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Bildung, Jugend

Zur Bildungspolitik der Bundesregierung: Vom Wiegen wird ein Schwein nicht fetter

Von B.S. | 01.09.2006

Ständig werden wir mit Ergebnissen von Pisa und anderen Evaluationsstudien konfrontiert. Immer gibt es eine Diskussion, ob die Situation des Bildungswesens schlimm oder vielleicht nicht mehr gar so schlimm ist. Aber „vom ständigen Wiegen wird ein mageres Schwein nicht fetter“. Auch nicht davon, dass ihm das Futter wegrationalisiert wird. 2006 wird der Bund 67 Millionen Euro weniger für Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung stellen, d.h. nur noch 140 Millionen

Ständig werden wir mit Ergebnissen von Pisa und anderen Evaluationsstudien konfrontiert. Immer gibt es eine Diskussion, ob die Situation des Bildungswesens schlimm oder vielleicht nicht mehr gar so schlimm ist. Aber „vom ständigen Wiegen wird ein mageres Schwein nicht fetter“.

Auch nicht davon, dass ihm das Futter wegrationalisiert wird. 2006 wird der Bund 67 Millionen Euro weniger für Sprach- und Integrationskurse zur Verfügung stellen, d.h. nur noch 140 Millionen. Selbst die Bundesbeauftragte für das Migrationswesen Marie Böhmer (CDU) kritisiert das und meint, dass die Mittel für mehr Qualität eingesetzt werden sollten, für mehr Stunden, mehr Differenzierung und bessere Bezahlung der Kursträger. Bei der Schulbildung von Migrantenkindern ist die BRD weit abgeschlagen. Wenn ein Viertel der SchülerInnen in der Bundesrepublik einen Migrationshintergrund hat, sollte ihnen schon eine gewisse Aufmerksamkeit gelten. 40% der Migrantenkinder zweiten Generation erreichen nur die unterste Kompetenz in Mathematik und im Lesen, wobei interessant ist, dass SchülerInnen, die während ihrer Schulzeit eingewandert sind, besser abschneiden. Ihnen wird eine hohe Lernmotivation zugeschrieben.
Integrationsgipfel
Länder, in denen die Leistungsunterschiede deutlich kleiner sind, weisen in der Regel fest etablierte Sprachförderungsprogramme mit relativ klar definierten Zielen und Standards auf. In diesem unserem Lande gibt es einen “Integrationsgipfel”, flankiert von den beiden christlichen Bekenntnissen und permanente Statements, dass “gute Deutschkenntnisse Grundlage schulischen Erfolgs” sind. Dass gute Kenntnisse der Muttersprache förderlich für das Erlernen der Landessprache sind, weiß mensch, aber daraus müssen offensichtlich keine Schlussfolgerungen gezogen werden. Kaum haben sich die 86 von der Kanzlerin zu einem Integrationsgespräch geladenen Gäste, davon immerhin ein Drittel mit migrantischem Hintergrund, getrennt, kommt der Forderungskatalog zur “Integration” wieder auf den Tisch. Die Geisteshaltung der Etablierten ist immer die gleiche: “Wer nicht leistet, was von ihm/ihr gefordert wird, wird bestraft”. Und das gnadenlos, mit dem Entzug von Rechten, d.h. von Geld oder gar mit der Ausweisung, so die Verlautbarungen. Motivationen zu schaffen, fällt kaum jemandem ein. Geld steht im Mittelpunkt des Denkens.  
„Strategisches Interesse“
Nun fällt selbst den Arbeitgeberverbänden ein, dass eine systematische frühkindliche Bildung durch “ein verpflichtendes, gebührenfreies Kindergartenjahr und verbindliche Lernstandards” notwendig sei. Unsereinem wird es dann mulmig, wenn als Begründung herhalten muss, das “ist von strategischem Interesse für Deutschland”, so Peter Clever (BDA). Nicht nur Kinder aus Migrantenfamilien haben es schwer. Allgemein gilt, dass in kaum einem vergleichbaren Lande die Abhängigkeit der Schullaufbahn so stark von der sozialen Herkunft bestimmt wird, wie in der Bundesrepublik. Die Dreigliedrigkeit des Schulsystems und die frühe Selektion stabilisieren Strukturen, die Bildung beinahe erblich machen. Nur 14% der Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss kommen überhaupt aufs Gymnasium gegenüber 68% der Kinder von AbiturientInnen – hier spielt auch die Bildung der Mutter eine Rolle.          

Nun ist eine gute Schulbildung noch lange keine Garantie für eine Berufsausbildung oder gar Berufsausübung, aber die grundlegenden Kulturtechniken sind eine Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, auch dafür, sich mit den Alternativen des Bestehenden auseinanderzusetzen. Einige Sumpfblüten der Schulpolitik:
Hessen – Unterrichtsgarantie plus
Damit keine Unterrichtsstunde am Vormittag mehr ausfallen muss, sollen die Schulen 1000 Euro pro Ersatzlehrerstelle zur eigenverantwortlichen Nutzung bekommen. Sie sollen einen Pool schaffen  z.B. aus PensionärInnen, Studierenden und Eltern u.a., aus dem Fachunterricht für fünf Wochen vertreten werden soll. Es sollen natürlich auch die schulinternen Reserven ausgeschöpft werden. Um die Qualifikation machen sich Eltern, LehrerInnen und SchulleiterInnen Gedanken, letztere sind für diesen Pool verantwortlich. Wenn sie unwillig sind, droht ihnen  eine Strafabordnung in die Verwaltung, wahrlich eine Disqualifizierung auf ganzer Linie!
Baden-Württemberg – Umverteilung
Um “Ausländerquoten” von über 20% an den Schulen zu vermeiden, sollen Migrantenkinder  aus ihren überbesetzten Vierteln in andere Schulbezirke “umverteilt” werden. Nun lassen sich Kinder aus Stuttgart ( 35,8% ) schwerlich in den Main-Taunuskreis (6,5% ) verfrachten. Die Idee, “deutsche” Kinder in Schulen mit hohem Migrantenanteil zu schicken, wurde nur scherzhaft vertreten. Einiges ließe sich vielleicht durch Neuzuschnitte von Schulbezirken ändern, aber vieles, wenn das “Fördern” einmal ernsthaft betrieben würde.
Hamburg: Public-Private-Partnership (PPP)
Die Hamburger Schulbehörde möchte mit dem Modell Hamburg-Süd 30 Schulen in Harburg für 25 Jahre an die städtische SAGA-GWG vergeben, die diese binnen 5 Jahren saniert. Die Stadt zahlt dann eine jährliche Gebühr. Die Schulen, deren LeiterInnen in einem neuen Leitungsprinzip quasi alleinverantwortlich sind, verlören dabei auch ihre Hausmeister. Diese wehren sich heftig, weil sie Disqualifizierung und Lohnminderung befürchten
Interessanterweise würde das Projekt jährlich 4,6 Millionen teurer, als wenn die Stadt selbst sanierte, also insgesamt 115 Millionen extra! Dafür bekäme die Stadt aber Top-Schulen!

Nach Auffassung des Berliner Experten für kommunale Finanzen, Körting, hat sich der Kreis Offenbach auf diese Weise – mit PPP für seine Schulen – ruiniert. Aber wie dem auch sei, eine Durchkommerzionalisierung  der Schulen nähme ihnen manches von ihrer Identität.

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