Ein schneller Tarifabschluss ist möglich, wenn Gesamtmetall geschickt genug vorgeht und nicht in die Provokationstaktik der 90er Jahre zurückfällt. Die Gewerkschaftsbürokratie ist jedenfalls zu den übelsten Kompromissen bereit.
Selten in den vergangenen 30 Jahren hat sich Gesamtmetall (und in dessen Kielwasser die Gesamtheit der Kapitalvertreter) so im Aufwind gefühlt wie seit dem letzten Sommer. Die empfindliche Niederlage, die das Kapital der IGM im Kampf um die 35-Stundenwoche zugefügt hat, scheint die Vertreter von Gesamtmetall übermütig werden zu lassen. Nicht anders ist die Tatsache zu werten, dass sie sich mit ihrer Forderung nach einer Ausdehnung der Arbeitszeit so weit aus dem Fenster gelehnt haben.
Forderungen von Gesamtmetall
Dass Gesamtmetall mit "eigenen Forderungen" in Metalltarifverhandlungen geht ist nicht neu. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre fuhr der Verband der Metallkapitalisten diese Linie wiederholt und forderte damals die Kürzung des Weihnachtsgeldes oder Urlaubsgeldes. In der Tarifrunde 1996 wollte man die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sofort und auf breiter Front auf 80% drücken. Das ging damals gründlich in die Hosen, denn diese Forderungen sorgten überhaupt erst für eine halbwegs erfolgreiche Mobilisierung unter den KollegInnen, obwohl die Gewerkschaftsführung auch damals mit einer Linie des Ausverkaufs in die Tarifrunde gestartet war.
Jetzt könnte sich Vergleichbares wiederholen. Südwestmetall unterbreitete am 23.1.04 in Böblingen ein "Angebot", das es in sich hat: zweimal 1,4% bei einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten, unter der Bedingung, dass die Arbeitszeit betrieblich verlängert werden kann, gegebenenfalls auch ohne Bezahlung.1
Dreifache Provokation
Zunächst ist die "angebotene Lohnerhöhung" noch nicht einmal geeignet, den Kaufkraftverlust des vergangenen Jahres auszugleichen, von der Teilhabe an der gestiegenen Produktivität oder einer Umverteilungskomponente ganz zu schweigen. Bezieht man die Kosten der Reformpolitik mit ein, reicht schließlich schon nicht einmal die offizielle 4%-Forderung der IG Metall aus, um unsren Lebensstandard zu bewahren.
Zum Zweiten bietet es keine Perspektive, die Verpflichtungen aus den ausgehandelten Abkommen für einen gemeinsamen Entgeltrahmen für Arbeiter und Angestellte (ERA) zu erfüllen.
Drittens haben wir’s in gewisser Weise inzwischen "amtlich", dass eine Arbeitszeitverlängerung Arbeitsplätze vernichtet. Würde die Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich verlängert, wäre dies eine Senkung des Stundenlohns von 14,3%. Der Wegfall von geschätzten 3% Überstundenzuschlägen käme noch hinzu. Da die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft nicht steigen würde, hätte dies zwangsläufig den Verlust von mindestens 350 000 Arbeitsplätzen zur Folge, ganz zu schweigen von den Auswirkungen der "Tarifführerschaft" der IG Metall. D. h. andere Branchen würden folgen mit noch verheerenderen Auswirkungen auf die Zahl der Erwerbslosen. Der IG Metall kommt also in dieser Tarifauseinandersetzung eine hohe gesellschaftliche Verantwortung zu.
IG Metall-Führung will kneifen
Aus verschiedenen Äußerungen von Seiten des 1. und des 2. Vorsitzenden aber auch aus den bis zu uns durchgesickerten Richtlinien der Verhandlungskommission in den Bezirken Stuttgart und Frankfurt geht hervor, dass die Gewerkschaftsführung krampfhaft eine Linie verfolgt, die den Konflikt und v. a. einen offenen Kampf vermeiden soll. Seit geraumer Zeit laufen nun schon Geheimgespräche von Expertenkommissionen, in denen der "Ludwigsburger Auftrag" bearbeitet wird. Bei dem Tarifabschluss 2000 hatte man sich im Rahmen der Verhandlungen in Ludwigsburg darauf verständigt, über weitere Flexibilisierungen bei der Arbeitszeit zu verhandeln. Man muss befürchten, dass dort über die Ausdehnung von Arbeitszeitkonten und andere Formen der Flexibilisierung ein Übereinkommen angestrebt wird.2
Die Verbindung zwischen diesen beiden Komplexen (Lohnrunde 2004 und Flexibilisierung aufgrund des Ludwigsburger Verhandlungsauftrags) soll in der Öffentlichkeit nicht hergestellt werden, ja sie soll gegenüber der Mitgliedschaft geheim gehalten werden. Es droht also ein schlimmer Kuhhandel, es sei denn Südwestmetall und Gesamtmetall sind so übermütig, dass sie Zugeständnisse fordern, die auch Peters und Huber in ihren Reihen nicht für durchsetzbar halten. Dann könnte es dazu führen, dass die Organisation doch auf Mobilisierung setzen muss. Wie weit das – unter den schlechten Startbedingungen, die die Gewerkschaftsbürokratie u. a. mit dem Debakel 2003 erzeugt hat – gelingen wird, ist zurzeit (27.1.) noch offen.
Auf jeden Fall müssen aktive Vertrauenskörper, Betriebsräte, Delegiertenkonferenzen usw. der Gewerkschaftsbürokratie bei ihrem Suchen nach "Kompromissen" möglichst viele Knüppel zwischen die Beine werfen. Was es jetzt braucht sind Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen:
- · Massenhaft Resolutionen gegen jede Form der Arbeitszeitverlängerung, auch gegen bezahlte.
- · Keine weitere Flexibilisierung, keine Ausdehnung von Arbeitszeitkonten! Auch keine Erhöhung der 13 oder 18%-Quote! Vielmehr: Weg mit den 13- und 18%-Regelungen (nach denen so viel Prozent der Belegschaft auf 40 Stunden gesetzt werden können). Kein Kuhhandel "Flexi im Austausch gegen eine optische Lohnerhöhung!"
- · Kein Abschluss, der von der aufgestellten Forderung (4% Lohnerhöhung ohne Arbeitszeitverlängerung oder Flexibilisierung) abweicht ohne Urabstimmung!
- · Massenhafte Beteiligung an allen Warnstreiks!
- · Vorbereitung eines Arbeitskampfs unter Beteiligung möglichst vieler KollegInnen, auch und gerade in den Großbetrieben!
- · Volle Einbeziehung der ostdeutschen KollegInnen! Für den Erhalt des Flächentarifvertrages!
- · Massenhaftes Verteilen von entsprechenden Stellungnahmen auch von Seiten der Gewerkschaftslinken in den Betrieben!
1 "Die Betriebe sollen durch freiwillige Vereinbarungen die Wochenarbeitszeit selbst festlegen und auch entscheiden können, ob und wie zusätzliche Arbeitszeit entlohnt wird." Handelsblatt 23.1.04.
2 Die FAZ vom 23.1.04. zitiert Huber zur Verhandlungsverpflichtung in Sachen Flexibilisierung: "Man könnte da schnell Ergebnisse erzielen. 80 Prozent der Themen sind abgearbeitet." Seit Hubers Aufstieg ist es quasi offizielle Linie der IGM, weitere Flexibilisierungsschritte zu