Wird jetzt Politik anders gemacht?
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Bundesparteitag der Partei Die Linke in Halle

Wird jetzt Politik anders gemacht?

Von Violetta Bock und Hermann Nehls | 22.10.2024

Politik anders machen ‒ das ist das große Versprechen, mit dem in Leipzig das Direktmandat geholt wurde und für das auch bei dem Parteitag mehrfach geworben wurde. Dazu gehört unter anderem ein Solifonds, viele Haustürgespräche in den nächsten Monaten und ein oder zwei Schwerpunktthemen, um einen konkreten Markenkern der Linken zu entwickeln. Schon in der Pressekonferenz am Montag nach dem Parteitag verkündeten die neu gewählten Vorsitzenden, dass sie auch ihr Gehalt auf das durchschnittliche Einkommen von 2850 Euro deckeln wollen und es ab jetzt eine Sozialsprechstunde im Karl-Liebknecht-Haus geben wird.

Der Bundesparteitag vom 18. bis 20. Oktober in Halle selbst war jedoch geprägt von inhaltlich strittigeren Themen. Klima, Arbeitskämpfe, Asyl waren nicht die dominierenden Themen, weil hier in großen Teilen Einigkeit besteht. Ein Antrag gegen das Sicherheitspaket der Bundesregierung fand eine fast einstimmige Mehrheit, Diskussionsbedarf bestand hier nicht. Hier ist die Linke sich einig, dass sie den Kurs des Grundrechteabbaus und der rassistischen Asylpolitik nicht mitgehen wird. Sehr viel mehr Diskussionsbedarf gab es dafür zu den Themen Krieg, Nahost und Bedingungsloses Grundeinkommen.

Christine Buchholz schrieb im Vorfeld, dass die Partei Die Linke es nicht mehr vermag, in gesellschaftlich relevanten Fragen polarisierend aufzutreten und offensiv bundesweite Bewegungen und Kämpfe aufzubauen und zu initiieren. Sie sei nicht mehr als grundsätzliche Opposition zum Kapitalismus wahrnehmbar. Ausdruck davon sind nicht zuletzt die desaströsen Wahlergebnisse zum EU-Parlament und zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Gleichzeitig verzeichnet die Linke Neueintritte wie seit langem nicht mehr. Sie machten auch einen relevanten Teil der über 500 Delegierten des Bundesparteitags aus. Das merkte man auch daran, wenn Änderungsanträge auch mal gegen den Parteivorstand eine Mehrheit erhielten. Es zählten die Argumente in der Debatte.

Debatte zu Nahost: Wie die Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei bei Nahost liegen, lässt sich auch nach dem Wochenende nicht wirklich sagen. Hier wollte man die offene Debatte und Kampfabstimmungen schon im Vorfeld vermeiden. Zu groß war die Furcht, dass sich ein ähnliches Szenario wie auf dem Berliner Landesparteitag eine Woche zuvor wiederholen könnte, bei dem es zu einer heftigen Auseinandersetzung anlässlich eines Antrags zu Antisemitismus (siehe „Berliner Reformflügel dreht frei“) gekommen war. Die neue Parteiführung war nicht zuletzt deshalb bemüht, einen Ersetzungsantrag unter Beteiligung der verschiedenen Flügel zu erarbeiten.

Dem Bundesparteitag konnte am Ende ein Antragstext zur Abstimmung vorgelegt werden, der die Forderung nach sofortigem Waffenstillstand in Israel und Palästina beinhaltet, auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zur Klage Südafrikas im Rahmen der Völkermordkonvention verweist und die Forderungen enthält, dass die „völkerrechtswidrige Kriegsführung in Gaza und Libanon“ sofort eingestellt werden muss und Deutschland und die NATO das nicht mit Waffenlieferungen unterstützen dürfen. Außerdem heißt es: „Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7. Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon.“ Die Bundesregierung wird in dem Antrag aufgefordert, Palästina als eigenen Staat in den Grenzen von 1967 anzuerkennen.

Sicher mit Bezug auf die aktuelle Debatte innerhalb der Linken Berlin wurde diese Formulierung aufgenommen: „Wer in Nahost oder hierzulande antisemitische Ressentiments befeuert, wer das Existenzrecht Israels in Frage stellt, wer gegen jüdische Menschen hetzt oder den Terror der Hamas relativiert, kann für uns ebenso wenig Bündnispartner*in sein wie diejenigen, die rassistische, anti-muslimische oder anti-palästinensische Angriffe und Propaganda gutheißen oder betreiben. Für Antisemitismus und Rassismus ist kein Platz in der Linken.“

Der Antrag zu Nahost wurde mit großer Mehrheit beschlossen, ebenso ein Antrag, in dem eine Unterstützung der von verschiedenen NGOs initiierten Petition „Für einen gerechten Frieden in Gaza. Waffenexporte stoppen und Hilfsblockade beenden!“ gefordert wird. Ein Antrag zur Antisemitismus Definition wurde an den Vorstand überwiesen. Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform, die zur Verhandlungsgruppe gehört hatte, sagte: „Ich bin froh, dass unsere Partei solidarisch mit dem palästinensischen Volk und mit Jüdinnen und Juden ist. Beides gehört zusammen, die Klammer heißt Menschlichkeit.“ Klar ist: Der beschlossene Antrag ist in weiten Teilen ein Formelkompromiss, der nun einen Meinungskorridor definiert, für was die Linke steht. Entscheidend wird sein, ob die Partei Die Linke sich stärker als bisher mit klaren Positionen an Demonstrationen und an Bündnissen beteiligt.

Leitantrag: In der Debatte über den Leitantrag, der auch mit großer Mehrheit beschlossen wurde, folgten die Delegierten im Wesentlichen den Abstimmungsempfehlungen der Antragsberatungskommission (wie der Parteitag bei den Abstimmungen über Änderungsanträge meist den, oft durch zahlreiche Übernahmen veränderten, Anträgen des Parteivorstandes gefolgt ist). Der 613 Zeilen umfassende Text des Leitantrags mit dem Titel „Gegen den Strom“ ist eher allgemein gehalten und endet mit konkreten Schritten hin zur Bundestagswahl. Der Wiedereinzug ist das zentrale Ziel, Fokussierung auf Themen sollen dabei helfen, genannt wird explizit der Mietendeckel. Angenommen wurden diesmal einzelne Änderungsanträge, etwa von der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft zur EU oder auch eine stärker zuspitzende Einleitung durch solid. Auch zum Thema Krieg und Frieden gab es zahlreiche Änderungsanträge. Komplizierte Abstimmungsverfahren standen hier eindeutigen Beschlüssen manchmal im Wege. Ob es so der Linken wieder gelingt, als die klare Friedenskraft ab vom Bekenntnis wahrgenommen zu werden, wird sich noch zeigen. Sehr viel deutlicher gelang dies, als der Berliner Appell gegen die Stationierung von Mittelstreckenwaffen als eigener Antrag angenommen wurde.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Wie der Parteitag in dieser Frage ausgehen würde, war vorher ungewiss. Ein Mitgliederentscheid im Herbst 2022, an dem sich rund ein Drittel beteiligt hatte, sprach sich für die Aufnahme der Forderung ins Programm aus. Entsprechend hatte der Parteivorstand eine Formulierung vorgeschlagen. Nach einer kontroversen Debatte wurde dies jedoch abgelehnt und ebenso ein Antrag gegen das Grundeinkommen zurückgezogen. Damit gilt weiterhin das Erfurter Programm und es gibt keine Festlegung auf das BGE sondern für die sanktionsfreie Mindestsicherung.

Parteivorstand: Jan vanAken (88 %) und Ines Schwerdtner (79,7 %) wurden als neue Vorsitzende gewählt. Jan gelang es mit dem Einstiegssatz „Mein Name ist Jan und ich finde es sollte keine Milliardäre geben“ die Delegierten anzusprechen. Wer Milliarden besitze, habe dieses Geld anderen weggenommen. Konkret rechnete er dies an Milliardärin Klatten vor. Eine Fürrede von einer Enkelin einer ehemaligen Haushälterin bei Frau Klatten bekräftigte dies. Sonst war die offene Fragezeit von vielen konkreten Nachfragen an die neuen Vorsitzenden gefüllt. Beantworten konnten sie die in der kurzen Zeit nicht, aber bei manchen Fragen, etwa zur Haltung zum Genozid in Nahost, taten sie das wohl auch bewusst nicht.

Der Parteivorstand insgesamt ist aus den verschiedensten Lagern innerhalb der Linken zusammengesetzt. Vertreter:innen aus dem klassisch linken Flügel sind im erweiterten Parteivorstand zu finden. Dazu zählen etwa Thies Gleiss, Nina Eumann und Ulrike Eifler, die maßgeblich die gewerkschaftlichen Friedenskonferenzen in Hanau 2023 und Stuttgart 2024 vorbereitet hat. Am neuen Parteivorstand liegt es nun, die Partei wieder zu einer relevanten Kraft werden zu lassen. Der Fokus scheint erstmal auf der Bundestagswahl zu liegen. Mit der „Aktion Silberlocke“ stellte Gregor Gysi in Aussicht, dass Bodo Ramelow, Dietmar Bartsch und er mit dem Kampf um Direktmandate den Wiedereinzug absichern wollen. Eine Erneuerung ist dies noch nicht.

Die stellte eher Überraschungsgast Sarah-Lee Heinrich, ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend in Aussicht, als sie getragen von der Notwendigkeit von Klassenpolitik vom Liebäugeln mit der Linken sprach.

Insgesamt war der Parteitag zumindest nicht von einem inszenierten Rahmen geprägt, der in der Vergangenheit schon öfter die Zeit für Generaldebatten kappte. Weniger als den zehnten Aufbruch zu feiern, war es eher ein Einleiten strategischer Schritte. Viele antworteten daher auf die Frage nach dem Fazit auch eher mit einem pragmatischen „Die Linke ist noch da“.

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