab es welche, besonders aus den Reihen der PSU, die sie in die Richtung einer Arbeiterkooperative (SCOP) drängen wollten, um das Experiment konkret umzusetzen. Aber die allgemeine Sicht war eine andere, nämlich eine Lösung im offiziellen Rahmen zu finden, um die Produktion wieder anzufahren und Schließungen und Entlassungen zu verhindern.

Dafür brauchten sie einen Unternehmer, der dazu bereit und fähig war, die Überlebensfähigkeit von LIP unter Beweis zu stellen. Diesen Kampf haben sie gewonnen und davon erzählt der Film. Als das Unternehmen später erneut in Konkurs ging, haben sie wieder den Bestand an Uhren übernommen und sie verkauft.

Und erst, als völlig offensichtlich war, dass sich kein Nachfolger mehr finden würde, haben sie sich zur Gründung von Kooperativen entschlossen, aber nur, um die eigene Existenz zu sichern.“

Jean-François Cabral ist Leitungsmitglied der NPA.
Übersetzung und Bearbeitung: MiWe

Quelle: Inprekorr 3/2013

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