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11. Internationale Revolution und Konterrevolution

01.06.1985

Solange der Imperialismus zumindest in bedeutenden Ländern und zweifellos in den Vereinigten Staaten weiter besteht, wird er stets versuchen, jegliche neue Ausdehnung der sozialistischen Weltrevolution mittels wirtschaftlichem Druck und militärischer Stärke zu verhindern. Ebenso wird er sich unablässig bemühen, zunächst einige und zunehmend sämtliche Gebiete zurückzuerobern, die für die direkte Ausbeutung durch das Kapital verloren sind. Eine solche Restauration ist auf schrittweisem, friedlichem Wege nicht möglich, ebenso wie der Kapitalismus nicht friedlich und schrittweise gestürzt werden kann.

Daraus folgt, dass sich jeder ArbeiterInnenstaat, der aus einer siegreichen sozialistischen Revolution hervorgegangen ist, und jede Gruppe von Arbeiterstaaten unabhängig vom sie kennzeichnenden Grad an Bürokratisierung oder sozialistischer Demokratie im Zustand eines Waffenstillstands mit dem internationalen Kapital befinden, der unter bestimmten Bedingungen in einen offenen Krieg münden kann. Eine der Hauptverantwortlichkeiten der Diktatur des Proletariats besteht also darin, die materiellen wie menschlichen Bedingungen ihrer permanenten militärischen Selbstverteidigungsfähigkeit zu erhalten und auszubauen, um sich gegebenenfalls einer derartigen Aufgabe stellen zu können.

Wir lehnen die Vorstellung ab, dass ein nuklearer Weltkrieg unvermeidlich sei. Ebenso lehnen wir aber auch die Vorstellung ab, Propaganda, Agitation und die Organisierung der Werktätigen in den kapitalistischen Ländern würden schon ausreichen, um imperialistische Angriffskriege gegen neue und frühere Revolutionen zu verhindern. Solange die ArbeiterInnenklasse der wichtigsten kapitalistischen Länder nicht tatsächlich die Herrschaft des Kapitals gestürzt hat, wird die Gefahr konterrevolutionärer Kriege bestehen bleiben. Das Proletariat, das sich im anderen Teil der Welt an der Macht befindet, muss sich auf diese Gefahr vorbereiten, so wie es bereit sein muss, den aufständischen Massen anderer Länder in ihrem Zusammenstoß mit der bewaffneten Intervention der nationalen und internationalen Konterrevolution zu Hilfe zu kommen.

Die Notwendigkeit, sich militärisch auf imperialistische Angriffskriege vorzubereiten, bedeutet für die Arbeiterstaaten, dass sie materielle Ressourcen, die ansonsten dazu dienen könnten, die Entwicklung in Richtung Sozialismus zu beschleunigen, in die Waffenproduktion umleiten müssen. Dies ist ein Grund mehr, die reaktionäre Utopie abzulehnen, der Sozialismus könne in einem Land oder in einigen wenigen Ländern aufgebaut werden.

ArbeiterInnen- und Volksmilizen, das Volk in Waffen, bilden die Grundlage für die Selbstverteidigung des ArbeiterInnenstaates. Dafür ist aber auch die Aufrechterhaltung einer Armee nötig, die auf den Umgang mit hoch komplizierten Waffen spezialisiert ist. Diese ArbeiterInnenarmee wird eine Armee neuen Typs sein, in der sich die neue Klassenbasis widerspiegelt. Sie wird, ähnlich wie die Rote Armee zu Beginn der Sowjetrepublik, die Offizierskaste abschaffen, sie durch SoldatInnenräte und demokratisch gewählte KommandantInnen ersetzen und ein ausgewogenes Verhältnis zu den Milizen herstellen. Im Allgemeinen lässt sich sagen: “Das Verhältnis zwischen Kasernen- und Miliztruppen ist kein so schlechtes Merkmal des tatsächlichen Vordringens zum Sozialismus.” (L. Trotzki: Verratene Revolution, a.a.O., S. 212)

Das bedeutet jedoch noch nicht, dass der äußere Druck des Imperialismus auf die Arbeiterstaaten zwangsläufig zur bürokratischen Degeneration oder ernstlichen Einschränkungen der sozialistischen Demokratie führen muss.

Erstens war der Aufstieg und Sieg der stalinistischen Bürokratie keine direkte, automatische Folge der kapitalistischen Einkreisung der UdSSR. Sie ergaben sich aus einer Kombination verschiedener Faktoren: der relativen Rückständigkeit Russlands; der relativen Schwäche des russischen Proletariats; den ersten Niederlagen der Weltrevolution; der sich hieraus ergebenden kapitalistischen Einkreisung; der fehlenden politischen Vorbereitung der proletarischen Vorhut auf das Problem der Bürokratie; den Nachwirkungen des schrittweisen Machtzuwachses der Bürokratie auf die Ergebnisse der wiederholten Wellen revolutionärer Kämpfe in der Welt; dem Fehlen einer alternativen revolutionären Führung des Proletariats außerhalb der vom Kreml kontrollierten kommunistischen Parteien. All diese Faktoren wurden noch verschärft durch die Folgen der mehrfachen Niederlagen der Weltrevolution. Dass sich eine derartige Kombination aus Faktoren ein zweites Mal wiederholt, ist insbesondere im Falle neuer siegreicher sozialistischer Revolutionen in industriell weit fortgeschritteneren Länder, als dies Russland 1917 oder China 1949 war, ausgesprochen unwahrscheinlich.

Heute weist Russland im Vergleich zum internationalen Kapitalismus bereits einen wesentlich geringeren Grad an Rückständigkeit auf und die objektive Stärke des sowjetischen Proletariats ist unvergleichlich größer als 1923 oder 1927. Würde sich die relative Macht der gegenwärtigen Arbeiterstaaten verbinden mit siegreichen sozialistischen Revolutionen in Westeuropa, in Japan oder in den wichtigsten Ländern Lateinamerikas, von den Vereinigten Staaten ganz zu schweigen, so würde sich das Kräfteverhältnisse gegenüber dem internationalen Kapitalismus für diesen erneut so dramatisch verschlechtern, dass der Druck des kapitalistischen Umfelds und die Notwendigkeit, eine starke Bewaffnung und Armee aufrecht zu erhalten, als objektive Ursachen für ernsthafte Einschränkungen der sozialistischen Demokratie wegfielen.

Zudem schafft zwar das vorläufige Fortbestehen mächtiger imperialistischer Staaten und reicher bürgerlicher Klassen in der Welt eine Situation mehr oder minder permanenter potentieller Konfrontation. Die offenkundige Notwendigkeit, dass sich der ArbeiterInnenstaat gegen die Drohung auswärtiger imperialistischer Intervention schützt, bedeutet jedoch keineswegs, dass ein potentieller Krieg mit einem tatsächlich stattfindenden Krieg gleichgesetzt werden kann, wie dies von Seiten der StalinistInnen und der bürokratischen Kräfte jeglicher Schattierung fortwährend geschehen ist, um die Erstickung der ArbeiterInnendemokratie in den Ländern zu rechtfertigen, die von einer parasitären Bürokratie beherrscht werden.

Im Übrigen ist das Hauptproblem, das sich heute in der UdSSR, in der VR China und in den osteuropäischen Arbeiterstaaten stellt, nicht die Gefahr einer kapitalistischen Restauration unter Bedingungen des Kriegs oder des Bürgerkriegs. Das Hauptproblem, mit dem die ArbeiterInnenklasse dieser Länder konfrontiert ist, ist die diktatorische Kontrolle des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens durch eine privilegierte bürokratische Kaste. Die enormen Missbräuche, zu denen diese Kontrolle geführt hat, haben die Identifikation der Massen dieser Länder mit den beste
henden Staaten tief untergraben, was auf Dauer deren Fähigkeit schwächt, einen möglichen zukünftigen Angriff der imperialistischer Armeen siegreich zurückschlagen zu können. Umso notwendiger ist es, die demokratischen Rechte aller gegen die von der Bürokratie auferlegten Einschränkungen zu verteidigen und für die politische Revolution zu kämpfen. Diese Prozesse würden die Fähigkeit der Arbeiterstaaten, sich jeglicher imperialistischen Aggression zu widersetzen, keineswegs schwächen, sondern im Gegenteil stärken \96 ganz zu schweigen von der Fähigkeit, den Prozess der Weltrevolution aktiv zu unterstützen.

Schließlich müsste diese ganze Argumentation auf die Füße gestellt werden. Wir bestreiten, dass die Einschränkungen der sozialistischen Demokratie \96 und erst recht die bürokratische Diktatur \96 ein Preis sind, der notwendigerweise zu bezahlen ist, um siegreiche Revolutionen und die internationale Ausdehnung der Revolution gegenüber der militärischen Macht des Imperialismus zu verteidigen. Wir erklären im Gegenteil, dass diese Einschränkungen die Diktatur des Proletariats gegenüber dem Imperialismus politisch und militärisch schwächen.

Ein hoher Grad an politischem Bewusstsein und sozialistischer Überzeugung der werktätigen Massen, deren hohes Niveau an politischer Betätigung, Mobilisierung und Wachsamkeit sowie die internationalistische Schulung und Praxis des Proletariats tragen dazu bei, die Selbstverteidigungsfähigkeit und die militärische Stärke eines ArbeiterInnenstaats generell zu verbessern.

Die Geschichte hat gezeigt, dass für die erhöhte Verteidigungsfähigkeit eines gegebenen Staates letztlich zwei Faktoren entscheidend sind: ein höherer Grad an sozialem und politischem Zusammenhalt und Identifikation der Masse der Bevölkerung mit diesem Staat sowie eine höhere durchschnittliche Arbeitsproduktivität und Produktionskapazität. Je umfassender und je weniger eingeschränkt die sozialistische Demokratie ist, desto stärker identifiziert sich die große Mehrheit des Volks mit dem ArbeiterInnenstaat und desto schneller wird auch die Arbeitsproduktivität einschließlich der Möglichkeit von technologischen Durchbrüchen gegenüber dem Imperialismus zunehmen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die sozialistische Demokratie in einer internationalen Lage, die gekennzeichnet ist von den potentiellen Angriffskriegen des Imperialismus gegen die Arbeiterstaaten oder gegen stattfindende sozialistische Revolutionen, beileibe kein “Luxus”, sondern selbst auf rein militärischen Gebiet eine bedeutende Waffe in der Hand des ArbeiterInnenstaats.

Dies gilt, wie bereits gesagt unter defensiven Gesichtspunkten und mehr noch unter offensiven. Der Imperialismus kann sich nicht auf militärische Abenteuer gegen frühere oder laufende Revolutionen einlassen, ohne eine massive Opposition innerhalb seiner eigenen Festungen auf den Plan zu rufen. Er wird gezwungen sein, zunehmend auf Repression und auf Einschränkungen der demokratischen Freiheiten der Massen zurückzugreifen, um diese Opposition zu schwächen. Ein hoher Grad an sozialistischer Demokratie in den Arbeiterstaaten würde von daher auf die unterdrückten Massen in den kapitalistischen Staaten eine größere Anziehungskraft ausüben, wodurch die militärische Stärke des Imperialismus untergraben und die Chancen zur Ausdehnung der Revolution verbessert würden.

Die militärischen Vorbereitungen der Arbeiterstaaten gegenüber der Gefahr imperialistischer Angriffe müssen besondere Maßnahmen gegen Spionage, aus dem Ausland geschickte Saboteure und andere gegen die ArbeiterInnen gerichtete Formen militärischer Aktivität einschließen, die über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinweg andauern könnten. Die Notwendigkeit besonderer technischer Maßnahmen zur Selbstverteidigung des ArbeiterInnenstaates darf jedoch auf keinen Fall zur Einschränkung der sozialistischen Demokratie führen, indem BürgerInnen, die ihr Recht auf Kritik und Opposition ausüben, der Spionage oder Sabotage bezichtigt werden. Je höher der Grad an Aktivität, Wachsamkeit und sozialem Zusammenhalt der werktätigen Massen, was nur durch die Entfaltung der sozialistischen Demokratie erreicht werden kann, desto schwieriger wird es in der Tat für wirkliche Spione oder Saboteure sein, in einem entschieden feindlichen Milieu zu operieren, und desto besser wird der ArbeiterInnenstaat in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen.

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