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DIE LINKE

Wer hat Angst vor DIE LINKE

Von Thies Gleiss | 17.08.2007

Die politischen Interessen der herrschenden Klasse entstehen und setzen sich in der Regel widersprüchlich durch. Darin unterscheiden sie sich nicht von den politischen Interessen der kapitallosen Klasse. Die Bühne und gleichzeitig auch Ensemble und Publikum dieser Auseinandersetzungen sind die gesellschaftlichen Klassenkämpfe, deren Existenz heute gern geleugnet wird, aber durch keinen Dekonstruktivismus, keinen Geschichtsfatalismus und schon gar nicht durch Verschwörungstheorien aller Art weggeredet oder in ihrer Wirkung aufgehoben werden können.

Eine der wichtigen Schlussfolgerungen von Marx war, dass die vom Besitz der Produktionsmittel ausgeschlossene Klasse ihre politische und organisatorische Unabhängigkeit gewinnen  und verteidigen müsse, um wirkliche Fortschritte bei der Durchsetzung ihrer Interessen zu erzielen. Dass dieser so hübsch hegelianisch formulierte Weg zur “Klasse für sich”, ebenfalls voller Widersprüche, Rückschläge und Sackgassen ist, war schon Marx bewusst. Werden die Vorgänge in Deutschland der letzten fünf Jahre mit diesem grundsätzlichen Maßstab beurteilt, dann ist auf jeden Fall etwas “Fortschrittliches” geschehen.

Mit der Partei DIE LINKE wurde als Teil und Ergebnis der Aktivitäten vieler unterschiedlicher, auch widersprüchlicher Akteure und Akteurinnen eine politische Kraft geschaffen, die mehr ist als eine der vielen Propagandagruppen. Sie ist Ausdruck von kollektiven Prozessen im politischen Massenbewusstsein und durch ihre schlichte Existenz, aber natürlich auch durch ihre Inhalte, Aktionen und Positionen wirkt sie auf dieses Massenbewusstsein zurück. Mit 70.000 Mitgliedern und Verbänden in allen Städten, mit einer WählerInnenbasis von zehn Prozent der politisch aktiven Bevölkerung und annähernd sechs Millionen Wahlstimmen sowie einer großen Fraktion im bürgerlichen Parlament ist die neue Linkspartei in Deutschland,  einem der wichtigsten imperialistischen Länder und Garanten der kapitalistischen Weltordnung, ein Faktor, der die politischen Kräfteverhältnisse neu ordnet.

DIE LINKE steht in allen zentralen Fragen gegen die strategischen politischen Absichten der herrschenden Klasse. Die weltweiten Angriffe auf die wichtigste Ressource des Kapitals, die Arbeitskraft und ihren Marktpreis und die barbarische Ausweitung der Konkurrenz einschließlich einer verstärkten Militarisierung der Politik sind ihre bestimmenden Themen.

Keine Partei des Kapitals

DIE LINKE stellt dem Angriff auf die Löhne und der damit verbundenen gesellschaftlichen Umverteilung sehr deutliche und kollektive Forderungen gegenüber:  Erhöhung der Löhne, Stopp der staatlichen Repression und Ausplünderung der Erwerbslosen, Verkürzung der Arbeitszeit, Ausbau der kollektiven, umlagefinanzierten Sozialversicherungen und, als zaghafte Erinnerung, dass all dies vor allem Machtfragen sind, die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien.

DIE LINKE ist noch immer konsequent gegen die Kriege und die kriegerischen Potenzen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Am schwächsten ist die Positionierung von DIE LINKE gegen die Politik des Kapitals dort, wo die radikalsten Sofortforderungen nötig wären –auf dem Gebiet der Verteidigung der natürlichen Ressourcen und des Umweltschutzes.

Eine Massenpartei, die sich so eindeutig gegen alle Hauptachsen der bürgerlichen, kapitalistischen Politik stellt, gab es seit Jahrzehnten nicht mehr in Deutschland. In der – für eine Charakterisierung einer Partei nicht unwichtigen – Wahrnehmung der gegnerischen Kräfte steht DIE LINKE für Radikal-Opposition, Sozialismus und sonstige schlimme Dinge, ja, sie wird in der Regel von ihren gesellschaftlichen GegnerInnen in viel düstereren Farben beschrieben, als sie es in einer linken Binnensicht verdient hat.

DIE LINKE ist gleichzeitig Ergebnis eines historischen Vorgangs, der in den kommenden Geschichtsbüchern der deutschen ArbeiterInnenbewegung mit Sicherheit als das bedeutendste Resultat der Parteigründung 2007 bilanziert werden wird. Nach der dem deutschen Kapital in vielerlei Hinsicht durch den überwiegend selbst verursachten Untergang des “nichtkapitalistischen Deutschlands” geschenkten Wiederangliederung der Ostländer, existierte in Deutschland geradezu ein Partei-Unikum. Die PDS, die einerseits die Opfer der kapitalistischen Heimholungspolitik gegenüber der früheren DDR verteidigte und andererseits tapfer die elf Buchstaben “S-o-z-i-a-l-i-s-m-u-s”  auf ihren Fahnen hochhielt, was aber alle Menschen als “Niederlage des Sozialismus” lasen und der PDS einen unkorrigierbaren Charakter als Loser-Partei verlieh. Wie fast jeder Loser versuchte auch die PDS, durch bizarre Verrenkungen, Anpassungen und devote Gesten von den Siegern – das heißt der politischen Klasse des westdeutschen Kapitals – anerkannt zu werden. Der zweifelhafte Erfolg der PDS bei dieser Anerkennungssuche war allerdings, dass ihr einziges antikapitalistisches Wirken, dass sie nämlich nicht nur totes Relikt eines untergegangenen Staates, sondern eben auch überlebender Rest eines vierzig Jahre existierenden nicht-kapitalistischen Deutschlands und seiner Menschen darin war, immer mehr abstumpfte und zu unpolitischem Klientelismus verkam.

Mit der Vereinigung einer respektablen Heerschar von SozialistInnen oder auch nur Linken aus dem Sieger-Westdeutschland und den politisch Überlebenden des katastrophal vergeigten Sozialismus in Ostdeutschland ist erstmals eine wirkliche Verarbeitung dieser Niederlage der ArbeiterInnenbewegung ermöglicht. Mit der Gründung der Partei DIE LINKE, ist in den Augen der herrschenden Klasse wie auch in den Augen der ArbeiterInnenklasse der Sozialismus wieder diskursfähig geworden und hat sein Loser-Image nicht völlig, doch ein wenig verloren,. Das konnte nur mit der Einbeziehung der PDS in das Parteiprojekt gelingen. Kritische Stimmen haben die Gründung der neuen Partei gern als Einlösung einer  geplanten Verschwörung von Andre Brie aus dem Jahr 2002 – “Wir brauchen die PDS plus X” – eingeordnet. Unabhängig davon, dass Verschwörungstheorien immer falsch sind, weil sie die Intelligenz der sich Verschwörenden notorisch überschätzen, ist hier das genaue Gegenteil der Fall: die Vereinigung zur Partei DIE LINKE ist historisch gesehen X plus PDS – d.h. das unbekannte, zappelige, aber immerhin zukunftsfähige Potenzial des Sozialismus im Westen vereinigt sich mit den realen Resten des Sozialismus im Osten. Wenn als einziges Ergebnis des neuen Parteipr
ojektes DIE LINKE zurückbleibt, dass der Sozialismus wieder als seriöse gesellschaftliche Alternative diskursfähig ist – dann hätte sich der ganze Kladderadatsch schon gelohnt.

Mängel und wie sie behoben werden können

Die politische und organisatorische Unabhängigkeit der Partei DIE LINKE vom Kapital erfährt eine bedeutende Einschränkung: DIE LINKE ist in Landes- und diversen Kommunalregierungen beteiligt und dort Juniorpartnerin von den Parteien, die sie programmatisch und in zahllosen Aktionen bekämpft. Über die Naivität, den Sozialismus durch Teilhabe an einer bürgerlichen Regierung einführen zu wollen oder auch nur näher zu bringen, sind Bände geschrieben worden. Das musste auch die Berliner PDS erfahren, sie hat die von Rosa Luxemburg so schön aufgespießte doppelte Niederlage des Opportunisten erlebt: in der Praxis und in der Glaubwürdigkeit. Dennoch sind die Regierungsteilnahmen der PDS durch die Parteineugründung von DIE LINKE erheblich unter Rechtfertigungsdruck geraten – mehr als es ohne sie geschehen wäre. In der partei-internen und öffentlichen Wahrnehmung sind diese Regierungsbeteiligungen als Koalitionen der PDS, der klientelistischen Ostpartei, verortet und – noch – nicht als Projekte der neuen Linkspartei. Natürlich wird jetzt das bekannte Spiel begonnen, die neue Partei weich und sturmreif zu schießen. Mit Prügeleinheiten und beharrlichem Auffordern,  doch endlich vernünftig zu werden; mit Interviewkriegen beliebter Promis gegen die störrische Basis. Ohne eine radikale Abkehr von dem programmatischen Grundkurs in der Kriegsfrage, der Billigung der Bundeswehr und der außenpolitischen Optionen und der Beteiligung an einer Lohnsenkungspolitik wird DIE LINKE jedoch nicht koalitionsfähig. Dazu kann es kommen, aber geräuschlos wird das nicht über die Bühne gehen. DIE LINKE wäre trotzdem gut beraten, von allen Regierungsdiskussionen und entsprechendem Schönreden möglicher Koalitionspartnerinnen noch für lange Zeit Abstand zu nehmen, bis sie aus einer Zehnprozentpartei zu 35 oder 40 Prozent Unterstützung aufgestiegen ist.

DIE LINKE ist in Westdeutschland eine Linksabspaltung der SPD. Bei dem Rechtskurs der SPD unter Schröder wurden schon die Sozialdemokraten zu Linksabweichlern, die nur stehen bleiben wollten. Nur wenige sind davon in die WASG eingetreten. Das verleitet jetzt viele KritikerInnen dazu, festzustellen, DIE LINKE wäre keine Linksabspaltung oder  -entwicklung, sondern nur ein “Bruderzwist” unter Sozialdemokraten.  Das ist Unsinn: die Politik des sozialdemokratischen Konsenses und der Klassenzusammenarbeit, die bisher die SPD als verbürgerlichte Partei des kleinen Mannes zuammengehalten hat, ist objektiv gescheitert und an die Grenzen ihrer gesellschaftlichen Möglichkeiten geraten. Die internationale Politik des Kapitals steht auf Klassenkampf nicht auf Klassenkollaboration. Sowohl der Rechtskurs unter Schröder als auch die  Ernüchterung der sozialdemokratischen Basis sind Reaktionen darauf. Der Versuch, mit einer neuen Partei, sozialdemokratische Träume zu verwirklichen, kann also nur aufgehen, wenn die Partei zu einer klareren Sprache und Radikalität kommt, als es die SPD je konnte. Daher muss dieser Spaltungsprozess bewusst vertieft werden.

Die Spaltung der SPD ist am deutlichsten – sowohl quantitativ als auch was ihren “Klassencharakter” angeht – in den Gewerkschaften zu erkennen. In der neuen Linkspartei treffen sich gerade nicht die sozialdemokratischen Modernisierer und Anhänger einer Verbetrieblichung der Gewerkschaftspolitik, sondern die Aktiven, die auf eine mehr Konflikt orientierte Betriebspolitik setzen und die politische Linke. DIE LINKE  wird zu einer anerkannten politischen Strömung in den DGB-Gewerkschaften  und verwirklicht damit erstmals die Idee einer echten Einheitsgewerkschaft. In dieser realen Verankerung in der organisierten ArbeiterInnenklasse steckt auch gleichzeitig der wichtigste Bremsfaktor für das Abgleiten in eine Kopie der alten SPD oder gar der Grünen: die Verteidigung der elementaren Interessen der Lohnabhängigen ist heute ohne eine erheblich größere Radikalität, die mindestens der Radikalität des Klassenkampfes “von oben” durch die Unternehmer entspricht, nicht zu realisieren. Gerade diese Radikalität gilt es zu organisieren und nicht nur zu versprechen. Die Zukunft von DIE LINKE hängt daran, ob es ihr gelingt, tatsächlich Betriebsgruppen, Gewerkschaftsfraktionen, Erwerbslosengruppen zu organisieren und mit anderen politischen Kräften Einheitsfronten gegen das Kapital aufzubauen.

Die Partei DIE LINKE ist das Produkt von einer Mehrheit von politisch Aktiven, die vorher sozialdemokratische und parlamentarische Illusionen hatten und sie heute immer noch stark idealisieren. Ihnen jetzt vorzuwerfen, sie hätten früher schon Irrtümer begangen und würden sich auch jetzt irren, können nur IdeologiekritikerInnen als sinnvoll erachten, die den Prozess der “Klasse für sich” sehr billig als “Klasse für mich” missverstehen. Stattdessen müssen konkrete Vorschläge erarbeitet werden, wie die Partei zu einer wirklichen Mitgliederpartei werden kann, die demokratisch organisiert das gesamte politische und kreative Potenzial von 70.000 und mehr Menschen mobilisiert. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass bereits eine Reihe von Fehlentscheidungen getroffen wurden, die zum Teil noch repariert werden können: die Partei hat es versäumt, als eine wirkliche Neugründung anzutreten, mit der zweifelhaften Begründung, dadurch Pöstchen und Staatsknete zu sichern. Sie hat die wichtigen Debatten über die “Krise der Parteiform” nicht genügend aufgegriffen und entwickelt sich zu einer langweiligen “Vorsitzendenpartei”, in der die Fraktionen alles, die Vorstände wenig und Mitglieder gar nichts zu sagen haben. Die Besetzung des Vorsitzendenpostens mit Oskar Lafontaine mag die Medien erfreuen, die geschichtliche Prozesse nur als Personalie erleben und erklären. Sie ist für den Aufbau einer die Gesellschaft verändernden Partei jedoch eine glatte Fehlbesetzung. Eine kollektive Führung, die die Partei und die Mitgliedschaft bis in die Poren kennt, die unterschiedliche politische Positionen integriert und gegenüber den Parlamentsfraktionen als programmatische Führung agieren kann, ist unerlässlich.

Die Parteigründung ist auch an wesentlichen Sektoren der Linken, die sich nicht an WASG und Linkspartei.PDS orientiert haben vorbeigegangen und hat nicht versucht, sie einzubeziehen. Gleichzeitig ist DIE LINKE  gegenüber den sozialen und Protestbewegungen alles andere als eine inhaltlich weiter treibende Kraft. Sie fällt in ihren konkreten Analysen und Losungen weit hinter die Umwelt-, Friedens- und Anti-Globalisierungsbewegung zurück. Gegenüber der Frauenbewegung ist DIE LINKE so
gar ein programmatischer Rückschritt. All das muss – und kann – zügig behoben werden.

Andernfalls wird DIE LINKE im Prozess der “Klasse für sich” nur eine weitere Episode mit begrenzter Langzeitwirkung sein und die dann verbleibende, kleingeschriebene Linke wird ihren nächsten Irrtum vorbereiten.

Thies Gleiss

Der Artikel wurde für die Zeitschrift "analyse & kritik" geschrieben.

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