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Betrieb & Gewerkschaft

Zündstoff im Südwesten: Neue AERA mit ERA?

Von H. Neuhaus | 01.01.2007

IG-Metall-Vize Berthold Huber bezeichnet das Entgeltrahmenabkommen (ERA) in der Metall- und Elektroindustrie als „eines der größten tarifpolitischen Reformprojekte der Nachkriegsgeschichte”. Kein Wunder: Sein Name ist direkt mit diesem „Meilenstein” verbunden. Vor seinem Sprung in den Frankfurter Gewerkschaftsvorstand war Huber als Stuttgarter Bezirksleiter für die Verhandlungen mit dem Unternehmerverband Südwestmetall verantwortlich.

IG-Metall-Vize Berthold Huber bezeichnet das Entgeltrahmenabkommen (ERA) in der Metall- und Elektroindustrie als „eines der größten tarifpolitischen Reformprojekte der Nachkriegsgeschichte”. Kein Wunder: Sein Name ist direkt mit diesem „Meilenstein” verbunden. Vor seinem Sprung in den Frankfurter Gewerkschaftsvorstand war Huber als Stuttgarter Bezirksleiter für die Verhandlungen mit dem Unternehmerverband Südwestmetall verantwortlich.

H. Neuhaus
Südwestmetall-Geschäftsführer und ERA-Spezialist Gryglewski sah sich jüngst mit dem Vorwurf konfrontiert, dass die Kapitalseite ERA mit „Entgeltreduzierungsabkommen” übersetzen würde. Er wehrte sich mit dem Argument, es sei während der Verhandlungen über den neuen Entgelttarifvertrag im Jahr 2002 gemeinsames Verständnis von IG Metall und Südwestmetall gewesen, den „tarifpolitischen Wildwuchs” in den Betrieben zurechtzustutzen. In der Tat gibt es ernst zunehmende Hinweise, dass maßgebliche Teile des IGM-Apparats die Konkurrenzfähigkeit des „Standortes Deutschland” durch ein „modernes” und „kostenneutrales” Tarifwerk „nachhaltig sichern” wollen.
Proteste
Wegen der ERA-Einführung rumort es jedenfalls in zahlreichen Betrieben Baden-Württembergs. In einzelnen Werken des Daimler­Chrysler-Konzerns, beim Kraftwerksbauer Alstom Power in Mannheim und anderswo kam es in den vergangenen Wochen zu Protestaktionen während der Arbeitszeit. In wenigstens einem Fall geschah dies spontan, ohne offi­zielle Unterstützung der Gewerkschaft oder des Betriebsrats.
Hintergrund der Proteste ist der Versuch von Südwestmetall, zum Teil massive Verschlechterungen mit der Einführung von ERA durchzusetzen. Insbesondere die Entwertung von Facharbeit und Montagearbeit – dem Kernbereich der gewerkschaftlichen Organisation gerade im kampfstärksten Bezirk der IG Metall – hat die Kapitalseite im Visier. Im Rhein-Neckar-Raum gibt es Fälle, bei denen FacharbeiterInnen in der Montage reihenweise bis zu 800 Euro im Monat verlieren sollen. Auch in gewerkschaftlichen Randbereichen wie zum Beispiel bei Sekretärinnen und bei IngenieurInnen gibt es Bestrebungen, spürbare Kürzungen zu verordnen – in Einzelfällen sogar bis zu 1500 Euro.

Mit einer „Re-Taylorisierung”, das heißt der Wiedereinführung extrem arbeitsteiliger Tätigkeiten in vielen Betrieben, schaffen viele Unternehmen die Voraussetzung für eine „kreative” Anwendung von ERA. Hinzu kommt in zahlreichen Firmen eine Entgelt-Eingruppierung, die im Vergleich zu den tariflichen und betrieblichen Tätigkeitsbeschreibungen zu niedrig ist. Südwestmetall koordiniert entschlossen diesen Prozess und unterstützt die Unternehmensleitungen mit BeraterInnen, die von der IG Metall als regelrechte „Lohndrücker-Kolonnen” bezeichnet werden.
Widerstand
Der Gewerkschaftsapparat beantwortet diesen überbetrieblichen Angriff jedoch bisher auf keinen Fall mit einer entschlossenen Gegenwehr. Nach einer langen Phase des Schweigens protestierte IGM-Bezirksleiter Hofmann gegen die ERA-Einführung nach „Gutsherrenart”. Selbst als die Konflikte in immer mehr Betrieben hochkochten, beklagten sich die Stuttgarter „metallnachrichten” („era.spezial” Nr. 2 von November 2006) darüber, dass „Widerstand und Unruhe” zunähmen, weil „Südwestmetall… einen unnötigen Konfliktkurs”  fahre. Mit Mühe und Not konnte das IGM-Info wenigstens vier positive Beispiele für die ERA-Einführung benennen (Alfing, Allgaier, Bosch und ZF).

Huber selbst will natürlich nicht, dass sein Gesellenstück sich als Stolperstein erweist. Auf dem kommenden Gewerkschaftstag möchte er sich schließlich gerne zum Ersten Vorsitzenden der IG Metall küren lassen. Wie der Teufel das Weihwasser scheut er allerdings eine spürbare gewerkschaftliche Mobilisierung gegen den nicht zufällig auf den Bezirk Baden-Württemberg konzentrierten Angriff des Kapitals. Dem IGM-Vize zufolge „müssen wir [die Angriffe der Unternehmer] mit unserer stärksten Waffe beantworten: mit vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Umsetzung von ERA engagieren”.

Aktive MetallerInnen fordern hingegen mehr als nur die konsequente Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechtes der Betriebsräte bei Ein- und Umgruppierungen und der tarifvertraglichen Widerspruchsmöglichkeiten. Gegen den offenen Angriff vor allem im Südwesten, ERA zur Entgeltreduzierung zu nutzen, muss es ihrer Auffassung nach eine wirksame gewerkschaftspolitische Antwort geben – und zwar in den Betrieben und auf der Straße. Neben dem Konflikt um ERA stehen zudem der Sozialabbau – Stichwort Rentenklau – und die Metalltarifrunde an. Es gilt jetzt, die Zusammenhänge zwischen diesen Themen zu verdeutlichen und einer entsprechenden Mobilisierung trotz aller Widerstände im IGM-Apparat den Boden zu bereiten.

 

ERA – Entgeltrahmenabkommen
Mit diesem neuen Entgeltsystem in der Metall- und Elektroindustrie sollen mehrere Ziele verfolgt werden:

  1. Die Entlohnung von Arbeitern und Angestellten nach einheitlichen Kriterien. Es gibt dann keine Lohn- oder Gehaltgruppen mehr, sondern nur noch ein für alle gemeinsames Entgeltsystem, so dass die Durchlässigkeit von einer Entgeltgruppe zur nächsten nicht an (überholten) Statusfragen scheitert.
  2. Sollen überholte Tätigkeitsbeschreibungen, die die Grundlage der bisherigen Eingruppierungen waren, durch aktuelle Tätigkeitsprofile ersetzt werden. Da die Überführung von zwei unterschiedlichen Entlohnungssystemen in ein neues zwangsläufig zu Höher- oder Niedergruppierungen führt, ist in den vergangenen Jahren bei den Tarifabschlüssen ein Ausgleichsfonds (ERA-Fonds) gebildet worden. Mit diesen Mitteln soll verhindert werden, dass die so genannten „Überschreiter” zu viel verlieren.
D. B.

 

 

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