TEILEN
Feminismus

Wie der Mainstream Gender vertreibt

Von B.S. | 01.04.2005

Zwei Wochen lang tagte in New York eine Überprüfungskonferenz der Uno, 191 Mitgliedsstaaten und etwa 6000 VertreterInnen von NGO’s waren versammelt, um die Ergebnisse der Aktionsplattform der 10. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 zu bewerten. Die Aktionsplattform für die Gleichstellung der Geschlechter hatte unter der Devise Frauenrechte sind Menschenrechte Gender Mainstreaming zu einer globalen Aufgabe gemacht. Was hat das bewirkt?

Fortschritte wurden nach Auskunft der Direktorin der UN-Abteilung für die Förderung der Frauen Carolyn Hannan bei der Schulbildung der Frauen erzielt und bei der rechtlichen Gleichstellung. So hat es z.B. in Algerien ein neues Familienrecht gegeben, das die Stellung der Frau bei Scheidung stärkt, aber im Erbrecht nur die Hälfte des Erbes des Mannes vorsieht. Bei der Frage der Gewalt haben sich die Bedingungen eher verschärft, in der Wirtschaft und in Entscheidungsgremien dauert die Schwäche der Frauen an.

Modell Gender Mainstreaming

Wie also umgehen mit Gender Mainstreaming? Gender Mainstreaming ist ein top-down-Modell, d.h Veränderungen werden von oben nach unten geleitet. Entscheidungen z.B. in Betrieb oder Verwaltung sollen die Bedürfnisse beider Geschlechter berücksichtigen. Gender ist das „soziale“ Geschlecht und wird damit als veränderbar gedacht. Nach welchen Gesichtspunkten also wird entschieden? Versuchen wir uns die Umsetzung des „Leistungs“anteils am Lohn vorzustellen. Was bitte ist Leistung? Die fachgerechte Verordnung von Medikamenten, die Überprüfung des Erfolges und die Entlassung der oder des Erkrankten oder die sorgfältige Lagerung der/des Erkrankten, die freundliche Ermahnung, die Medikamente auch einzunehmen, die Ermunterung bei jedem Gewinn an Kraft? Wenn alle Entscheidungen der öffentlichen Hand z.B. in der Verkehrspolitik beide Geschlechter berücksichtigte, könnte etwas Positives herauskommen.
Christa Wichterich allerdings meint, die Genderdebatte stünde vor dem Ende, eine neue Mobilisierung sei nicht in Sicht, weil die Konzepte gescheitert seien. Und: „Die Frauenbewegung ist schwächlich und angepasst, entpolitisiert und entradikalisiert.“ Die Hoffnung, dass sich etwas Substantielles verändern würde, wenn Frauen ein Drittel in Parlamenten, Gremien und Institutionen stellen, hat sich nicht bewiesen. „Das Instrument des Gender Mainstreaming hat bislang bestenfalls als integrativ gewirkt“, so Wichterich.
Und das ist das eigentliche Problem. Sunila Abeysekara, Menschenrechtsaktivistin aus Sri Lanka, meint: „In Peking haben wir uns in einer Weise gemainstreamt, dass wir uns selbst nicht wiedererkannten.“ Und: „Wir wollten Teil des Mainstreams sein, aber jetzt sind wir nichts mehr außerhalb des Mainstreams.“ Und vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass es statt vorwärts noch mal rückwärts geht. Die USA versuchten, angestachelt durch die christlichen FundamentalistInnen, in unheiliger Allianz mit traditionalistischen islamischen Staaten und dem Vatikan das Recht auf Abtreibung zu konterkarieren (von einer neuen Weltfrauenkonferenz befürchten einige sogar Rückschritte).

Machtfrage stellen

Nun helfen uns unsere innigsten Wünsche nicht weiter, eine neue Frauenbewegung gibt es in Europa zur Zeit nicht, und es sieht auch nicht danach aus, als ob sie erwachte. Und dennoch brauchen wir neue Formen des Widerstandes. Charlotte Bunch, Leiterin des Center of Woman’s Global Leadership /Rutgers-Universität New Jersey, drückt es so aus: „Wir müssen wieder die Machtfrage stellen, vor allem die nach der Definitionsmacht.“ Und sie macht es fest am Thema Sicherheit. Wer definiert Sicherheit? „ Jetzt dominiert ein Konzept von nationaler Sicherheit, das die tagtägliche Unsicherheit von Frauen und Männern durch Armut und Gewalt außer Acht lässt.“
Was also ist zu tun? Können wir Frauen gegenwärtig etwas zurückgewinnen von der Stärke, mit der z.B. der Kampf gegen den §218 geführt wurde? Gelingen kann das nur, wenn sich die Frauen wieder ihrer gemeinsamen Interessen bewusst werden. Und es kann nicht nur um die Vereinbarkeit von „Kind und Karriere“ gehen, sondern um das ganze Leben.

Definition: Gender Mainstreaming
Gender:
Die sich aus der sozialen Rolle ableitenden
• Aufgaben
• Verhaltensweisen
• Erwartungen
• Wertungen
die entweder Männern oder Frauen zugeordnet werden, z.B.:

Frau = sozial orientiert/emotional
Mann = sachorientiert/rational
Mütter = Versorgung/familienorientiert
Väter = ökonomisch verantwortlich/leistungsorientiert

Werden als veränderbar i.S.v. erweiterungsfähig begriffen, in das
Mainstreaming:
Alltagsbewusstsein aufgenommen und bei allen Maßnahmen und politischen Vorhaben auf der gesetzlichen, verwaltenden und betrieblichen Ebene mit berücksichtigt, z.B. Teilzeitarbeit, Elternzeit, Kindergartenzeiten, Weiterbildungsangebote, Ganztagsschulen, Opferschutz, Gesundheitsversorgung, um die Voraussetzung für individuelle Verhaltenserweiterungen/-änderungen zu schaffen.
Zielsetzung des Prinzips Gender Mainstreaming ist die Durchsetzung einer echten Geschlechterdemokratie, indem eine geschlechtergerechte Verteilung der gesellschaftlichen Aufgaben im „produktiven“, „reproduktiven“, sozialen und kulturellen Bereich zu einer Neubewertung gesellschaftlicher Arbeit führt und damit eine chancengleiche Teilhabe an allen Lebensbereichen für männliche und weibliche Menschen gleichermaßen möglich wird.
Martini & Bentheim/GenderConsultings Hamburg, www.genderconsultings.de

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite