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Linke

Zur politischen Psychologie der „Djihadisten“

Von Isabel Schneider | 12.12.2015

Leserinbrief zu Helmut Dahmers Artikel in Avanti 7/8, 2015.

Leserinbrief zu Helmut Dahmers Artikel in Avanti 7/8, 2015.

Helmut Dahmer entwirft ein interessantes und gekonntes Bild der Ursprünge und Geschichte des europäischen Kolonialismus und davon, wie sich die objektiven gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Reaktionsweisen von Individuen und Gruppen auswirken.

Die Geschlossenheit der Darstellung ist verführerisch und widerspiegelt aber nur unzulänglich, wie im ersten Satz des Artikels angemerkt, die Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, die zum Beispiel auch in der Religion ihren Niederschlag findet.

Der Klarheit wegen

Ich glaube nicht an einen allmächtigen, allgegenwärtigen und allwissenden Gott, der IS ist eine Räuberbande, die sich eine religiöse Rechtfertigung zulegt; fünf Minuten katholische Liturgie und ich bin nachhaltig verstimmt. Bisher hat sich noch niemand für diese wöchentlichen Zwangsveranstaltungen bei mir und anderen Betroffenen entschuldigt, aber bis Inquisition, Kreuzzüge, Religions- und Glaubenskriege, Hexenverfolgung, Judenverfolgung, sexueller Missbrauch und Doppelmoral vorrangig abgearbeitet sind, muss ich auf diese Entschuldigung wahrscheinlich noch etwas warten.

Als Jugendliche konfrontiert mit den abscheulichen Verbrechen der Nazis war mir intuitiv klar, dass keine Terrorherrschaft je an einem Mangel an Folterern und Henkern zugrunde gehen wird. Das Grauen lässt sich nur politisch bekämpfen. Die Rechtfertigungen scheinen zunächst beliebig. Sie haben jedoch strukturelle Gemeinsamkeiten, auf die im Artikel hingewiesen wird, wie zum Beispiel die Unterordnung der verschiedenen widersprüchlichen sozialen und individuellen Interessen unter eine Gemeinschaft, sei es die Volksgemeinschaft, die Umma, die Nation, das Vaterland, gepaart mit Friedfertigkeit und Unterwerfung nach innen und Aggression, Destruktion und Abwertung nach außen.

Deshalb halte ich es für falsch, die psychologische Analyse auf die Muslime zu beschränken. Meines Wissens kommen die deutschen Djihadisten aus allen Schichten der Bevölkerung. Die Geschichten der „Amokläufer“ zeigen: Fast alle sind Männer aus der Mittelschicht und sogar der gehobenen Mittelschicht, die keineswegs aus bildungsbenachteiligten Bevölkerungsgruppen stammen. (Ines Geipel, Der Amokkomplex, Stuttgart 2012) . Es ist also höchste Vorsicht in Hinblick auf klassistische und rassistische Vorurteile geboten.

Zur strukturellen Gemeinsamkeit der „abrahamitischen Religionen“

Trotz „gut katholischer Erziehung“ kann ich nicht berichten, dass hier Gehorsam gegenüber Gott und „Gottes Wort“ eine große Rolle gespielt hätte. Ganz im Gegenteil, das erste Gebot der Liebe zu Gott wird im zweiten Gebot der Nächs­tenliebe sozusagen verweltlicht. Und auf die Frage, wer denn der Nächste sei, antwortet Jesus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Dem autoritären und manischen „Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht“ steht die Aufforderung zur kritischen Realitätsprüfung gegenüber: „Nicht an ihren Worten, an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Die Religionskritik wird also gleich mitgeliefert. Der Christenmensch kommt somit an selbständigem Denken und selbstständigen Entscheidungen nicht vorbei. Die Aufklärung hatte durchaus Ihre Vorläufer.

Judentum, Christentum und Islam sind patriarchalische Herrschaftsideologien. Allen gemeinsam sind Sexismus und Sexualfeindlichkeit. „Du sollst nicht begehren deines nächsten Weibes.“ Das Weib fällt dabei unter die gleiche Rubrik wie das Hab und Gut. Das Begehren des Weibes spielt dabei keine Rolle. Der Koran setzt sich allerdings verglichen mit dem Gesamtumfang des Werkes ausführlich mit dem Begehren des Weibes auseinander. Über Joseph, den Sohn Jakobs, den es auf wunderbare Weise nach Ägypten verschlagen hatte, heißt es in Sure 12, Vers 24 „Sie verlangte nach ihm, und auch er hätte nach ihr verlangt, wenn er nicht ein Zeichen von seinem Herrn gesehen hätte …“ . Und so wurde er Opfer weiblicher Lust. Wer nicht weiß, wie die Geschichte weitergeht, kann im Koran weiterlesen.

Aber im Ernst:

Die Gemeinsamkeiten der abrahamitischen Religionen bestehen darin, dass sie ein Monopol auf Welterklärung für sich reklamieren und mit dieser Erklärung die gesamte Menschheit beglücken wollen „Gehet hinaus in alle Welt und lehret alle Völker…“ nicht etwa „und lernet von allen Völkern“. Das macht sie so nützlich für Kolonialismus und Imperialismus. Ich fürchte, dass Christentum und Islam sich in diesem Punkt kaum unterscheiden. Sie haben sich ja nicht gewaltfrei über den ganzen Globus verbreitet. „Wessen die Herrschaft, dessen die Religion.“

Ganz ohne göttlichen Auftrag haben sowohl das mittelalterliche Christentum und der frühe Islam von andern Völkern gelernt. Denn der Mensch muss wissen. So haben die frühen islamischen Gelehrten die griechischen Philosophen ins Arabische übersetzt. Besonders erwähnenswert findet die Physikerin in dem Zusammenhang den „Almagest“ des „Megale syntaxis“ des Klaudius Ptolemaios (100-160), der das geozentrische Weltbild des Aristoteles mit Hilfe von Mathematik und Geometrie so erweitert, dass es mit den Himmelsbeobachtungen und Messungen übereinstimmt. Erst die Entdeckung der Planetengesetze durch Johannes Kepler (1571-1630) konnte dem „Almagest“ den Rang ablaufen.

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