Kein Politikwechsel. Nirgends.

Die Linke schafft mediale Aufmerksamkeit für soziale Themen. Hier steht Sahra Wagenknecht auf dem Podium des 3. Bundesparteitages.Sahra Wagenknecht steht auf einer Bühne. Vor ihr Unmengen an Reportern und Fotografinnen. Foto: DIE LINKE, CC BY-ND 2.0

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10 Jahre Partei Die.Linke

Kein Politikwechsel. Nirgends.

Von Edith Bartelmus-Scholich | 16.06.2017

Gerhard Schröder darf sich das Etikett anheften, der letzte Weichensteller bundesdeutscher Politik gewesen zu sein. Die von ihm geführte Bundesregierung aus SPD und Grünen setzte mit der Agenda 2010 EU-weit konzipierte und vereinbarte, neoliberale Großprojekte um, die in der Ära Kohl noch am gesellschaftlichen Widerstand gescheitert wären. An erster Stelle zu nennen, weil sowohl wirtschaftlich, als auch gesellschaftlich und politisch folgenreich, ist hier die Umstellung der Arbeitsmarktpolitik auf das Prinzip des ‚Förderns und Forderns‘ und die daraus resultierende Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Einführung von ALG II, im Zuge der sogenannten ‚Hartz-Reformen‘.

Millionen Arbeitssuchende und ihre Familien wurden am 1. Januar 2005 um ihre Ansprüche auf Arbeit entsprechend ihrer Qualifikationen und um den Rest sozialer Sicherheit, den die Arbeitslosenhilfe noch bot, gebracht. Sie fanden sich mit Hungerregelsätzen in der Armut wieder, wurden von der Behörde sanktioniert und schikaniert. Mit dem Zwang jede Tätigkeit anzunehmen wurden nicht nur die Arbeitssuchenden entrechtet, sondern auch der Ausbau des Niedriglohnsektors massiv befördert. Heute ist jeder vierte Arbeitnehmer zu Niedriglöhnen beschäftigt. Die Veränderungen der Arbeitsmarktpolitik schwächten die Verhandlungsposition auch von Arbeitnehmern im Betrieb. So sind in den Jahren nach 2005 auch die Löhne und Gehälter der „Normalverdiener“ auf breiter Front gesunken. Unmittelbare Folge der Politik von SPD und Grünen ist die bis heute ansteigende Armutsquote: Anfang 2017 waren laut Paritätischen Wohlfahrtsverband 15,7% der Bevölkerung in Deutschland, d.h. 12,7 Millionen Menschen arm. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar.

Die Regierung Schröder / Fischer legte den Grundstein für Rekordprofite des deutschen Kapitals – auch durch die Senkung der Steuern für Unternehmen und Gutverdienende – aber sie rief auch eine Widerstandsbewegung auf den Plan – und sie ruinierte die SPD. Die Sozialdemokratische Partei verlor ungefähr die Hälfte ihrer Mitglieder, Millionen Wählerinnen und Wähler.

Der Weg zur Partei DIE LINKE.

Seit Ende 2003 begann sich Widerstand gegen die Agenda 2010 zu formieren. Die Bewegung speiste sich aus unterschiedlichen Quellen. Neben aus der SPD Ausgetretenen, aktiven Gewerkschaftern, Bewegungsaktiven und radikalen Linken, fanden sich 2004 tausende direkt von Hartz IV Betroffene in den zahlreichen Gruppen wieder, die auf zwei Initiativen zum Aufbau einer Wahlalternative, zusammenkamen. Die Gründung der WASG im Januar 2005 war ein dynamischer politischer Prozess,  der zu Hoffnungen Anlass gab, wenngleich die unterschiedlichen Parteiaufbaukonzepte der Beteiligten, überspitzt formuliert als gewerkschaftsnahe ‚Neue Sozialdemokratie‘ oder als radikale Bewegungspartei, sich als schwierig erwiesen. Der Achtungserfolg der gerade gegründeten Partei (2,2% der Stimmen bei der Landtagswahl in NRW) und der Verlust der SPD-geführten Landesregierung ließen Schröder offenbar zu den Überzeugung kommen, dass der WASG keine Zeit gewährt werden sollte sich bis zur regulären Bundestagswahl 2006 aufzubauen. Noch am Abend der NRW-Landtagswahl kündigte er die Vorverlegung der Bundestagswahl auf 2005 an.

Dieser Abend im Mai 2005 war die Weichenstellung zur Partei DIE LINKE. Die Führung der jungen WASG wusste, dass Parteiaufbau und Einzug in den Bundestag gleichzeitig nicht zu stemmen waren. Gleichzeitig konnte die seit 2002 nur noch mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertretene PDS keine linke Konkurrenz gebrauchen, mit der sie die Wählerstimmen teilen musste.

Während die Protestbewegung gegen die Agenda 2010 im Sommer 2005 bereits zurückging, einigten sich die Spitzen von PDS und WASG auf Kandidaturen von WASG – Mitgliedern auf den Listen der PDS zur Bundestagswahl. Die PDS änderte ihren Namen in Linkspartei.PDS. Die gemeinsame Kandidatur zur Bundestagswahl war sinnvoll, denn bei abflauender Bewegung, setzte sie ein Zeichen der Hoffnung gegen die neoliberale Politik. Dass sie zustande kam und erfolgreich verlief, ist auch ein Verdienst von Oskar Lafontaine, der sich als Spitzenkandidat für die Landesliste NRW zur Verfügung stellte.

Bei den Verhandlungen zwischen WASG und Linkspartei.PDS erwies sich die letztere mit ihrem Apparat als hochüberlegen.

Mit dem Einzug von WASG-Spitzenpersonal in den Bundestag war fast zwei Jahre vor der Gründung der DIE LINKE. klar, dass es eine neue, fusionierte Linkspartei geben würde. Der Aufbau der WASG veränderte sich. In die junge Partei strömten nun viele, die bereits Mitglied der Linkspartei.PDS waren um Einfluss zu nehmen, zudem fanden sich Neumitglieder ein, die mit der Gründung einer gesamtdeutschen Parlamentspartei eigene Ambitionen verbanden. Der Weg zu Gründung einer Bewegungspartei war damit verstellt.

Bei den Verhandlungen zwischen WASG und Linkspartei.PDS erwies sich die letztere mit ihrem Apparat als hochüberlegen. Die WASG konnte nur wenige statuarische Bestimmungen, wie z.B. die Begrenzung des Anteils von MandatsträgerInnen in Vorständen, durchsetzen, die der Partei einen neuen und demokratischeren Charakter verleihen sollten. Da zudem die WASG der Linkspartei.PDS beitrat, kann das Erreichte als PDS-Plus eingeordnet werden.

Schon während der Verhandlungen zwischen WASG und Linkspartei.PDS zu den programmatischen Eckpunkten war klar, dass die fusionierte Partei weiter der Strategie der PDS folgen würde. Damit war zu erwarten, dass in der Praxis Widerstand und antikapitalistische Perspektive wie in der PDS der Mitgestaltung untergeordnet werden würden. An Stelle einer klaren Aussage, dass sich die neue linke Partei nicht an Regierungen beteiligen werde, die Sozialabbau betreiben, hieß es, dass sie in Regierungen „Sozialabbau nach Kräften verhindern” werde. Zwar erfolgte ein Bekenntnis zu öffentlicher Daseinsvorsorge, aber es fehlte eine eindeutige Absage an Privatisierungen. Stattdessen sollten die Betriebe der öffentlichen Daseinsvorsorge effizient, also der Profitlogik unterworfen, arbeiten. Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland unter dem Mandat der UN wurden nur „im Wesentlichen verneint” und Militärinterventionen bei Konflikten in den programmatischen Eckpunkten nur „oft als Teil des Problems” benannt.

Diese Verhandlungsergebnisse und die bereits gemachten Erfahrungen mit der in der Mehrzahl autoritären Führung der Partei, veranlasste ungefähr zwei Drittel der WASG-Mitglieder die Partei im Zuge der Fusion zu verlassen.

Eine neue soziale Idee?

Vor und nach der Gründung der Partei DIE LINKE. war den Mitgliedern, Sympathisanten und Wählern immer wieder versprochen worden, dass die Partei einer neuen sozialen Idee zum Durchbruch verhelfen werde. Allerdings war und ist diese neue soziale Idee in Programmatik und Praxis der Partei höchstens in kleinsten Ansätzen zu entdecken. Im Laufe der einige Jahre nach der Parteigründung erfolgten Programmdebatte zeigte sich, dass neue Ideen, wie das Bedingungslose Grundeinkommen, Infrastruktursozialismus, Ökosozialismus u. ä. zwar Teile der Parteibasis bewegen, aber nicht die Mehrheit.

An Stelle einer neuen sozialen Idee versucht die Partei den Linkskeynseanismus in das 21. Jahrhundert zu retten. Ihre sozialpolitischen Vorschläge ob 12 Euro Mindestlohn, 1050 Euro Mindestrente oder 1050 Euro sanktionsfreie Mindestsicherung statt ALG II, verbleiben alle im marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen. Sie negiert nur die neoliberale Ausprägung der Marktwirtschaft. Dabei ist besonders peinlich, dass mit Sahra Wagenknecht eine führende Politikerin der LINKEN inzwischen unter völliger Verkennung des Ordoliberalismus als Verehrerin von Ludwig Ehrhard auftritt.

In den Bundesländern, in denen DIE LINKE. mitregiert, zeigt sie regelmäßig, dass sie sich als bloße bessere Verwalterin der kapitalistischen Missstände auffasst.

Aber auch die kleinen Ansätze einer neuen sozialen Idee werden in der politischen Praxis der Partei DIE LINKE. ausgehebelt. Mehrere Male hat die Bundestagsfraktion sich gegen die demokratisch vom Parteitag beschlossene sanktionsfreie Mindestsicherung gestellt und z.B. die Erhöhung von ALG II um lächerliche Beträge als politisches Ziel benannt. In den Bundesländern, in denen DIE LINKE. mitregiert, zeigt sie regelmäßig, dass sie sich als bloße bessere Verwalterin der kapitalistischen Missstände auffasst. Dabei modifiziert sie neoliberale Politikkonzepte und setzt die Interessen des Kapitals auch gegen die der Beschäftigten und Erwerbslosen durch. Da eine Aufzählung hier den Rahmen sprengen würde, sei nur an das jüngste Beispiel erinnert: Bei der Abstimmung im Bundesrat stimmten alle drei Landesregierungen, an denen DIE LINKE. beteiligt ist, einer Privatisierung der Bundesautobahnen zu, obwohl im Parteiprogramm Privatisierungen der öffentlichen Infrastruktur abgelehnt werden.

Die neue soziale Idee sollte die Massen ergreifen und damit der Linkspartei die Hegemonie im gesellschaftlichen Diskurs bescheren. Dies ist ganz offenbar nicht geschehen, auch nach der Finanzkrise von 2008 mit ihrer noch heute spürbaren Erschütterung des Kapitalismus beherrscht DIE LINKE. die Debatten nicht. Sie hat nur wenig Boden gut machen können, weil sie nichts mitzuteilen hat, was die Verhältnisse zum Tanzen bringen und damit die Hoffnung auf Veränderung nähren könnte. Ihre oft in den Medien präsenten VertreterInnen ähneln in Ansatz und Auftritt denen der bürgerlichen Parteien.

Gescheiterter Parteiaufbau

Vor der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS erwarteten die Führungsspitzen einen schnellen Zustrom von mehr als 50000 Mitgliedern vor allem in den alten Bundesländern. Namentlich war diese Hoffnung mit Oskar Lafontaine verbunden, dem zugetraut wurde viele ehemalige Mitglieder der SPD anzuziehen. Tatsächlich zerschlugen sich diese Hoffnungen schnell. Gaben die Quellparteien  2007 ca. 72000 Mitglieder an, so hat DIE LINKE. heute, 10 Jahre später, nur noch ca. 57000 Mitglieder. Direkt nach der Fusion zeigte sich zunächst, dass tausende WASG-Mitglieder die Partei verließen (in der WASG hatten nur 49,8 % der Mitglieder an der Urabstimmung teilgenommen), gleichzeitig stellte sich heraus, dass es einige tausend Doppelmitgliedschaften gab. Der Zustrom von Neumitgliedern nahm sich dagegen bescheiden aus. Viele neue Mitglieder verließen die Partei zudem nach einiger Zeit wieder.

Insgesamt änderte sich die Zusammensetzung der Parteibasis grundlegend. Waren in der WASG fast nur aktive Mitglieder, so sind heute in der Linkspartei aktive Mitglieder in der starken Unterzahl. Rund 90% der Mitglieder der Partei sind inaktiv. Diese inaktive Parteibasis prägt den Charakter der Partei, denn sie gestattet Fehlentwicklungen.

Die überwiegend inaktive Basis hat auch in den alten Bundesländern den raschen Umbau der Partei in eine Funktionärspartei befördert. Bestimmend sind heute – gut sichtbar auf Parteitagen – in der gesamten Partei Mandats- und FunktionsträgerInnen sowie hauptamtlich Beschäftigte. Selbst in den Flächenländern, in denen die Partei nicht im Landtag vertreten ist, leben sehr viele der aktiven Mitglieder von der Politik. Die Handlungstendenz der meisten Mitglieder dieser Gruppe ist bestandswahrend, sie haben Zeit und weitere Ressourcen um ihre Auffassungen in der Partei hegemonial werden zu lassen. Ihre Projekte und Träume z.B. von ‚rot-rot-grünen‘ Regierungen stehen nicht selten in einem starken Gegensatz zu dem nachhaltigen Aufbau einer glaubwürdigen linken Partei.

Die Konzentration auf den Parlamentarismus und die Nutzung seiner Gegebenheiten korrespondieren mit dem Umbau zur Funktionärspartei, wie er in der Linkspartei in kurzer Zeit erfolgt ist. Vielerorts verwenden die wenigen aktiven Mitglieder der Partei ihre Zeit und Kraft ausschließlich in kommunalpolitischen Gremien. Sie erreichen dort wenig und fehlen an Stellen an denen sie bei beständiger Arbeit mehr erreichen könnten.

Agenda 2010 wirkt

Zum Ausgangspunkt zurückkommend, möchte ich die Perspektive eines Menschen einnehmen, der 2005 Erfahrungen mit Hartz IV machen musste und die Botschaft der Linkspartei gehört hat. Hat er/ sie keine Arbeit gefunden, so hat sich für diesen Menschen nichts verbessert. Ganz im Gegenteil: Der Regelsatz wurde mehrfach künstlich nach unten korrigiert, die Sanktionspraxis immer wieder verschärft. Hat er/sie Arbeit gefunden, vielleicht im Niedriglohnsektor, so reicht auch der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro kaum zum Leben. Hat er/ sie viel Glück gehabt und doch noch eine reguläre Arbeitsstelle erobert, drückt Leistungsverdichtung und Angst vor erneuter Erwerbslosigkeit auf die Lebensfreude. Die Partei DIE LINKE. konnte in allen diesen Fällen keine wesentliche Verbesserung der Lebensverhältnisse erreichen. Nicht links wirkt, sondern Agenda 2010.

Die politischen Erfolge der Partei DIE LINKE. und aller ihrer ParlamentarierInnen in 10 Jahren lassen sich an zwei Händen abzählen, wenn man als Maßstab nimmt, ob sie sich auf das Leben derjenigen auswirken, die die Partei parlamentarisch vertreten möchte. Dazu zählen neben dem unzureichenden Mindestlohn, an dessen Einführung DIE LINKE. Anteil hatte, u.a. die Abschaffung der Studiengebühren in NRW und die dortige Einführung eines Tariftreuegesetzes für den öffentlichen Dienst in der kurzen Phase als die Linksfraktion die Regierung Kraft / Löhrmann tolerierte.

Dem stehen entgegen, mindestens ebenso viele Maßnahmen und Gesetze von Landesregierungen unter Beteiligung der Linkspartei, mit denen neoliberale Politik zu Lasten von ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen durchgesetzt wurde. Beispielhaft seien hier nur die „Abschmelzprozesse“ im öffentlichen Dienst der fraglichen Bundesländer genannt.

Lediglich diejenigen, die seit 2005 MandatsträgerInnen und hauptamtlich Beschäftigte geworden sind, haben durch die Partei DIE LINKE eine positive Veränderung ihrer Lebensumstände erfahren. Sie erleben einen Bedeutungszuwachs und soziale Sicherheit. Ihre Wählerinnen und Wähler warten darauf noch.

*Die Autorin war von Herbst 2004 bis zur Fusion der WASG mit der Linkspartei.PDS Mitglied im Landesvorstand der WASG NRW und dort an den Verhandlungen zur Parteienfusion beteiligt. Texte aus dieser Zeit sind unter https://kritischelinke.wordpress.com/ zu finden. Die Autorin verließ die WASG am Tag der Fusion. Seit Herbst 2007 fungiert sie als Herausgeberin der Onlinezeitung www.scharf-links.de. Von 2010 bis 2013 war sie in ihrer Eigenschaft als Mitglied der BAG und LAG Grundeinkommen Delegierte Nichtparteimitglied auf dem Landesparteitag DIE LINKE. NRW

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