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DIE LINKE

Wie Phoenix aus der Asche

Von B.B. | 15.02.2006

Im Mai 2003 legte Michael Brie, einer der Theoretiker der Rosa-Luxemburg-Stiftung der PDS, unter dem Namen ”Ist die PDS noch zu retten?” eine Analyse der Lage der Partei des Demokratischen Sozialismus und ihrer Perspektiven vor. Seine Auseinandersetzung mit der Krise der PDS und seine Vorschläge zu ihrer Lösung blieben damals in der westdeutschen Linken weitgehend unbeachtet. Seitdem sind drei Jahre vergangen.

Im Mai 2003 legte Michael Brie, einer der Theoretiker der Rosa-Luxemburg-Stiftung der PDS, unter dem Namen ”Ist die PDS noch zu retten?” eine Analyse der Lage der Partei des Demokratischen Sozialismus und ihrer Perspektiven vor. Seine Auseinandersetzung mit der Krise der PDS und seine Vorschläge zu ihrer Lösung blieben damals in der westdeutschen Linken weitgehend unbeachtet. Seitdem sind drei Jahre vergangen.

Der Philosoph Prof. Dr. Michael Brie, der sich als Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Parteienstiftung der PDS, und Leiter ihres Bereiches Politikanalyse hervorragend in der PDS auskennt, untersuchte Anfang 2003 Lage und Perspektiven der Partei des Demokratischen Sozialismus.
Die PDS im Jahr 2003
Nach Brie steckte die PDS 2003 in einer tiefen, dauerhaften Krise, die sich in stagnierenden Umfrageergebnissen, mangelndem Echo in den Medien und im Fehlen von Führungspersonen – Gregor Gysi hatte sich zurückgezogen – ausdrückten. Hinzu kam eine Orientierungskrise, die sich im Abgang der Parteiführung um Gabi Zimmer zeigte, welche mit ihrem Linkskurs (Parteitag in Gera) in der Partei gescheitert sei. Zimmer und andere sahen die PDS ansatzweise als Oppositionspartei, die die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern müsse. Dem standen laut Brie diejenigen gegenüber, die die PDS als Koalitionspartnerin in einer Mitte-Links-Regierung mit SPD und Grünen betrachteten.

Die inneren Potentiale der PDS, die sich aus der früheren politischen, ökonomischen, kulturellen und militärischen “Dienstleistungsklasse” der DDR und ihrem Umfeld speisten, waren – so Brie – erschöpft; das eigene politische Profil der Partei verschwunden. Die Basis bestand zu fast 80 % aus Menschen über 60 Jahren, die häufig nicht mehr zu den Aktivsten gehörten. Die AktivistInnen saßen fast ausschließlich in den Parlamenten und im Parteiapparat. Finanziell hingen sie völlig von den Parlamentsfraktionen ab, die für Brie den Lebensmittelpunkt der PDS darstellten. Die StammwählerInnenschaft war geschrumpft. Sie unterschied sich stark von der Parteimitgliedschaft und stammte häufig aus der sozialen, globalisierungskritischen Bewegung, der Friedensbewegung und aus den Gewerkschaften.

Eine Überwindung der internen Krise aus eigener Kraft und den Aufbau der PDS zu einer bundespolitisch wirksamen politischen Partei hielt Brie 2003 für ausgeschlossen. Es bedürfe einer wesentlich erweiterten personellen, politischen und organisatorischen Basis, um eine sozialistische Kraft in Deutschland zu schaffen. Vor allem mangele es der PDS an geeignetem Führungspersonal. Ihre Struktur müsse völlig verändert werden.
Unter Berücksichtigung von Bries Analyse ging die damalige Krise der Partei des Demokratischen Sozialismus bedeutend tiefer, als viele LinkssozialistInnen seinerzeit vermuteten. Krisenerscheinungen gab es nicht nur unten, wo die Basis wegbröckelte, sondern vor allem oben bei der Parteiführung, auf deren mangelndes Potential Brie hinwies. Demnach war die PDS im Jahr 2003 fast ein Auslaufmodell. Für Brie hatte sie nur noch eine letzte Chance: Sich mit anderen Kräften zusammenzutun.
Die Linkspartei.PDS im Jahr 2006
Drei Jahre später steht die PDS glänzend da. Die Linkspartei.PDS verfügt mit der WASG über einen für Lohnabhängige wählbaren Bündnispartner in Westdeutschland. Erfolgreich zog die Linkspartei – denn als eine gemeinsame Partei wird sie bereits von vielen wahrgenommen – 2005 in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. Die Aussichten, in alle Kommunal- und Landesparlamente zu gelangen, sind gut. Mit Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Lothar Bisky verfügt sie über drei ”Galionsfiguren”, die öffentlichkeitswirksam auftreten. Die Mitgliederstärke einer vereinigten Partei würde den anhaltenden Negativtrend der PDS-Mitgliedschaft stoppen und umkehren. Die Linkspartei befindet sich im Aufwind. Die Vereinigung von PDS und WASG steht bevor, auch wenn die Eigenkandidatur der WASG in Berlin noch für Schwierigkeiten sorgen kann. Von einer Krise kann – zumindest für die absehbare Zeit – weder bei der PDS, noch bei der WASG die Rede sein.

Wie kam diese überraschende Wende zustande? Wie konnte es geschehen, dass die von vielen schon tot gesagte PDS wie der Feuervogel Phönix verjüngt aus der Asche emporstieg?
Dieser überraschende Erfolg lag bestimmt nicht an der Namensänderung der PDS in Linkspartei.PDS. Der PDS waren nicht Flügel gewachsen, aber mit der WASG war ihr ein Bündnispartner entstanden. Das neue Partei- und Bündnisprojekt wurde 2003 theoretisch von Michael Brie in seiner Untersuchung entwickelt und von der PDS und ihren Netzwerken umgesetzt. Es konnte sich auf der Wahlebene durchsetzen, weil der neoliberale Kurs der SPD-Grünen Bundesregierung mit Hartz IV auf große Empörung stieß und für einen entsprechenden Rückenwind für die Linkspartei unter den Lohnabhängigen sorgte. Es waren also sowohl gezielte Anstrengungen der Partei des Demokratischen Sozialismus wie auch eine Änderung der politischen Lage nötig, um die Krise der PDS zu lösen. Nur aus dem Zusammenfallen beider Faktoren konnte die neue politische Kraft der Linkspartei erwachsen.
Die PDS stellt die Organisationsfrage
Um die Krise der PDS zu überwinden, sah Michael Brie eine Doppelstrategie vor. In Ostdeutschland müsse sich die Partei des Demokratischen Sozialismus als linke Volkspartei aufbauen und im Bundesgebiet Schritte zum Aufbau einer ”übergreifenden parteipolitischen Formation (PDS-Plus)” einleiten. Dabei gelte es, sich mit linken GewerkschafterInnen, Aktiven der Friedensbewegung und der globalisierungskritischen Bewegung zu verbinden, die sowieso zum WählerInnenpotential der Partei gehörten. Ziel sei die Schaffung eines umfassenderen parteipolitischen Projekts, in das sich die PDS einbringen müsse. Dieses Projekt charakterisierte Brie als Formation links von SPD und Grünen, die von der PDS mit anderen linken Kräften gebildet werden könne. Dabei erklärte er, dass die neue Partei keine antikapitalistische Kampfpartei sein dürfe, die mit Verengung, Isolation und Zerfall gleichzusetzen sei. Man müsse eine ”sozialistische Realpolitik” entwickeln und dürfe nicht ”in die linke Phrase fliehen”. In einer ersten Etappe müssten beide Elemente – die PDS in Ostdeutschland und die ”PDS-Plus” im Westen – eigenständig agieren, ”um ihre Potentiale zu erschließen”.

Zur Verwirklichung von Bries Vorschlag musste die PDS Netzwerke finden, die sich für das Projekt ”PDS-Plus” einspannen ließen. Es fanden sich: De
r Kreis um die Zeitschrift Sozialismus mit Mitherausgeber Joachim Bischoff. Mit ihr waren Hauptamtliche vom linken Flügel der Gewerkschaftsbürokratie eng verbunden, die einen Weg suchten, um neoliberale Politik zu bekämpfen, ohne dafür eine klassenkämpferische Orientierung in den Gewerkschaften – in Konfrontation mit den zentralen Apparaten – durchsetzen zu müssen. Diese Hauptamtlichen verfügten über einigen Anhang an der Gewerkschaftsbasis und unter Betriebsräten. Hinzu kamen einige Tausend ehemalige SozialdemokratInnen, die in die WASG eintraten, und deren Symbolfigur Oskar Lafontaine ist.

Um Sozialismus, den linken Flügel der Gewerkschaftsbürokratie und Oskar Lafontaine sammelten sich die Hauptkräfte, die die WASG gründeten und dominierten. Politisch standen Sozialismus und ihre SympathisantInnen im Gewerkschaftsapparat der PDS nahe. Joachim Bischoff war nicht zufällig einer der Theoretiker der PDS, der sich lt. Michael Brie bei der Frage von Regierungsbeteiligungen und der damit verbundenen Einschätzung der SPD rechts von der damaligen Parteiführung um Gabi Zimmer positionierte. Über diese Netzwerke initiierte die PDS in Westdeutschland ihr Projekt ”PDS-Plus”, für das Michael Brie die theoretische Vorlage lieferte.
Bries Untersuchung diente ungewollt auch rechten Mitgliedern der WASG um den Leverkusener Kreis als Vorlage, die eine Zusammenarbeit mit der PDS aus antikommunistischen Motiven ablehnten. Sie bastelten sich eine entsprechende Verschwörungstheorie zusammen, die die WASG als PDS-Projekt dämonisierte. Verschwörerisch war am Projekt ”PDS-Plus” bzw. WASG immerhin, dass es von der PDS-Parteispitze undurchsichtig lanciert und hinter dem Rücken der eigenen PDS-Parteibasis in Westdeutschland umgesetzt wurde. Politisch konnte – aus revolutionär-marxistischer Sicht betrachtet – von einer reformistisch-sozialistischen Partei, die bereits den Kreis um Winfried Wolf ausschied und der selbst die Parteiführung um Gabi Zimmer zu links war, kaum ein Anstoß zur Bildung einer antikapitalistischen Partei ausgehen.

Aber auf organisatorisch-politischer Ebene war die Initiative zur Gründung der ”PDS-Plus” mutig und beispielhaft. Sicherlich stand die PDS vor drei Jahren mit dem Rücken zur Wand. Jedoch beweist ihre Initiative, dass sich die Linke mit Handeln und Tatkraft aus dem Krisensumpf ziehen und in der Gesellschaft wirksam werden kann, wenn eine Parteiorganisation die politische Lage ausreichend analysiert, entsprechende Konzepte entwickelt, zum richtigen Zeitpunkt aktiv wird und über die Organisationsstruktur verfügt, um sie umzusetzen.
Aus Sicht des PDS-Vorstandes etwas unerfreulich, aber bei aller vorgetragenen Offenheit unausweichlich, stellten sich für das Projekt ”PDS-Plus” auch einige andere ”Netzwerke” zur Verfügung, die weder eingeladen noch politisch gewünscht waren. Einige linkssozialistische Organisationen mit trotzkistischem Hintergrund traten in die WASG ein. Aus Bries Analyse war ablesbar, was sie in der neuen Partei erwarten würde. Wenn nach Brie die Verwandlung der alten PDS in eine antikapitalistische Kampfpartei scheitern musste, würde das aus Sicht des PDS-Parteivorstandes auch für den zukünftigen Aufbau der Linkspartei gelten.
Hartz IV als Geburtshelfer
Für eine erfolgreiche politische Initiative und erst recht für die Gründung einer linken Partei genügt bekanntlich nicht das eigene Wollen, auch wenn es wie bei der PDS über hinreichende Mittel verfügt. Um als neue Partei von Teilen der Lohnabhängigen angenommen zu werden, musste es auch zu Rissen im politischen Alltagsbewusstsein kommen. Bries Analyse ging 2003 von der Gefahr eines gesellschaftlichen Absturzes ”nach unten” aus. Die soziale Frage rücke wieder in den Vordergrund entlang der Konflikte zwischen ”arm” und ”reich”, ”Arbeitgebern und Arbeitnehmern”, ”links und rechts”. Zwar würden die meisten BürgerInnen individuell ihre Probleme zu lösen versuchen, aber es entstehe auch eine größere Bereitschaft aktiv zu werden, soweit dafür politische Erfolgsaussichten vorhanden sind.

Hartz IV bestätigte diese Einschätzung Bries. Der soziale Absturz fand für viele Erwerbslose statt und drückte auf den Lebensstandard von Millionen Lohnabhängigen. Hunderttausende Erwerbslose, ArbeiterInnen und Angestellte gingen Montag für Montag auf die Straße, solange sie die Chance sahen, Hartz IV zu verhindern. In Politik und Medien wird seitdem die ”soziale Frage” rauf und runter diskutiert. Die Diskussion um Hartz IV veränderte die politische Landschaft in der BRD. Nur vor diesem Hintergrund konnte die organisatorische Initiative der PDS politischen Erfolg haben.

Während Bries Analyse unausgesprochen die Aktualität des Klassenkampfes bestätigte, für ihn sogar der politische Erfolg des Projektes “PDS-Plus” u.a. von einer Zuspitzung der “sozialen Frage” abhing, wurde nach erfolgreicher Gründung der WASG von deren Parteiführung bewusst jeder Bezug auf den Klassengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital vermieden.
”PDS-Plus” zur Verhinderung einer linken Partei
Bis 2003 hatte die PDS die Möglichkeit des Entstehens einer neuen linken politischen Formation aus sozialen Bewegungen, Attac, kritischen Teilen der Gewerkschaften und anderen völlig ignoriert, so Brie. Weil es ein ”parteipolitisches Artikulations- und Repräsentationsvakuum” gebe, sei die alternative Gründung einer neuen Linkspartei möglich und könne der PDS Konkurrenz machen. Brie verwies damals auf Untersuchungen aus dem Jahr 2001, wonach das ”prosozialistische und antikapitalistische” Potential in Westdeutschland auf 20 % und in Ostdeutschland auf 50 % bemessen werden kann. Dieses Potential könne die PDS als Ostpartei nicht erreichen. Die Westschwäche der PDS verstärke die Möglichkeit des Entstehens einer neuen Partei links von ihr. Ein Teil dieser demokratisch-sozialistischen WählerInnen würde nicht PDS, sondern SPD und Grüne wählen. Zudem fühlten sich relevante Minderheiten parteipolitisch nicht vertreten und strebten nach einer vertrauenswürdigen parteipolitischen Artikulation ihrer Interessen. Fülle die PDS diese Lücke nicht, dann könne dies bis zur Bundestagswahl 2006 auch zu Neugründungen führen.

Gerade aus den Befürchtungen vor dem Entstehen einer neuen Partei in Konkurrenz zur PDS und links von ihr leitete Michael Brie das Projekt ”PDS-Plus” ab, um die entsprechenden Wahlpotentiale auf die von Krisen geplagte Partei des Demokratischen Sozialismus zu lenken. Hätte sich die neue Linkspartei unabhängig und in Konkurrenz zur PDS gebildet, hätte das für letztere den Todesstoß bedeuten können. Daran kann mensch auch die Heftigkeit der Auseinandersetzungen heute um die Politik der Berliner WASG ermessen.
Immerhin sah zu einer Zeit, in der der RSB die Notwendigkeit einer Sozialistischen ArbeiterInnenpartei (SAP) betonte, einer der führenden Theoretiker der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Bedingungen für die Entstehung einer Partei links von der PDS als bereits vorhanden an. Soweit ging unsre Vorstellung von der Entwicklung einer SAP nicht, da eine Sozialistische ArbeiterInnenpartei nur vor dem Hintergrund einer breiten Radikalisierung v
on ArbeiterInnenkämpfen entstehen kann.
Strukturen, die bestehen bleiben
Nimmt mensch seine Analyse ernst, dann kann ein Zusammengehen von PDS und WASG, selbst wenn es von Erfolg gekrönt ist, kaum etwas an den von Brie untersuchten internen Strukturmerkmalen der Partei des Demokratischen Sozialismus ändern, nämlich der großen Kluft zwischen den wenigen AktivistInnen und den vielen kaum aktiven Mitgliedern, der Aufsaugung der aktiven Minderheit durch Parlamentsarbeit und Parteiapparat, der finanziellen Abhängigkeit dieser Minorität von den Parlamentsfraktionen und der Tatsache, dass die Parlamentsfraktionen der Lebensmittelpunkt der Partei sind. Diese Strukturmerkmale werden nicht nur von der alten PDS an die vereinigte Linkspartei vererbt. Ihre prägenden Auswirkungen auf die neue Partei weiten sich durch den Einzug der Linkspartei.PDS in den Bundestag und die damit neu sprudelnden Finanzquellen erheblich aus. Besonders für linke Jugendliche, die in der vereinigten Linkspartei die Basis für linkssozialistische Oppositionsströmungen sein könnten, tun sich in Zeiten sozialer Unsicherheit und Arbeitslosigkeit Karrierechancen in der Linkspartei.PDS auf.
Politikansätze, die fortgesetzt werden
Michael Bries Analyse unterstützt grundsätzlich die Beteiligungen der PDS an Regierungen. Sie müsse allerdings dort ihren ”Gebrauchswert” neu beweisen. Die bestehenden Beteiligungen an Landesregierungen hätten dem Image der PDS geschadet. Von PDS-Regierungsbeteiligungen gingen keine Impulse für eine andere Politik aus. Es sei sogar der Vorwurf laut geworden, dass die PDS Teil des Kartells der Herrschenden sei.
Die PDS, um in Bries Begrifflichkeit zu bleiben, hat als Partei sicherlich nicht nur einen sondern mindestens zwei ”Gebrauchswerte”: Einen ”Gebrauchswert” für ihre WählerInnen und einen anderen für die Bündnispartner SPD und Grüne. Der ”Gebrauchswert” für die WählerInnen besteht darin, dass die PDS deren Interessen vertritt. Ihr ”Gebrauchswert” für SPD und Grüne besteht darin, dass die Partei des Demokratischen Sozialismus die neoliberale Politik mitträgt und gegenüber den ”Arbeitnehmern” umsetzt. Steigt der ”Gebrauchswert” der PDS für die Lohnabhängigen, so sinkt er für SPD und Grüne. Und je willfähriger die PDS die neoliberale Politik des Berliner SPD-Senats umsetzt, d.h. ihren ”Gebrauchswert” für die SPD steigert, desto weniger taugt sie in den Augen der ArbeiterInnen und Angestellten. Beide ”Gebrauchswerte” schließen sich eigentlich gegenseitig aus.
Nun sollte mensch meinen, die PDS hätte seit der Veröffentlichung von Bries Untersuchung im Mai 2003 alle notwendigen Konsequenzen gezogen, ihre Fehler korrigiert und den ”Gebrauchswert” ihrer Regierungspolitik in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern für die arbeitende Bevölkerung erhöht. Das Gegenteil ist der Fall. Für die Lohnabhängigen sank in den letzten drei Jahren durch Tarifbruch, Privatisierungen im Öffentlichen Dienst usw. usf. der ”Gebrauchswert” der PDS-Regierungsbeteiligungen erheblich. Die Impulse, die von der Politik des Berliner Senats ausgingen, bestärkten höchstens die WASG Berlin in ihrer Ablehnung neoliberaler Politik und erhöhten ihre Distanz zur Linkspartei.PDS.

Aber paradoxer Weise sank der Stern der PDS je höher sie im Staate aufstieg nicht nur für die Lohnabhängigen und Linkssozialisten. Laut Michael Brie ging auch für SPD und Grüne der ”Gebrauchswert” der PDS als Koalitionspartner ”auf Null zurück”, da es zwischen dem neoliberal-konservativen und dem sozialdemokratischen-grünen Lager keine grundlegende Meinungsverschiedenheit mehr gab. Der vorherrschende neoliberale Konsens könnte also Regierungsbeteiligungen der PDS für ihre potentiellen Bündnispartner SPD und Grüne tendenziell überflüssig machen – es sei denn, ihr ”Tauschwert” nützt den Herrschenden so lange, wie ihre Beteiligung an Regierungen die große Anhängerschaft der PDS in Berlin von Demonstrationen gegen den Sozialkahlschlag abhält.

Nach Brie sind die Erfolgschancen für eine linke Partei nur dann gegeben, wenn sie einen ”bundespolitischen Gebrauchswert” für einen politischen Richtungswechsel habe und ”reale Veränderungen” auf kommunaler und landespolitischer Ebene erreichen könne. Trotz aller Kritik geht es Brie nicht um das ”Ob”, sondern um das ”Wie” von Regierungsbeteiligungen. Mehr noch: Die PDS solle über die Veränderung der Kräfteverhältnisse auch innerhalb von SPD und Grünen einen Politikwechsel bewirken und somit über die Kommunal- und Landesebene hinaus eine zukünftige Mitte-Links-Koalition ermöglichen. Das nennt Brie die Schaffung von ”Gegenhegemonie” bzw. eines ”historischen Blocks” für den Aufbau einer Reformalternative, die z.B. ”die Wirtschaft” in den Dienst der breiten Gesellschaft stelle. Damit ist trotz aller Kritik die Notwendigkeit zukünftiger Regierungsorientierung ein Kernstück in Bries Analyse.
Verschiedene Sichtweisen
Für HistorikerInnen ist Michael Bries Untersuchung ”Ist die PDS noch zu retten?” kein ausreichender Beweis, dass die PDS die WASG bzw. die Linkspartei gegründet hat; auf einen möglichen Beleg müssen wir noch zehn oder zwanzig Jahren warten, bis einer aus dem innersten Kreis der PDS oder der WASG zu reden anfängt.
Jedoch müsste es politisch vollkommen genügen, um mit Michael Bries Analyse eine Linie von 2003 nach 2006, von der ”PDS-Plus” zur WASG bzw. zur Linkspartei zu ziehen. Für uns bestätigt Brie nur, was wir anfangs vermutet haben und was später unsere eigene Analyse nahe legte. Nach Kenntnisnahme seiner Untersuchung kann von einer spontanen Gründung der WASG und von einer Offenheit des neuen Projektes Linkspartei keine Rede sein. Die Regierungsoption, die völlig parlamentarische Orientierung, die undemokratische interne Struktur, die die alte PDS trotz mancher Ausnahmen vor Ort kennzeichnen, werden als strukturelle Bestandteile in die neue Linkspartei eingehen. Für manche derjenigen LinkssozialistInnen, die in der WASG arbeiten, bestätigt Bries Analyse jedoch nicht etwa die eigene politische Voraussicht, sondern bildet eine Erkenntnisschranke. Denn welcher Linkssozialist, der voller Hoffnungen in die ”offene” WASG eintrat, möchte schon zugeben, dass er in Wirklichkeit bei der PDS landete?

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